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Kirchberg - Erfahrung und Erwartung
von Paul Rohleder

LeerWenn man den Hof der heutigen Domäne betritt und auf das Berneuchener Haus zuschreitet, so gewahrt man auf den ersten Blick, daß hier baulich noch vieles unfertig ist. Schuttreste und Baumaterial liegen noch immer vor und hinter dem Hauptbau sowie vor der im Umbau stehenden früheren Gastwirtschaft. Die Situation gestattet noch kein wirkliches Aufräumen und noch keine neue, freundliche Gestaltung des Platzes vor dem Haus und des dahinter liegenden Gartens. Lastwagen graben immer wieder ihre schmutzigen Spuren in den weichen Grund. Wir können noch nicht sagen, ob die Sanierung des Südflügels mit dem Ausbau der Leiterwohnung, der neuen Küche und des neuen Speisesaales am 1. Juni, mit einjähriger Verspätung, zum Ziele kommt oder ob noch ein Stück vom zweiten Jahr dazu vonnöten sein wird; ob die 13 Zimmer des Nebenhauses noch diesen Sommer in nennenswerter Weise werden Gäste aufnehmen können; ob noch einmal ein Winter durchgestanden werden muß, ohne daß einige Garagen zur Verfügung stehen.

LeerGottlob ergibt sich ein anderes Bild, wenn wir, Bauplatz und Baufragen verlassend, uns dem inneren Geschehen des Hauses zuwenden. Wir wollten an einem Ort mit günstigen landschaftlichen und klimatischen Voraussetzungen ein Haus der Stille schaffen, welches das erfüllte Schweigen zu Gott hin in besonderer Weise pflegt und ermöglicht; worin Sein Wort neu vernommen wird und wo die gemeinsame Antwort des Gebetes froh aufklingt; wo uns die rechte sakramentale Feier der Gemeinschaft mit Gott und untereinander geschenkt wird. Kirchberg möchte den Brüdern und Gliedern des Berneuchener Dienstes und vielen anderen Menschen aus dem Lärm der Zeit heraus zur „Fliehburg” des Friedens werden, wo sie sich aus den ewigen Quellen erneuern lassen: Und eben darin wird es zugleich zur „Sendburg” der Wahrheit:
Vertrauter Hügel zwischen Feld und Wald,
der über Gräber hin zum Zollern schaut,
darauf sich steil die Kaiserburg erbaut!
Im weiten Rund der hohe Himmel blaut,
und Drosselschlag aus alten Bäumen schallt.

Das Kloster ist aus langem Schlaf erwacht.
Und was noch aus den alten Zeiten steht,
hat sich verjüngt. Ein neues Volk begeht,
sooft die Glocken rufen zum Gebet,
das Lob des Herrn, der unser Heil vollbracht.

Fliehburg des Friedens, stilles Gotteszelt -
Herr, nimm uns ein, reich uns das Lebensbrot
an deinem Tisch, der Zeiten Drang und Not
recht zu bestehn. Schaff hier durch dein Gebot
der Wahrheit Sendburg für die kranke Welt!
LeerIst etwas von diesem Anspruch erfüllt worden? Dann müßte er ja im Echo der Menschen, die hier gewesen sind, Ausdruck und Bestätigung finden.

