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von Karl Eichmeyer |
In dem ökumenischen Gespräch unserer Tage und in den Auseinandersetzungen für und gegen die Interkommunion sollten auch die Stimmen der Kirchenväter gehört werden. Es gibt unter ihnen ja noch Apostelschüler und solche, die zu den Füßen dieser Schüler gesessen sind. Daß sie alle miteinander die Apostel falsch verstanden hätten, daß mit dem Tode des Apostel Paulus die reine Lehre erloschen und erst am 31. Oktober 1517 wieder aufgetaucht sei, ist ein Mythos, der nicht mehr überzeugt. Wir wollen uns in den folgenden Ausführungen auf die vorkonstantinischen Kirchenväter beschränken. Es muß uns als Protestanten auffallen, daß die Väter den christlichen Gottesdienst ausnahmslos als Opfergottesdienst betrachten. Schon die Didache, die das Abendmahl, das Jesus mit den Jüngern am Gründonnertag feiert, nicht erwähnt, nennt gleichwohl die christliche Mahlfeier eine thysia (Opfer). Justin, Irenäus, Tertullian, Hippolyt und andere sehen im eucharistischen Opfer die Erfüllung der Weissagung: „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang soll mein Name herrlich werden unter den Heiden und ein reines Speiseopfer geopfert werden, denn mein Name soll herrlich werden unter den Heiden.” (Mal.1, 11) Als Opfer gilt die Feier der Eucharistie zunächst darum, weil die Gemeinde mit ihrem Opfer vor ihren Herrn tritt. Von diesem Opfer sagt Irenäus: „Die Israeliten haben den Zehnten von dem Ihrigen geheiligt; die aber, welche die Freiheit erlangt haben, bestimmen all das Ihre zum Gebrauch des Herrn, wie jene Witwe ihren ganzen Lebensunterhalt in die Schatzkammer Gottes gelegt hat. Aber nicht die Opfer heiligen den Menschen, sondern das reine Bewußtsein des Opfernden heiligt das Opfer und bewirkt, daß es Gott wie von einem Freunde annimmt.” Mit den irdischen Gaben wird also das ganze Sein dem Herrn zur Verfügung gestellt. Justin berichtet uns, daß das Opfer der Gemeinde für die Waisen und Witwen, für die Gefangenen und Fremdlinge dargebracht wird. Keiner hat Wert und Freude dieses Opfers höher gepriesen als Cyprian von Carthago († 257): „Was wir Gott anvertrauen, kann weder der Staat rauben, noch der Fiskus angreifen, noch irgendeine Verleumdung vor Gericht vernichten. Wie herrlich ist ein Geschenk, dessen Spendung vor Gottes Augen gefeiert wird! Wenn schon bei einem Schauspiel der Heiden es groß und ehrenvoll erscheint, daß Prokonsule und Feldherren dabei anwesend sind, um wieviel herrlicher und größer ist der Ruhm eines Schauspieles, das Gott und Christum zu Zuschauern hat? Um wieviel reichlicher muß Aufwand und Zubereitung sein, wo die Heerscharen des Himmels zu dem Schauspiel kommen, wo die Engel sich versammeln, wo von dem, der das Schauspiel gibt, nicht das Konsulat verlangt, sondern das ewige Leben verliehen wird?” Soweit können wir von unserm Gottesdienstverständnis her den Opferbegriff der Väter ohne Schwierigkeiten verstehen. Aber sie sprechen vom Opfer in der Eucharistie auch noch in einem anderen Sinn. Es werden nicht nur Opfer dargebracht, sondern am Altar geschieht ein Opfer. Unbefangen spricht Cyprian von dem Schauspiel, das sich hier vollzieht. Ein Drama nennt es Clemens von Alexandrien. Das große Eucharistiegebet, das bei der Darbringung über den Elementen gesprochen wird, enthält