Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1962
Autoren
Themen
Stichworte


„Ich war wie ein Tier vor Dir”
von Hans Carl von Haebler

Stephanus und ChristophorusLeerVon den zwei Heiligen, die unsere Ikone darstellt, ist uns der jugendliche Diakon Stephanus wohl vertraut. Dagegen paßt der hundsköpfige Christophorus in keiner Weise zu dem Bilde, das wir uns von diesem Heiligen zu machen pflegen, ja, er hat für unser Empfinden etwas Anstößiges, Groteskes. Wie kommt der Ikonenmaler zu dieser merkwürdigen Darstellung eines Heiligen, der auch im christlichen Abendland zu den volkstümlichsten Gestalten gehört, den die römische Kirche zum Nothelfer und Schutzpatron der Schiffer und Pilger, der Reisenden und Autofahrer gemacht hat und noch immer am 25. Juli feiert und der uns durch Jörg Erbs Wolke der Zeugen und Otto Haendlers Meditation (Christophorus. Die Legende als Bild des Glaubensweges, Berlin 1951) wieder nahegebracht worden ist?

LeerDie Geschichte bietet dafür keine Anhaltspunkte. Sie berichtet nur von zwei Märtyrern mit dem Namen Christophorus, von denen der eine Soldat war und in der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian verbrannt wurde. Diesen hat offenbar der Ikonenmaler gemeint; denn er hat den Heiligen als Krieger dargestellt und ihm Lanze und Schild in die Hand gegeben. Ungeklärt aber bleibt, wie Christophorus zu seinem Hundekopf kam, ungeklärt auch, wie er später, im Hochmittelalter die Gestalt des riesenhaften Fergen annehmen konnte, dessen Bild uns in so vielen Kirchen begegnet.

LeerDer Hundekopf und der Riese sind beide mythologische Symbole einer vormenschlichen Daseinsstufe. Auch von dem Riesen berichtet ja die Legende, daß er unter den wilden Tieren aufgewachsen und furchtbar anzusehen war, und auf dem Fresko der Marburger Schloßkapelle tummeln sich in dem Gewässer, in dem er steht, noch allerlei halbmenschliche Lebewesen.

LeerDer Hundsköpfige aber hat zeitlich den Vorrang. Es gibt ein Gebet des Christophorus, das vielleicht schon ins fünfte Jahrhundert zurückreicht, darin wird Gott gepriesen, daß Er die Unwissenden zur Wahrheit führt und die Sprachen der Tiere in die menschliche Sprache verwandelt. In der altspanischen Liturgie des sechsten Jahrhunderts wird der Heilige als Monstrum bezeichnet, und im neunten Jahrhundert stritt man in Deutschland allen Ernstes darüber, ob die Hundsköpfe, die Kynokephalen der alten Griechen, zu den Menschen oder zu den Tieren zu rechnen wären. Aus dem zwölften Jahrhundert besitzen wir dann auch ein kunsthistorisches Zeugnis: An einem Portal der Abteikirche zu Vezelay finden wir neben den Skythen und anderen fernen Völkerschaften Vertreter der Kynokephalen abgebildet (vergl. Walter Loeschcke, Sankt Christophorus, der Heilige mit dem Tierkopf in Eikon, Recklinghausen, Mitteilungsblatt 2/1958).

Linie

LeerDer hundsköpfige Mensch war für jene Zeit also kein Fabelwesen, sondern wirklich existent und irgendwo, am Rande der Welt, beheimatet. Er war für sie das Bindeglied zwischen Mensch und Tier, freilich nicht im Sinne einer Abstammungslehre, sondern auf Grund einer Selbsterkenntnis. Daß der Mensch die Geschöpflichkeit des Tieres teilt und auch in einem gewissen Sinne Tier geblieben ist, darüber ließ die Heilige Schrift keinen Zweifel. „Ich war wie ein Tier vor Dir”, betete man mit den Worten des 73. Psalms, und es scheint, als wenn diese Selbsterkenntnis in dem treuherzigen Blick des Hundekopfs aufleuchtete. Aber Gott, zu dem er emporschaut, ist im Begriff, einen Menschen aus ihm zu machen. Er befindet sich in dem Stadium, das C. G. Jung einmal so beschrieben hat: „Die tierhafte Lebensmasse steht wohl für die Totalität des angeborenen Unbewußten, welches mit dem Bewußtsein vereinigt werden soll” (Psychologie und Alchemie, Seite 203). Freilich, mit dem Bewußtsein seiner selbst stellt sich auch das Schuldbewußtsein ein. Nachdem Gott ihn angerufen und mit Vernunft begabt hat, kann der Mensch nicht mehr zum Tier zurück. Er könnte die Vernunft jetzt nur noch mißbrauchen, „um tierischer als jedes Tier zu sein”.

LeerChristophorus aber erkennt, daß er ein Verworfener ist. Als solcher wird er ja im Malerbuche vom Athos bezeichnet und als solcher tragt er auch in der Goldenen Legende den Namen Reprobus (d. i. der Verworfene). Die Goldene Legende gibt uns auch einen Hinweis, wie er zu diesem Namen gekommen sein könnte: in seinem dunklen Drange, dem mächtigsten König zu dienen, hat er sich zum Gefolgsmann des Teufels gemacht. Auf dem Wege, Mensch zu werden, ist er auch schon gefallen. Nur der Anruf Gottes kann ihn aus seiner animalischen Existenz herausholen. Nun dankt er Gott, daß er zur Wahrheit geführt und daß ihm eine Sprache geschenkt worden ist, in der er auf Gottes Anruf antworten kann.

LeerDie Kynokephaloi oder Hundsköpfe wohnen am äußersten Rande des Erdkreises. Das soll doch wohl heißen, daß sie in der größten Christusferne leben und den Tieren noch näher stehen als dem Bilde, das Gott sich vom Menschen gemacht hat. Einmal aber werden die Boten, die der Herr in alle Welt ausgesandt hat, auch bis zu ihnen vordringen und sie zu Abbildern des Menschensohnes machen. Einmal wird Christus sich auch das Animalische in der Tiefe unseres Herzens anverwandeln. Der Hundsköpfige ist eine eschatologische Gestalt. Er macht sichtbar, was wir von Natur sind, und weckt die Sehnsucht nach dem geistlichen Leib, der den Gläubigen verheißen ist. Er weist weg von seiner im Tierischen steckengebliebenen Gestalt und hin auf den, der das Bild des Menschen wiederhergestellt hat.

LeerIch weiß nicht, aus welchen Gründen der Ikonenmaler Christophorus neben Stephanus gestellt hat. Aber ich finde es sehr bemerkenswert, daß der Hundsköpfige ausgerechnet neben dem steht, von dem die Apostelgeschichte berichtet, da8 er wie ein Engel anzusehen war (6, 15).

Quatember 1962, S. 97-98

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-05
Haftungsausschluss
TOP