LeerIn diesem Sinne seien zwei Zeugnisse angeführt. Zuerst das Wort des Sprechers für eine Leitergruppe aus dem christlichen Jugenddorfwerk: „Diese Wochen im Berneuchener Haus werden noch lange in uns nachklingen, und es ist mir so, als wenn etwas ganz Neues in mein Leben getreten ist, was vorher nur in Ahnungen da war. Es hat ein Etwas Gestalt gewonnen, was mir in der Hast der Tage neue innere Ruhe gegeben hat. Und ich hoffe, daß ich davon werde eine lange Zeit zehren können. Man spricht heute so viel von Besinnung und Entspannung und meint damit meistens doch nur Zerstreuung. Diese Besinnung unter Gottes Wort in dieser selbstverständlichen Ruhe Ihres Hauses wird sicherlich viele Menschen zur Gesundung führen. Wir kamen aus der Hast und fanden Ruhe. Wir kamen aus der Geschäftigkeit und fanden Stille. Wir kamen aus der Betriebsamkeit und fanden Besinnung. Wir kamen aus dem Wirrwarr und fanden Harmonie. Wir kamen aus der Vielfalt und fanden Einfalt. Wir durften den Verkehr der Welt verlassen und Einkehr halten. Es ist, glaube ich, nicht mit Worten zu sagen, wie wir, zunächst aufgewühlt und beklommen, dann aber von Tag zu Tag gelöster und befreiter die Hände falten und die neuen alten Weisen zu Gottes Lob anstimmen durften. Dank sei allen gesagt bei diesem Abschiednehmen von Menschen, die uns mit Gottes Hilfe getragen haben in einer geheimnisvollen Weise.”

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LeerDas zweite Wort ist ein Auszug aus einem Bericht von Jürgen Steinkopff im „Rundbrief des Jugendringes Darmstadt” (1961/6) : Nachdem der Gast etwas von der Landschaft und anderen äußeren Dingen in sich aufgenommen hat, „beginnt er, das Wohltuende des unmerklich von innen her geordneten Tageslaufes zu empfinden. Er begreift, wieviel unnützer Lärm und Wirbel seinen Alltag beherrscht. Und schließlich geht ihm auf, daß er gar nicht so abseits lebt, wie es ihm zunächst schien. Die Nöte unserer Zeit, und zwar ganz konkrete Nöte, werden in diesem Hause täglich im Gebet betrachtet. Sie verlieren etwas von ihrer heillosen Fülle, die so oft bedrängend auf uns einstürmt, wenn wir etwa eine Zeitung aufschlagen oder eine Nachrichtensendung hören. Zusammenhänge zwischen dem Elend und Leid und der Unordnung im einzelnen Menschen gehen ihm auf. Zusammenhänge auch zwischen leiblichem Leiden, geistiger Verzagtheit und seelischer Verkümmerung erschließen sich ihm. Die liturgischen Formeln sind auf einmal gar nicht mehr so ‚antiquiert’, wie er zunächst vielleicht gedacht hatte. Er ist auf einmal kein passives Gemeindeglied mehr, das angepredigt, angesungen, angestoßen wird. Er lernt wieder mitzuhandeln im Gottesdienst - zu antworten. Alles ist hier umgekehrt wie er es sonst gewohnt ist: die Arbeit des Tages wird vom Gebet umfangen - ein arbeitsreicher Tag wird also nicht mehr mit einem mühsamen, weil schon erlahmten, Gebet ‚verziert’. Die Probleme des Tages und der Welt sind nicht mehr Ausgangspunkt, sondern das Heilsgeschehen Gottes ist der Angelpunkt. Man knüpft also nicht mehr länger am gerade ‚Aktuellen’ an, sondern an der bleibenden Gnadenmitteilung Gottes an uns durch Jesus Christus. Es ‚passiert’ gar nichts, und es ‚geschieht’ gerade darin sehr viel.”

LeerFür die Zukunft des Berneuchener Hauses wird immer die Frage nach der kleinen örtlichen Hausgemeinde und nach seiner großen ‚Diasporagemeinde’ entscheidend sein. Von den beiden zahlenmäßig so verschiedenen Trägern der Arbeit muß eine außergewöhnliche Einsatzbereitschaft erwartet werden. Eine Hausgemeinde läßt sich nicht einfach organisieren. Guter Wille und ein gutes Angestelltenverhältnis reichen nicht zu. Geht es doch primär um kein organisatorisches, sondern um ein pneumatisches Gebilde. Man kann es nicht einfach aufbauen vom Menschen her. Es muß von Gott her wachsen, oder es fehlt das Beste. Wohl bei den meisten Menschen, welche monatelang viermal täglich das Stundengebet halten, treten durch die ständigen Wiederholungen Krisen auf, welche durch kategorische Imperative nicht behoben - zuweilen nur verschlimmert - werden können. Es hilft aber auch nicht einfach die Kürzung der Gebetszeiten, sondern nur eine längere „Schonzeit”, bis eine Vollzugsmöglichkeit auf neuer Stufe reif geworden ist und das Stundengebet nun nicht mehr nur ertragen, sondern wieder froh getragen werden kann. Darin besteht der innere Dienst, den die Kirchberger Hausgemeinde zu leisten hat.