also die Einsetzungsworte. Daß diese mit der Anrufung (Epiklese) Gottes verbunden sind, er möge Brot und Wein zum Leib und Blut des Herrn für die Gemeinde machen, bezeugen alle Väter jener Zeit. Durch die Epiklese werden nach Origines die Elemente mit dem Logos verbunden. Nach Irenäus wird das Brot der Erde zum Brot der Eucharistie. Im Eucharistiegebet Hippolyts von Rom wird die ganze Heilsgeschichte von der Fleischwerdung des Wortes bis zur Selbsthingabe in der Nacht des Verrates entfaltet. Nach den Einsetzungsworten wird sodann in der Epiklese um das Kommen des Geistes gebetet, damit das Opfer der Gemeinde sich mit dem Opfer des Herrn so verbinde, daß die Gemeinde im Glauben gestärkt und mit dem Heiligen Geiste erfüllt werde. In ähnlicher Weise verbindet Cyprian von Carthago die oblatio (Opfergabe) der Gemeinde mit dem sacrificium (Opfer) Christi. Kraft des Heiligen Geistes wird die oblatio zum sacrificium. Es handelt sich also in der Eucharistie um eine Opferfeier im doppelten Sinn: Die Gemeinde naht dem Herrn mit ihrem Opfer, das, leiblich und geistlich, ein Ganzopfer sein soll; Christus aber läßt das Opfer, das er ein für allemal vollbracht hat, dessen wirkende Kraft und Gültigkeit aber von allen Schranken der Zeit und des Raums befreit ist, in der Gemeinde gegenwärtig sein. Melanchthon hat in seiner Apologie (Art. 24) sehr genau zwischen dem sacrificium eucharistikon (Dankopfer der Gemeinde) und dem sacrificium propitiatorium (Sühneopfer Christi) unterschieden. Eine solch saubere Scheidung wird man bei den Vätern vergeblich suchen. Wenn vom eucharistischen Opfer die Rede ist, gehen die beiden Opferbegriffe ständig ineinander über. Ich glaube nicht, daß dies auf einen Mangel an theologischer Denkschärfe zurückzuführen ist. Beides bedingt einander. Es ist nach der Überzeugung der Väter unmöglich, daß die Gemeinde dem Opfer Christi nur als „Zecher auf Christi Kreide” gegenübersteht. Das Opfer Christi wird sinnlos, wenn ihm nicht Glaube, Hingabe und Opfer antwortet. Das Opfer des Menschen wird sinnlos, wenn es nicht geschieht im Glauben an das rettende Opfer des Herrn. In der Kirche wird nun dieses Gefäß mit neuem Inhalt gefüllt. Das Urmysterium der Eucharistie ist kein Mythos, sondern die geschichtliche Tatsache des Todes Christi, der seit der Auferstehung aller Zeit entnommen ist. Was in den Mysterien Traum war, hier ist es Wirklichkeit, was dort Ahnung war, hier ist es Erfüllung. Die Analogien zwischen griechischem und christlichem Mysterium werden von den Vätern verschieden gedeutet. Justin und andere Apologeten sehen die List der Dämonen am Werke. Weil sie wissen, daß die Menschen durch Taufe und Eucharistie gerettet werden, schaffen sie Blendwerke, um die Menschen von der rettenden Wahrheit wegzulocken. Ganz anders urteilen die Alexandriner: Es ist ein und derselbe Logos, der in Israel und in Hellas am Werke war. Dieser Logos hat sich im Drama der Mysterien ein Gefäß bereitet, das nun die Wahrheit benützen kann. (Der „präinkarnierte Christus”, von dem in Neu-Delhi 1961 die Rede war und der von der deutschen Delegation als unausgegorenes Theologumenon bezeichnet worden ist, hat schon in der Theologie Alexandriens vor 1700 Jahren eine große Rolle gespielt!) Bedeutsam erscheint uns bei den Vätern auch der unüberbietbare Realismus im Glauben an