Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1962
Autoren
Themen
Stichworte


Löwen und Esel
von Hans Carl von Haebler

LeerIch habe nicht die Absicht, über eine Tagung von Zoologen zu schreiben, sondern über eine Tagung von Theologen. Der Leser möge sich also nicht auf richtige Löwen und Esel gefaßt machen, sondern eben auf - Theologen, die sich in diesen Tieren abgebildet fanden. Doch davon später!

LeerIn den ersten Augusttagen trafen sich in der Benediktinerabtei Niederaltaich, nahe der Donau, zu Füßen des Bayerischen Waldes, evangelische und katholische Theologen, um über die Summa Evangelii zu disputieren, über die Mitte der Heiligen Schrift. Dr. Knigge, Göttingen, der in Vertretung des erkrankten Professors Conzelmann Anliegen und Methode der historischen Bibelkritik erläuterte, hielt mit seiner Meinung nicht zurück: Hoffnung auf Wiedervereinigung ist Utopie - die evangelische Exegese unterscheidet sich grundsätzlich von der katholischen, insofern sie nur Verantwortung gegenüber der Schrift kennt, während diese am Lehramt Halt findet. - Für uns ist die Schrift zeitbedingt und ihre Auslegung niemals abgeschlossen. Deshalb müssen wir nach der Mitte der Schrift, nach dem Kanon im Kanon suchen. Wir bestreiten die Notwendigkeit von Lehrentscheidungen, weil wir Christus zutrauen, daß er uns von Fall zu Fall hilft. - Das Wissen hat es mit dem historischen Jesus zu tun, der Glaube mit dem gegenwärtigen Christus. - Unser Predigtamt hat nur praktischen Charakter. - Mit diesen und ähnlichen Thesen rief der Redner nicht nur bei Katholiken, sondern auch bei den lutherischen Gästen und bei dem orthodoxen Theologen, der das ökumenische Konzert vervollständigte, manchen Widerspruch hervor.

LeerInsbesondere wies Prof. Karrer, Luzern, die Meinung zurück, als wäre die Bibel nicht auch bei den Katholiken norma normans (Maßstab der Lehre). Doch gehöre die apostolische Aufsicht zum Neuen Testament. Die Apostel seien nicht Schattenfiguren, sondern verantwortliche Träger des Wortes, und auch der Professor müsse bei dem, was er sagt, bedenken, daß er als Glied der Kirche Verantwortung trägt.

LeerÜber die Mitte des Evangeliums in der Theologie Luthers sprach Prof. Kantzenbach, Neuendettelsau. Die Schrift, so erläuterte er den Standpunkt des Reformators, ist das Instrument einer unmittelbaren Botschaft. Sie ist in sich klar und in ihrer Klarheit Evangelium. Um dieser Klarheit willen kommt ihr Autorität zu und besteht das protestantische sola scriptura zu Recht. Die Klarheit der Heiligen Schrift bedarf auch nicht der Assistenz des Heiligen Geistes, die nicht zu einem Wachstum, sondern nur zu einer Vertiefung des Glaubens führen kann. Wo die Schrift gegen die Schrift steht, muß man „Christum wider die Schrift zwingen”. Da ist dann auch der Ort für die historische Bibelkritik und ihre formgeschichtliche Methode.

LeerMitte der Schrift - darin waren sich die evangelischen Referenten einig - ist die Auferstehung.

Linie

LeerWie nahmen die Katholiken diese Herausforderung auf? Dr. Brandenburg, Paderborn, betonte gleich zu Anfang seines Referates, daß wir, die Getrennten, aufeinander angewiesen wären, und suchte die Theologie Luthers vom Alten Testament her zu verstehen. Sie sei so gut evangelisch wie katholisch, überbetone aber die Allein-Wirksamkeit Gottes. Zwar rede Luther gelegentlich auch von der Mitwirkung des Menschen bei seiner Erlösung und man könnte überhaupt aus Luther-Zitaten eine katholische Dogmatik zusammenstellen, aber im Gesamtwerk komme dieser Gedanke, komme auch der menschliche Willensakt Jesu gegenüber dem Vater nicht zum Tragen. Indem Luther die Menschheit Jesu als „Larve” verstehe, nähere er sich dem Monophysitismus (d. i. der Lehre, daß Jesus nur eine, göttliche Natur hat).

LeerIn eingehenden und eindrucksvollen Ausführungen folgte Prof. Mußner, Trier, dem Göttinger Neutestamentler auf dem Wege der historischen Bibelkritik. Er wußte der evangelischen Exegese Dank, wandte sich aber gegen die Trennung von Glauben und Wissen. Der Glaube habe sein Fundament im historischen Kreuzestod Jesu Christi und enthalte auch kognitive Akte. Die geschichtliche Horizontale, in der Jesus bewußt gelebt habe, komme in der Theologia actualis zu kurz. Als Mitte der Schrift stellte Prof. Mußner heraus: „Das Evangelium ist die Proklamation vom Anbruch der eschatologischen Heilszeit in Christus.” Darin stimmten die in den Loggien überlieferten vorösterlichen Worte Jesu mit den Briefen des Paulus und mit dem Evangelium des Lieblingsjüngers uberein. Im übrigen, meinte der Referent, sei die Frage nach dem Kanon im Kanon verfehlt. Auch der von Luther wenig geschätzte Jakobusbrief mit seinen vielen Parallelen zur Bergpredigt und zu den Loggien „treibe Christum”. Die Widersprüche, welche die Schrift enthalte, bildeten keinen Sprengstoff, sondern seien ineinander verklammert.

LeerAm Ende seines temperamentvollen Referates hatte Dr. Knigge das Lehramt der Kirche mit einem Löwenkäfig verglichen und den Unterschied zwischen den römischen und protestantischen Theologen so gekennzeichnet, daß jene zwar auch Löwen wären, aber eben Löwen im Käfig. Von einem katholischen Theologen wurde dann erzählt, daß er ein Bild von der Flucht nach Ägypten besitze, das ihm besonders teuer sei - wegen des Esels. Dieser symbolisiere nämlich die Kirche und die Theologen, welche vor allem die Last Christi zu tragen hatten. Leider gebe es nur zu wenig Esel!

LeerMöchten diese schönen Bilder doch zur Selbstbesinnung der Theologen beitragen und möchten diese allezeit den Löwenmut und die Eselsgeduld aufbringen, die - miteinander gepaart - dem Diener Christi so wohl anstehen!

LeerEntscheidend für den guten Verlauf der Tagung war der genius loci. Das Stundengebet, das alle Gäste vereinte, die evangelischen und katholischen Meßfeiern, die man gegenseitig besuchte, die gemeinsamen Meditationen und die Teilnahme an einer Liturgie nach östlichem Ritus ließen etwas von der verborgenen Einheit der Kirche Jesu Christi durchschimmern. Pater Thomas Sartory gebührt besonderer Dank für seine umsichtige und, wo es not tat, humoristisch ausgleichende Gesprächsleitung, dem Abt des Klosters, Emmanuel Heufelder, und seinen Mönchen für ihre herzliche, wahrhaft benediktinische Gastfreundschaft.

Quatember 1962, S. 30-31

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-05
Haftungsausschluss
TOP