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Simul justus, simul peccator
von Horst Schumann

LeerIn diesem Winter wurde in Köln von römisch-katholischer Seite ein Vortrag gehalten, der ausgesprochenermaßen und ganz bewußt um eine evangelische theologische Formel kreiste. Es sprach am 10. Januar in der überfüllten Peterskirche in der Sternengasse der Innsbrucker Dogmatiker Karl Rahner SJ über die Rechtfertigung.

LeerIch gebe einen Abriß meiner Nachschrift; was ich wörtlich zitieren kann, ist in Anführungszeichen gesetzt.

LeerDas Thema sollte sein „Das katholische Verständnis der Rechtfertigung”, ausgehend von der Formel „der reformatorischen Theologie”: Simul justus, simul peccator (zugleich ein Gerechter und ein Sünder). Ausgangspunkt sei das erschrockene Gewissen vor Gott und die totale Kapitulation dessen, der sich ganz auf das gerechtsprechende Erbarmen Gottes angewiesen weiß. Dabei gilt: Der Gerechtgesprochene, Gerettete, das geliebte Kind Gottes, ist auf sich gesehen immer Sünder. Es geht um das Dennoch der reinen Tat Gottes am Sünder, um die Paradoxie, aus der unergründlichen, unverdienten Gnade Gottes zu leben - wobei die urgewaltige Kraft dieses Erlebnisses betont wurde, das übrigens auch nicht rein forensisch, als bloßes „als Ob” Gottes gemeint sei.

LeerIn einem zweiten Teile wurde das Tridentinische Nein zu dieser reformatorischen Formel dargestellt. Es liege alles daran, daß sich durch die Rechtfertigung etwas ereignet, was nun da ist und vorher nicht da war. Die Rechtfertigung müsse als eine wirkliche Zäsur im Leben des Menschen angesehen werden, weil es ein Handeln Gottes und darum eine wirkliche neue Schöpfung ist. Es geschieht durch die Tat Gottes etwas am Menschen. Es sei die katholische Haltung, immer und radikal Gottes Macht und Gnade die Ehre zu geben. „Die Rechtfertigung ist wirklich und in Wahrheit etwas, was den Menschen innerlich und bis in die letzte Wurzel seines Seins umgestaltet und heilt.” Es geht um die Prävalenz, um die Gültigkeit der Tat Gottes am Menschen.

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LeerNun aber wurde in dem dritten, ausführlichsten Teil des Vertrages dargelegt, wie sich in steigendem Maße ein inneres Verständnis für die reformatorische Formel in der katholischen Theologie anbahne. Wie der Christ nämlich in seiner persönlichen Erfahrung sich immer wieder als Sünder erkenne, und von sich wegblicken müsse auf Gott und seine unsagbare Gnade; er dürfe, ja er müsse die Hoffnung des Erlöstseins haben, indem er sich selbst mit seiner Erbärmlichkeit auf Gottes Erbarmen verlasse; „er darf, ja er muß in seiner (gemeint war: erfahrungsmäßigen) Heilsunsicherheit sich in einem festen Gottvertrauen Gott anheimgeben - hinüber über das, was er von sich weiß und erfährt”, in einem restlosen Vertrauen auf die Gnade Gottes, „Hoffend, daß ich vor Gott der Gerechtfertigte bin, fürchte ich, auf mich blickend, ein Sünder zu sein.” Es gebe also eine existentielle Berechtigung der reformatorischen Formel: „Als Konkretion der Erfahrung des einzelnen Menschen ist die Formel richtig.”

LeerDann wurde immer deutlicher herausgearbeitet, daß die Gnade keine selbstverständliche statische Zuständigkeit sei; es gehe um die immer neu anzunehmende, zu vollziehende, neu von Gott geschenkte Gnade. Es geht um die „freie Gnade Gottes, die uns Gott ohne jedes Verdienst von unserer Seite schenkt und schenken muß”. Und „das Ja des Menschen in seiner Freiheit ist selbst noch einmal ein Geschenk der freien Gnade Gottes und durch Gottes Gnade allein befreite Freiheit”. „Ich bin von mir aus immer der Schuldner Gottes und kann nicht das geringste dazutun, daß mir Gott seine rettende Gnade zuwendet. Ich bin von mir aus immer nur der, der sich von Gott abwendet und nur abwenden könnte, wenn Gottes Gnade nicht zuvorkäme.”

LeerSimul justus - simul peccator sei das Gespanntsein zwischen Ausgangsort und Vollendung, in der Situation des Pilgers - der nicht weiß, an welcher Stelle seines Weges er ist. Der Christ ist „jeden Tag der Mensch, der seine Gerechtigkeit in einem seligen Sich-beschenken-Lassen von Gottes unberechenbarer Huld entgegennimmt, von sich aus mit leeren Händen, um gerade so das Wunder zu erleben, freigesprochen zu sein von der Sünde, so daß wir wirklich in Wahrheit von der Wurzel her gerechte Gotteskinder sind”. - Wenn ich meinen Lehrer Karl Holl recht verstanden habe, so meine ich, daß Luther diese Ausführungen weithin bejaht haben würde, wenn auch manche Akzente anders liegen mögen. Es ist interessant zu beobachten, wie vieles beide Kirchen zu dem Punkte „Rechtfertigung” gemeinsam aussagen können - die kirchentrennenden Lehren liegen ja wohl immer stärker bei der Ecclesiologie, der Mariologie und vielleicht der Sakramentenlehre. Ich glaubte, Pater Rahner sagen zu dürfen, daß wir an diesem Abend einander doch recht nahe gewesen seien.

Quatember 1963, S. 126-127

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-29
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