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St. Julian's
von Hans Carl von Haebler

LeerUnter den vielen Orden und Kommunitäten der anglikanischen Kirche nimmt St. Julian's Community sicherlich einen sehr bescheidenen Platz ein. Aber sie hat nach einem Artikel der Church Times, an den sich dieser Bericht hält, ihr besonderes Gepräge. Man kann nicht sagen, daß sie etwas Imponierendes an sich hat. In den 21 Jahren ihres Bestehens hat sie es nur auf 16 Mitglieder gebracht. Die Schwestern tragen keine Tracht, die sie mit einem romantischen Zauber umgeben könnte. Sie sind, wie ein Witzbold gesagt hat, den römisch-katholischen Nonnen, denen der Papst erlaubt hat, sich etwas moderner zu kleiden, um zwei Pferdelängen voraus. Was sie auszeichnet, ist wohl nur ein Blick für das, was heute gebraucht wird, und die Tatkraft, dann auch zu verwirklichen, was sie für hilfreich halten. Sie geben ein Beispiel, wie ledige Frauen sich heute zu einem gemeinsamen, nützlichen Leben zusammenschließen können.

LeerDie Gründerin und langjährige Vorsteherin, Florence Allshorn, sah auf ein hartes Leben zurück, sie war frühzeitig verwaist und hatte sich auf dem Missionsfeld verausgabt, als sie nach England heimkehrte und hier auf den Gedanken kam, anderen zu helfen, die in ähnlicher Lage waren. Zusammen mit drei Mitarbeiterinnen richtete sie ein Gästeheim ein.

LeerHeute unterhält die Schwesternschaft zwei Häuser, eines in Coolham, Sussex, und eines in Limuru in Kenya, unweit des Kilimandscharo. Und diese Häuser sind nicht etwa, wie man denken könnte, altjüngferlich-viktorianisch eingerichtet mit Antimakassars und Bibelsprüchen an den Wänden, sondern verraten einen ausgesuchten und gediegenen Geschmack und bieten alles, was von einem guten und gepflegten Privathaushalt erwartet werden kann. Die Arbeit in Küche und Haus und im Gemüsegarten wird von den Schwestern selbst geleistet. Es gibt kein bezahltes Personal.

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LeerWas für Gäste kehren in diesen Häusern ein? Die Frau eines früheren Gouverneurs von Kenya beantwortete diese Frage so: „Die meisten von uns stehen im Berufsleben. Wir müssen lernen, inmitten seiner Hast und Beanspruchung heiter und friedlich zu bleiben. Dazu will St. Julian's uns verhelfen. Hier in der ruhigen und freundlichen Atmosphäre der Kommunität können Männer und Frauen sich treffen, miteinander aussprechen und - schweigen.” Man fragt nicht nach dem Bekenntnis, nicht danach ob jemand überhaupt glaubt. Das einzige, was im Interesse der Gäste verlangt wird, ist Ruhe bei Tisch und in der Bibliothek, die übrigens sehr reichhaltig ist und in der die Gäste ungestört arbeiten können - Gäste, die nach anstrengendem Wochenwerk über die Feiertage kommen, Gäste, die psychisch oder physisch Schweres durchgemacht haben. Oft finden Retraiten und Tagungen statt. Wer Kinder hat, kann sie nebenan abgeben, wo sie von Schwestern mit ärztlichen und pflegerischen Erfahrungen betreut werden.

LeerDas Haus in Limuru steht auch den Schwarzen offen. Hier, inmitten der Auseinandersetzung zwischen den Rassen, wirkt St. Julian's wie eine Herausforderung.

LeerBeide Häuser haben Kapellen, in denen die Kommunität Morgen-und Abendandachten hält und fast jeden Sonntag kommuniziert. St. Julian's hat etwas von der Nüchternheit der Quäker. Man appelliert nicht an religiöse Gefühle, aber man müßte schon völlig phantasielos sein, wenn man sich von dem mit Stroh bedeckten Fußboden nicht an das irdische Zuhause des Menschgewordenen erinnern ließe - an den Stall von Bethlehem.

LeerWer die Orden und Kommunitäten nach ihrer Größe, nach ihrer geistesgeschichtlichen Bedeutung, nach der Strenge ihrer Regel beurteilt, dem entgeht etwas ganz Unscheinbares, aber Entscheidendes: Ich meine, die Bedeutung der Privatinitiative im Raum der Kirche, die Bedeutung, die der Becher kalten Wassers im Evangelium hat.

LeerDie Kirche wird von unten aus gebaut, und die zu nichts verpflichtende Erwartung, daß den neuen Ordensgründungen gelingen könnte, was der Kirche nicht mehr gelingen will, dieses Vertrauen auf ein „ohne mich” funktionierendes Christentum wäre verhängnisvoll.

LeerVon kleinen und anspruchslosen Unternehmen wie St. Julian's wird man zwar nicht erwarten können, daß sie „die Kirche retten” und eine Reform an Haupt und Gliedern herbeiführen. Aber ist es nicht ebenso wichtig, daß sie dem Menschen, der sich so schwer in die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse und in das Schicksal seines Jahrhunderts findet, durch ihre Einfälle und durch ihr Vorbild zu einer ausgeglichenen und aufgelockerten christlichen Lebensführung verhelfen?

Quatember 1962, S. 178-179

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-03
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