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Briefe [Nachsommer]
von Wilhelm Stählin

LeerAls Beitrag zu meinem Büchlein vom anmutigen Leben (das nie fertig werden wird) muß ich diesmal eine Leichenrede halten. Mit besonderer Freude habe ich durch Monate eine Zeitschrift gehalten und wirklich gelesen, der ich gern bescheinigen mochte, daß sie in einem sehr schönen Sinn „anmutig” gewesen ist; sie nannte sich „Nachsommer” und stellte sich selbst vor als eine „Monatsschrift für die reife Generation”, vielleicht hätte sie ehrlich sagen sollen: „Für alte Leute”. Diese Monatsschrift fütterte ihre Leser nicht mit der fragwürdigen Kost von Skandälchen und Sensatiönchen; sie machte keinen Versuch, durch indiskrete Einbrüche in die „Intimsphäre” berühmter Leute attraktiv zu werden; sie machte auch nicht durch popularisierte Wissenschaft eine Verbeugung vor der beliebten Halbbildung und suggerierte auch nicht durch fragwürdige Anzeigen ihren Lesern Wünsche oder Bedürfnisse, die sie gar nicht haben.

LeerDafür brachte sie neben ausgewählt schönen Fotos von Landschaften, Kunstwerken, Kindern und Tieren gute Aufsätze von namhaften Autoren in einer gepflegten Sprachgestalt, nützliche Winke für den Umgang mit Menschen, für Reisen („Ferien mit dem Ich” statt „Ferien vom Ich”) und für Blumenpflege, unterhaltsame Erzählungen mit hintergründigem Gehalt, oft mit herzerquickendem Humor und manchen treffenden Witzen, über die man herzhaft lachen konnte, ohne sich auch nur ein bißchen schämen zu müssen. Kurzum, der „Nachsommer” war eine anmutige Zeitschrift; sie war so anständig und anmutig, daß der Verlag (Josef Keller in Starnberg) nun die betrübliche Mitteilung machen mußte, daß die Zeitschrift ihr Erscheinen einstellen muß, weil die für das Weitererscheinen notwendige Bezieherzahl nicht zu erreichen war. Kann man sich darüber wundern? Der „Nachsommer” verzichtete auf alles, was anderen Zeitschriften ihre Millionenauflage verschafft, und er wollte sie auch nicht durch das Anzeigengeschäft finanzieren. Aber zur Anmut gehört eben doch wesentlich auch dieses, daß man bestimmte Dinge nicht tut.

LeerZeitschriften können eine schlimme Plage sein; auf den „Nachsommer” habe ich mich jedesmal gefreut und habe mir Zeit genommen, ihn mit Behagen zu lesen; nun bin ich traurig, daß offenbar zu wenig Leute einen guten Geschmack haben.

Quatember 1962, S. 190

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-05
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