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Weihnachtserlebnis in Japan
von Ernst Benz

LeerDie eigentümliche Lage des japanischen Christentums ist mir bei einem Weihnachtsgottesdienst der japanischen Theologiestudenten besonders deutlich geworden. Nach meiner Predigt, die ich englisch hielt und die ins Japanische übersetzt wurde, verlas der Studentenpfarrer das Weihnachtsevangelium von der Geburt des Welterlösers. Während der Schriftlesung ertönte aus dem nahen Shokoku-ji-Tempel, der sich unmittelbar an das Gelände der Theologischen Fakultät anschließt, von der kiefernumstandenen Pagode der Gong, der jeden Abend bei Sonnenuntergang sechzehnmal angeschlagen wird, und der Ruf des Zen-Priesters, der das 21. Kapitel der Lotos-Sutra, das Gebet um die Erlösung des Universums und aller Wesen, allabendlich singt. Erlösung des Universums und aller Wesen - mir fiel plötzlich ein, daß ja auch bei Paulus und in der alten Kirche die Erlösung nicht in dem engen, auf die menschliche Seele bezogenen Sinn verstanden ist, den das moderne individualistische Christentum ihr gegeben hat, sondern daß der Apostel etwas davon wußte, daß „die ganze Kreatur dem Tag der Vollendung entgegenseufzt und entgegenstöhnt”, und es wurde mir klar, daß die christliche Botschaft in diesem Lande sich nur dann breiter und tiefer verwurzeln kann, wenn die Christen sich klar machen, daß sie nicht nur eine Forderung an den Buddhisten darstellt, sondern daß auch der Buddhismus eine Forderung an das Christentum enthält: viele ursprüngliche, von ihm selbst in seiner modernen Entwicklung vergessene, aber in den asiatischen Hochreligionen zum Teil noch bewahrte und voll entwickelte Impulse wieder zum Leben zu erwecken und zu entfalten (Ausschnitt aus einem Reisebericht vom 28. Dezember 1957).

Quatember 1960, S. 29

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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