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Die Eucharistie als pfingstliches Mahl
von Hans Carl von Haebler

LeerPfingstenUnser Bild gehört zu einem Flügelaltar und kann in dem Zusammenhang, in dem es steht, nur als eine Darstellung des Pfingstereignisses verstanden werden. Aber diese Darstellung ist ungewöhnlich und weicht stark von der üblichen Ikonographie ab: Keine Feuerzungen, die sich auf den Häuptern der Apostel niederlassen und auflodern, kein öffentliches Schauspiel für Parther, Meder und Elamiter! Die Apostel sitzen mit der Mutter Jesu in familiärer Vertrautheit um einen kreisrunden Tisch und feiern das heilige Mahl. Sie sind vollzählig, doch ist Judas Ischarioth nicht durch Matthias ersetzt, der nach der Apostelgeschichte zur Vervollständigung der Zwölfzahl ausgelost wurde, sondern durch Paulus.

LeerDer Völkerapostel sitzt neben Johannes, so wie Petrus neben der Jungfrau sitzt, und, wie dieser an seinem breiten, ist er an seinem langen spitzen Bart zu erkennen. Es gab Bibeln, welche die Geschichte von der Zuwahl des Matthias nicht enthielten, bei welchen also das Pfingstereignis (Apg. 2) unmittelbar auf Apg. 1, 14 folgte, wo berichtet wird, daß die Jünger stets beieinander waren, einmütig mit Beten und Flehen, samt den Weibern und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern. Maria repräsentiert also auf unserem Bilde die Familie Jesu und die, vor allem aus Frauen bestehende, Urgemeinde, sie repräsentiert die Kirche. Zusammen mit Johannes, den der Herr ihr zum Sohne gegeben hatte, sitzt sie obenan am Tische und bewirtet die Zwölf. Es ist wichtig, daß die Mutter des Herrn zugegen ist. Sonst würde der Eindruck entstehen, als wenn die Kirche nur aus den Aposteln und ihren Nachfolgern, Pfarrern, Lehrern und Missionaren, bestünde und als wenn es nur auf das Verkündigen ankäme, nicht auch auf das Hören und Bewahren, nicht auch und vor allem auf die Gemeinschaft am Leibe des Herrn, „der von seiner Mutter Maria kam” (EKG 163):
Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen:
wir sind, die wir von einem Brote essen,
aus einem Kelche trinken, alle Brüder
und Jesu Glieder.
LeerAuffällig und historisch unhaltbar ist es, daß sich der Apostel Paulus in der Tafelrunde befindet; denn dieser war ja in jenen Pfingsttagen noch ein Saulus, der „mit Drohen und Morden wider die Jünger des Herrn schnaubte”. Aber das wußte der Maler unseres Bildes auch. Wenn wir trotzdem den Völkerapostel am Tisch finden, dann deutet das darauf hin, daß der Maler gar nicht das historische Ereignis schildern wollte; er hat sich vielmehr die Auf gäbe gestellt, den Zusammenhang zwischen dem Pfingstfest und der Feier der Eucharistie darzustellen.

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LeerIn der römischen Messe und in den Gottesdiensten der abendländischen Christenheit wird dieser Zusammenhang nicht so deutlich wie in der Liturgie der Ostkirche, die noch die Anrufung des Heiligen Geistes über den Gaben von Brot und Wein kennt. Die Evangelische Michaelsbruderschaft, die - ebenso wie die Communauté de Taizé - dieses Gebet, die sogenannte Epiklese, übernommen hat, gab ihm folgenden Wortlaut: „Herr, allmächtiger Gott, sende herab auf uns Deinen Heiligen Geist, der lebendig macht, und erfülle mit ihm das Haus Deiner ganzen Kirche, durch Ihn heilige und erneuere uns nach Leib und Seele, durch Ihn heilige diese Deine Gaben zum Brote des ewigen Lebens und zum Tranke des immerwährenden Heils.” Genau das finden wir auf unserem Bilde dargestellt.

LeerMit Maria ist die ganze Kirche und mit den zwölf Aposteln ist ihre weltweite Ausbreitung gemeint. Der Heilige Geist aber fährt in Gestalt einer weißen Taube vom Himmel herab, um die eucharistische Gabe zu heiligen und durch sie die Empfänger. Es ist bemerkenswert, wie das bildhaft gemacht wird: Die Taube trägt eine Hostie im Schnabel, die sich alsbald mit der von den Menschen dargebrachten Hostie auf dem Tisch verbinden wird, die himmlische mit der irdischen Substanz. Schon ist die Verbindung erfolgt, und von der Hostie auf dem Tisch gehen Strahlen aus, die zum Munde der Abendmahlsgäste führen und ihnen Christus einverleiben. Der runde Tisch wird zur Tafel, die Gott uns gedeckt hat, er weitet sich zur Erdscheibe, die ihren Mittelpunkt in der Hostie hat und von dieser Glanz und Leben empfängt.

LeerUnser Bild ist ein anschaulicher Beweis dafür, daß die Kirche um 1400 die Epiklese der Sache nach noch hatte, obwohl ihr das formulierte Gebet fehlte, Nicht die Rezitation der Einsetzungsworte durch den Priester, nicht eine wie immer geartete magische Bemächtigung des Heiligen bewirkt hier das Wunder der gottmenschlichen Einung, sondern die Heiligung der Speise durch den von Christus gesandten Geist. Eine Parallele zu dieser Darstellung findet sich übrigens in der Geschichte von der Kommunion des heiligen Sergius von Radonesch († 1391). Da berichtet ein Augenzeuge, daß er „Feuer auf dem Opfertisch wandeln, über dem Altar schweben und die heilige Speise umgeben sah; und als der Heilige kommunizieren wollte, rollte sich das göttliche Feuer zusammen wie ein Schleier und ging in den heiligen Kelch ein (in den nach orthodoxem Ritus auch das Brot gebrockt wird; Anm. der Schriftleitung), und so kommunizierte der Hochwürdige” (vergl. Ernst Benz, Russische Heiligenlegenden, Seite 359).

LeerDaß die Kommunion auf unserem Bilde unter einerlei Gestalt erfolgt, hat hier gewiß keine theologischen Hintergründe. Wir haben vielmehr an das Wunder der Brotvermehrung zu denken, das seit jeher auf das Abendmahl bezogen wurde und das darauf hinweist, daß der in der kleinen Hostie verborgene Christus die ganze Kirche zu ernähren vermag.

Quatember 1963, S. 97-98

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-29
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