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LeerDie im ganzen deutsche Sprachraum zerstreute Gesamtgemeinde von Kirchberg wurde bei der Versendung des letzten Halbjahresplanes durch die Beilage des „Kirchberger Briefes” angesprochen. Er hat positive Aufnahme gefunden und der persönlichen Verbindung mit dem „Berneuchener Haus” manchen guten Dienst getan. Darum sollte diese Übung vielleicht beibehalten werden. Es sei mit Dank vermerkt, daß der Brief auch einen Spendeneingang von fast DM 1 200,- für Kerzen, Opferbüchsen, Ruhebänke sowie für die Nonnenempore erbrachte.

LeerZur gesunden Entwicklung von Kirchberg gehört zweifellos eine Brüdergruppe. Die Zweisamkeit ist ja einstweilen gewährleistet, da der bisherige Leiter Oskar Planck hier wohnen bleibt und weiterhin mitarbeitet. Da ich jedoch durch einen landeskirchlichen Vortragsauftrag und durch Besuche in der Kirchberger Diaspora-Gemeinde in Anspruch genommen bin, so wäre es schon wünschenswert, daß drei oder mehr Brüder am Ort wohnten. Es ist freilich augenblicklich noch nicht recht zu übersehen, wie und wann das (etwa zunächst durch die Ansiedlung einiger Ruheständler) möglich sein wird. Aber es muß ernsthaft im Auge behalten werden. Dann könnte die Arbeit nach außen großräumiger und nach innen intensiver gestaltet werden. Wir leiden ja - von bestimmten Zeitpunkten des Jahres abgesehen - nicht an einem Überangebot von Besuchern. Und da wir das im Ausbau befindliche Gästeheim auch füllen wollen, so muß unser Freundeskreis lebendig und wachstümlich bleiben. Kirchberg wird wesentlich stärker als bisher auch als Erholungsort mit beliebiger Beteiligung am gottesdienstlichen Leben aufgesucht werden können. Wir hoffen, daß viele Brüder wenigstens eine Woche ihres jährlichen Urlaubs hier verbringen werden.

LeerDie Brüderwochen gehören zu den Höhepunkten im Jahreskreis. Neben den Michaelsfesten denke ich vor allem an die Probebrüderwoche und den Seelsorgekurs. Zu unserer Freude ist darüber hinaus eine stärkere Beteiligung der Bruderschaft an der Programmgestaltung von Kirchberg ins Auge gefaßt worden. Neu gewagt wurde - mit ärztlicher Unterstützung durch Herrn Dr. Fahrner vom Buchinger-Sanatorium Überlingen - eine Fastenwoche im April. Sie war besucht von verschiedenen Konventen. Auf Grund der gewonnenen Erfahrung sowie im Gehorsam gegen die Anweisung der Regel: „Die Brüder sind ernstlich bemüht, den Wert des Fastens in praktischer Übung zu erfahren” wurde die Fortsetzung dieses Weges einmütig beschlossen. Allerdings wird die nächste Fastenzeit 11 Tage umfassen, weil diese etwas größere Zeitspanne sachlich richtiger ist. Es sollten daran unbedingt auch Arztbrüder teilnehmen (Termin: 4.-14. Dezember).

LeerMöge dieser erzählende Bericht, in welchem manches von der Erfahrung in Kirchberg und von der Erwartung für Kirchberg berührt wurde, viele ermutigen, herzukommen und mitzutun. „Herr, höre unser Bitten und kehre ein bei uns in diesem Hause!”

Quatember 1962, S. 124-126

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-03
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