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von Jörg Erb |
geb. am 10. April 1583; gest. 28. August 1645 Hugo Grotius, ein hochbegabter und vielseitig gebildeter Mann, wurde aus reformierter, altholländischer Familie am 10. April 1583 in Delft geboren, wo sein Vater Bürgermeister war. Im Alter von elf Jahren bezog er die Hochschule zu Leyden, erwarb sich mit fünfzehn Jahren in Orleans die Würde eines Doktors der Rechte und kehrte dann in die Heimat zurück, wo er bald zum ersten Staatsanwalt der Provinz Holland bestellt wurde und der Stadt Rotterdam als Rechtsbeistand diente. Der frühe Gelehrtenruhm und die glänzende Laufbahn vermochten seinem aufrechten Charakter nichts anzuhaben; er war ein lebendiger Christ aus innerer Nötigung und ein Theologe von ökumenischer Sicht, dessen Tragik darin bestand, daß er im Jahrhundert der Glaubenskämpfe leben mußte. Schon in jungen Jahren fühlte er sich weniger der niederländischen Kirche als der ecclesia catholica zugehörig; ihre innere und äußere Einheit wieder herzustellen, erschien ihm als eine große Lebensaufgabe. Was ihm neben seiner Berufsarbeit an Zeit und Kraft übrigblieb, das wollte er einsetzen, um den Streit auszuräumen, der die Kirche zerstörte; keine Enttäuschung und kein Mißerfolg sollten ihn in seinem Einigungsstreben aufhalten. In den Niederlanden tobte zu dieser Zeit innerhalb der reformierten Kirche ein erbitterter Streit um die Lehre Calvins von der doppelten Vorherbestimmung des Menschen zum ewigen Heil und zur ewigen Verdammnis. Die Mehrzahl der Theologen, angeführt von Franz Gomarus und nach ihm Gomaristen genannt, lehrte diesen Glaubenssatz mit unerbittlicher Schärfe. Ihr stand die gemäßigte Gruppe der Remonstranten gegenüber, die, auf Melanchthon fußend, bestritt, daß die Lehre von der Prädestination in der Heiligen Schrift begründet sei, und die sich dem Versuch widersetzte, dieses Dogma allen reformierten Niederländern aufzuzwingen. Dieser Gruppe schloß sich auch Hugo Grotius an und rückte bald in ihre Führungsspitze auf. Er hielt den umstrittenen Lehrsatz für eine Besonderheit des calvinistischen Bekenntnisses und den Streit darum für ein Unglück; er erstrebte eine Einigung im Wesentlichen und Notwendigen und wollte diese Einheit zum Ausdruck bringen. So faßte er den Plan zu einem Konzil aller reformatorischen Kirchen mit Einschluß der Anglikaner und Griechisch-Orthodoxen zu dem Zweck, ein gemeinsames Bekenntnis zu erarbeiten, das nur enthalten sollte, was für alle Christen heils- und glaubensnotwendig ist. Der Streit um die Lehre von der Vorherbestimmung nahm ein böses Ende. Auf der Synode zu Dortrecht im Jahre 1619 wurden die Aussagen über die Prädestination in das reformierte Bekenntnis aufgenommen. Zwölf Theologen aus der Gruppe der Remonstranten widerstanden; ihnen rief der Vorsteher der Synode zu: „Mit Lügen habt ihr begonnen, mit Lügen habt ihr aufgehört; ihr seid entlassen, geht, geht!” Damit waren die Remonstranten als Ketzer gebrandmarkt, und ihre Gottesdienste wurden verboten; ihre Führer, Oldenbarneveldt und Grotius, befanden sich zu diesem Zeitpunkt schon in Haft. Die Rechtsgründe für ihre Gefangensetzung sind schwer durchschaubar, doch scheint sich, wie so oft, mit der Glaubensüberzeugung auch eine bestimmte politische Überzeugung verbunden zu haben, gegen die vorzugehen der Staatsgewalt zweckmäßig schien. Die Remonstranten waren überzeugte Republikaner, die die Eigenständigkeit der einzelnen Provinzen fördern wollten, während der Statthalter, Herzog Moritz von Oranien, auf der Seite der Gomaristen stehend und also der Prädestinationslehre zugetan, die Zentralgewalt zu stärken trachtete. Er konnte den Streit zu seinen Gunsten entscheiden. Im Mai 1619 wurde der ehrwürdige Oldenbarneveldt hingerichtet, während Grotius zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde. Auf Schloß Loevestein im Maasdelta erhielt er ein geräumiges Zimmer angewiesen, und da ihm Bücher geschickt werden durften, begann er alsbald zu arbeiten und legte den Grund zu seinem berühmten theologischen Werk „Anmerkungen zum Alten und Neuen Testament”, das unbestritten als die beste historisch-philologische Bibelauslegung des 17. Jahrhunderts gilt. Da er sich weigerte, um Gnade zu bitten, mußte er sich darauf einstellen, sein Leben in der Haft zu beschließen. „Frei von öffentlichen Geschäften, die der Seele keinen Frieden gönnen, und entnommen dem Schwarm der Menschen, deren Einfluß meist verderblich ist”, führte er nach seiner eigenen Darstellung ein asketisches Leben, in dem er viel Zeit auf das Gebet