die Gegenwart des Herrn im Sakrament. Die Kirche ist zwar in diesen Jahrhunderten ständig von Schismen bedroht - Gnosis, Montanismus, Novatianismus - aber hinsichtlich der Realpräsenz gibt es keine Debatten. Nicht einmal der Spiritualismus der Gnostiker scheint es gewagt zu haben, daran zu rütteln. Jedenfalls weisen Irenäus und Tertullian auf diese Inkonsequenz hin. „Hat er etwa deswegen das Brot zu seinem Leib gemacht, weil er gar keinen wirklichen Leib besaß und deswegen das Brot dahingeben mußte? Wenn er keinen Leib besaß und doch das Brot seinen Leib nannte, dann hätte ja das Brot gekreuzigt werden müssen” (Tertullian). Origines ist überzeugt, daß für den wahren Gnostiker der leibliche Empfang der Elemente entbehrlich ist, bezeugt aber die reale Gegenwart des Leibes und Blutes Christi als gemeinsamen Glauben der Kirche. Das Zeugnis der direkten und indirekten Johannesschüler läßt keinen Zweifel offen, daß das 6. Kapitel des Johannesevangeliums sakramental zu deuten ist. Cyprian führt massive Beispiele dafür an, daß Fleisch und Blut wahrhaftig gegenwärtig sind. Ein Kind, das vor dem Empfang der Eucharistie in heidnischen Opferwein getauchtes Brot genossen habe, habe Brechkrämpfe bekommen, da in einem so befleckten Mund und Körper die heilige Speise nicht habe bleiben können. Eine Person, die mit unreinen Händen ein Gefäß berühren wollte, in dem das Heilige aufbewahrt wurde, sei durch herausfahrende Flammen abgeschreckt worden. Was immer man von solchen Geschichten denken mag, sie bezeugen den Glauben jener Zeit. Gewiß werden die Elemente auch Zeichen genannt. Irenäus nennt sie antitypa, Tertullian figurae. Reformierte Theologen haben daher ein symbolisches Verständnis vermutet. Wenn das Wort Symbolen im wörtlichen Sinn als ein Zusammenfallen von irdischen Zeichen und göttlicher Wirklichkeit verstanden wird, ist nichts dagegen einzuwenden. Versteht man aber unter Symbol ein äußerliches Zeichen, durch das ein mitteilendes, verkündigendes Wort zur Verstärkung des Eindrucks unterstrichen werden soll, so wird man diese Bedeutung bei keinem der Väter finden. Auch die augustinische Fassung des Sakraments als verbum visibile kennt diese Zeit nicht. Das wunderbare Geschehen, daß in der Mitte der Gemeinde aus ihrer oblatio das sacrificiumdes Herrn wird und die metabolé (Wandlung) des Brotes zum Leib des Herrn sich vollzieht, ist nur im pneuma möglich. Diese eschatologische Gabe, in der alle Zeit aufgehoben ist, kann aus dem vergangenen das gegenwärtige Geschehen machen. Darum findet sich auch bei allen Vätern, die über den Gottesdienst schreiben, die Epiklese, die Anrufung des Heiligen Geistes. Der Gedanke, daß priesterliche Macht durch die Rezitation der Einsetzungsworte den erhöhten Herrn auf den Altar rufen könnte, liegt außerhalb der Denkmöglichkeiten der frühchristlichen Zeit. Nur im Geist und im Schoß der Gemeinde können die „schauervollen” und beseligenden Geheimnisse geschehen. Gleichwohl taucht schon sehr früh der Gedanke auf, welchen Händen der Vollzug des Mysteriums anvertraut werden soll. Sie gehört zu den ersten Fragen, die im Schrifttum der nachapostolischen Kirche auftauchen. Im Schreiben des Clemens Romanus an die Gemeinde in Korinth (96 n. Chr.) wird die Darbringung der Opfergaben als das wichtigste Amt der Bischöfe und Presbyter bezeichnet (44, 4). Sie haben ihr Amt von Gott und können von der Gemeinde nicht abgesetzt werden. Ignatius von Antiochien († 110) gibt der Gemeinde von Smyrna die Anweisung: „Nur die Eucharistie kann als rechtmäßig gelten, die unter der Leitung des Bischofs oder des von ihm Beauftragten gefeiert wird. Wo sich der Bischof zeigt, da soll auch die Gemeinde sein, wie da, wo Christus ist, die katholische Kirche ist. Ohne Mitwirkung des Bischofs darf nicht getauft oder ein Liebesmahl gefeiert werden. Nur was er billigt, ist Gott angenehm.” Der entschiedenste Episkopalist unter den vorkonstantinischen Vätern ist wohl Cyprian: Außerhalb der bischöflich verfaßten Kirche gibt es kein Heil. Jede Eucharistie außerhalb der katholischen Kirche ist ungültig (Ep. 72, 2). Die Entscheidung der afrikanischen Synode (256 n. Chr.), daß auch die Taufe, die außerhalb der Kirche vollzogen wird, als ungültig zu betrachten sei, führt zum Ketzertaufstreit mit Papst Stephan. Daß Bischofsamt und Eucharistie eng zusammengehören, ist jedenfalls Überzeugung der gesamten Kirche. Die Verbindung der eucharistischen Feier mit der Predigt bezeugt uns Justin, der Märtyrer. Er unterscheidet die Eucharistie des Herrentages von der der Wochentage und ordnet die Predigt nur jener zu. Sie hat, wie auch die im Pliniusbrief erwähnte, paränetischen Charakter. Die aus der Kraft des Opfers Christi lebende Gemeinde ist berufen, ihm gleichförmig zu werden. „Werdet Nachahmer Christi, wie auch er Nachahmer des Vaters ist”, schreibt Ignatius von Antiochien an die Philadelphier. Außer den Homilien der Alexandriner haben wir wenig Predigtliteratur. Die allegorische Schriftauslegung gibt reichlich Gelegenheit, die Beziehung zu den Mysterien herzustellen. Ein Blick in das gottesdienstliche Leben der Väterzeit zeigt uns, wie sehr die Eucharistie die Klammer ist, die alle Gebiete des geistlichen Lebens miteinander verbindet. Warum müssen die dogmatischen Fragen durchgekämpft werden? Weil Gnosis und Arianismus, die Leugnung der wahren Menschheit und der wahren Gottheit Christi, das Mysterium aushöhlen und den Vollzug der eucharistischen Feier sinnlos machen. Warum wird schon in der frühesten Zeit Wert auf die rechtmäßige Sukzession gelegt (mit Ausnahme des Montanisten Tertullian, der ein vom Amt gelöstes Pneuma verkündet)? Weil das Mysterium nur in die Hände solcher gelegt werden darf, die von Gott selber berufen und bevollmächtigt worden sind. Warum wird auf Kirchenzucht so großes Gewicht gelegt, daß die Schismen jener Zeit zum großen Teil durch Lockerungen der Zucht herbeigeführt worden sind (Meletius, Felicissimus, Novatian, Donatus)? Weil jeder leichtfertige und unbußfertige Umgang mit den „schauervollen Geheimnissen” eine tödliche Gefahr bedeutet. So ist die Eucharistie die Mitte und das Herz alles Lebens der Kirche. Wie aber das Herz einen Doppelschlag aufweist, den Lebensstrom gibt und empfängt; wie im Atemholen „zweierlei Gnaden” sind, so finden wir auch hier beides: gläubige Hingabe des Lebens, alles dessen, was wir bei uns haben, und gläubiger Empfang des ewigen Lebens, das uns Christus durch seinen Tod und seine Auferstehung gewann. Wo immer sich der Doppelschlag in eine Monotonie verwandelt, muß das geistliche Leben erkranken. Quatember 1963, S. 112-117 |
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