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Briefe [Frivolitäten]
von Hans Carl von Haebler/Wilhelm Stählin

Wilhelm Stählin

LeerIn einem Essay über Mörike („Unschuld des Schönen”, in dem Sammelband „Ruf und Echo”, Aufzeichnungen 1951 bis 1955; S.Fischer-Verlag, 1956) erzählt Albrecht Goes, daß Mörike als ein Sterbender, im Blick auf seine Gedichte eine einzige Frage noch auf dem Herzen hatte, die Frage: „Es steht doch nichts Frivoles drin?” Diese Frage hat, so empfand ich es, etwas unendlich Rührendes. Er, der „völlig zu Hause war in der Welt des Kreatürlichen, im Reich der Elemente”, dem die helle Heiterkeit ebenso vertraut war wie eine dumpfe Melancholie, der unter einen Abdruck seines Siegels schreiben konnte:
„Mein Wappen ist nicht adelig,
mein Leben nicht untadelig,
und was da wert sei mein Gedicht,
fürwahr, das weiß ich selber nicht,”
Leerhatte im Angesicht des Todes nur die eine Sorge: ob doch nichts Frivoles drin sei in seinen Versen?

LeerDas Wort frivol, ein Fremdwort aus dem Lateinischen, hat eine sehr enge und spezifische Bedeutung angenommen. Das lateinische Wort frivolus meint an sich nur das Unbedeutende, Nebensächliche, Oberflächliche, und als Benennung einer besonders feinen Spitzentechnik, die mit dem Schiffchen, dem occhi ausgeführt wird, haben die „Frivolitäten” etwas von dieser harmlosen und liebenswürdigen Bedeutung bewahrt. Aber wenn wir etwas „frivol” nennen, so meinen wir gerade, daß es nicht harmlos, nicht gutartig, nicht nebensächlich und keineswegs ungefährlich ist; es ist der leichtfertige Umgang mit dem, was schlechterdings ehrwürdig, wohl auch furchtbar und gefährlich ist, mit dem also keineswegs zu spielen oder zu spaßen ist. Eben dieses schien dem frommen Dichter, dem alle Wichtigtuerei, alle Koketterie mit den Nachtseiten des Lebens und überhaupt jeder „falsche Ton” gründlich zuwider war, als das schlechthin Verwerfliche.

LeerAls ich diesem Wort begegnete, fragte ich mich, warum es mich in so besonderer Weise angerührt, ja in einem gewissen Sinn erschreckt hatte. Und ich gab mir selbst die Antwort: weil ich das frivole Denken und Reden als einen geradezu selbstverständlich geduldeten, ja bewußt gepflegten Stil des heutigen Lebens zu sehen meine; weil ich fürchte, daß sich unzählige Menschen in solchen tändelnden, witzelnden Geistreichigkeiten von dem letzten Rest von Ehrfurcht befreien und daß dabei ein kaum wiedergutzumachender Seelenschaden angerichtet wird. Ich will dazu gestehen, daß mir die Gefahr der Frivolität nirgends größer und verabscheuungswürdiger vorkommt, als wenn Theologen ihren Mangel an Ernst und Respekt in schnoddrigen Bemerkungen über das, was anderen Menschen heilig ist, zur Schau tragen; und ich meine in großem Ernst, daß jede Erörterung über die zum Teil sehr schwierigen und an die Wurzel gehenden Fragen unserer Theologie im Kern und in der Wurzel verderbt, ja vergiftet wird durch jeden „falschen Ton”, der die Ehrfurcht, ja die Angst vor Gottes strengem Gericht vermissen läßt. Ja ich meine, daß wir Theologen, noch mehr als der Dichter mit Bezug auf seine Verse, mit Bezug auf alle unsere Äußerungen über die Geheimnisse Gottes Grund und Anlaß hätten, zu fragen: „Es ist doch nichts Frivoles drin?”.

Quatember 1962, S. 141

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Hans Carl von Haebler

LeerIch möchte gleich aufgreifen, was Wilhelm Stählin über die Frivolität geschrieben hat, und einige Sätze wiedergeben, die ich im Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim (11. Jahrgang, Nr. 1) abgedruckt fand. Das Blatt berichtet von einem Literaten, der sich in einem Rundfunkvortrag gewünscht habe, mit dem lieben Gott einmal bei einer guten Tasse Kaffee die zehn Gebote durchzusprechen und dann auch Jesus zu fragen: „Lieber Rabbi, glauben Sie wirklich, daß jede Versuchung teuflisch sei? Hätten Sie nicht, mein teurer und verehrter Rabbi, in der Wüste aus Steinen Brot machen müssen? Haben Sie nicht für zweitausend Jahre die soziale Frage mit einem Bonmot beiseitegeschoben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein?”

LeerDer „Materialdienst” fragt sich, ob hier eine Beleidigung religiöser Gefühle vorliegt, und - verneint das! Offenbar glaubt er sich für das Recht auf Meinungsfreiheit und gegen eine allzu große katholische und konformistische Empfindlichkeit stark machen zu müssen. Vielleicht wollte der Mann wirklich nur witzig sein. Aber darin liegt ja gerade die Gefahr, daß diese Literatengattung selber nicht ernst nimmt, was sie sagt. Solche Koketterien sind nicht originell und erst recht nicht „avantgardistisch”, sondern kennzeichnen eher die Arrièregarde eines sich humanistisch gebärdenden Nihilismus. Dostojewski, dessen„ Großinquisitor” unseren Literaten hätte belehren können, was es mit der Versuchung Jesu auf sich hat, hat auch die „Dämonen” geschrieben und in ihnen jene frivole und leichtfertige Art geschildert, die keine Ehrfurcht kennt und ein Vergnügen daran findet, die Ehrfurcht der anderen lächerlich. zu machen und zu untergraben. In diesen Dämonen erkennt er die unsauberen Geister wieder, die sich „Legion” nannten und von Christus die Erlaubnis erbaten, in die Säue zu fahren.

Quatember 1962, S. 142

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-05
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