und das Lesen der Heiligen Schrift verwandte. Dennoch erlangte er, noch ehe das zweite Jahr seiner Haft abgelaufen war, die Freiheit wieder, nicht durch den Statthalter oder seine Richter, sondern durch seine Gattin, die tapfere Maria von Reigersbergh. Sie schickte ihm die Bücher, die er begehrte, in einem kastenartigen Koffer, in dem sie auch wieder zurückgebracht wurden. Als im März 1621 die mit der Überwachung betrauten Soldaten die große Bücherkiste in Loevestein wieder auf den Wagen hoben, mußten sie sich mehr anstrengen als sonst, faßten aber keinen Argwohn und fuhren den Häftling - denn er befand sich in dem Bücherkoffer - selbst in die Freiheit. So lebte Hugo Grotius während seiner langen Verbannung von 1621 bis 1645 in einem katholischen Land und lernte die römische Kirche aus eigener Anschauung kennen. Man kannte dort seine ökumenische Einstellung, umwarb ihn heftig, legte ihm den Übertritt nahe und stellte ihm für diesen Fall ein reichliches Einkommen in Aussicht; aber Grotius antwortete, er habe immer die Wahrheit bekannt ohne Rücksicht auf den Profit und gedenke es auch ferner so zu halten. Durch lange Jahre hindurch treten seine Bemühungen um die Einigkeit und den Frieden der Kirche ganz zurück, als hätte er, was ihm in jungen Jahren als eine große und verpflichtende Lebensaufgabe erschienen war, völlig vergessen. Erst im Jahr 1640 beginnt er sein Friedenswerk zum zweiten Male, und zwar in der Form selbständiger und umfangreicher Schriften, die sich in kurzem Abstand folgen. In einem Werk über die neutestamentlichen Stellen vom kommenden Antichrist wendet er sich gegen Luthers Auslegung, daß diese Stellen gegen das Papsttum gerichtet seien. In seinem „Weg zum Kirchenfrieden” findet er keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Beschlüssen des Konzils von Trient und dem Augsburger Bekenntnis und zeigt Verständnis für den Zölibat, die Priesterweihe, die Anrufung der Heiligen und die apostolische Sukzession. Während er einst der Überzeugung gewesen war, daß die römische Kirche die Freiheit unterdrücke und eine Einigung mit ihr nicht möglich sei, sieht er nun in der Rückkehr der reformatorischen Kirchen zur römischen Mutterkirche den einzigen Weg zur Einheit und im rechten Gebrauch der päpstlichen Macht den einzigen Rettungsanker für das steuerlos dahintreibende Europa. Er ist noch im Reformationsjahrhundert geboren, in dem die Einheit der christlichen Welt zerbrach. Er hat, ähnlich Melanchthon, diesen Bruch nie verwunden, sondern auf eine Überbrückung der Gegensätze hingearbeitet. Der ewige Streit und die unduldsame Rechthaberei im evangelischen Lager waren ihm in der Seele zuwider, er rieb sich wund an der Friedlosigkeit der Welt und der Zerrissenheit der Kirche. Ein heißer Drang trieb ihn an, Europa zu entgiften und unter einem Dach zu vereinigen. Er selbst hat sich als einen homo societatis, als einen Menschen der Gemeinschaft und als einen pacis studiosus, als einen Friedenseiferer bezeichnet. Schließlich scheint er den Frieden um jeden Preis, auch um den Preis der Rückkehr zur römischen Kirche, angestrebt zu haben, zumal er in ihr Spuren, ja mehr als Spuren der wahren und einen Kirche erkannte. Aber auf diesem Weg war ihm kein Erfolg beschieden; er fand in der reformierten Kirche erbitterten Widerstand, und auch die engeren Gesinnungsgenossen verstanden ihn nicht mehr und rieten dringend zur Vorsicht und Besonnenheit; aber Grotius kümmerte sich nicht um diese Mahnungen, viel weniger noch um die Schmähungen, die ihn einen Verräter schalten. Ohne nach rechts und links zu blicken, ging er seinen Weg und setzte selbst seine diplomatische Stellung aufs Spiel. Wie er ohne Amt sein Leben fristen und seine Familie ernähren wollte, weiß man nicht; aber es ist für ihn kennzeichnend, daß ihn auch wirtschaftliche Ungesichertheit nicht abzuschrecken vermochte. Offenbar hat seine Einstellung zu Spannungen mit der schwedischen Krone geführt. Da er nicht gesonnen war, Rücksicht auf seinen diplomatischen Auftrag zu nehmen, reiste er im Jahr 1644 nach Schweden, seine Entlassung zu erbitten, und gab noch unterwegs eine Schrift in die Presse, in der seine weitgehende Bejahung des Katholizismus am deutlichsten umrissen war. Auf der Rückkehr geriet sein Schiff in einen schweren Sturm und wurde vor Danzig auf den Strand geworfen. Grotius mußte, wiewohl er Fieber hatte, die Reise im offenen Wagen fortsetzen. Am 26. August gelangte er nach Rostock, wo er zwei Tage später entschlief. Quatember 1963, S. 122-125 |
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