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Wilhelm Stählin zum 80. Geburtstag
von Rudolf Spieker

„Die gepflanzt sind in dem Hause des
Herrn / werden in den Vorhöfen unsers
Gottes grünen / Und wenn sie gleich alt
werden / werden sie dennoch blühen,
fruchtbar und frisch sein / daß sie ver-
kündigen, daß der Herr so fromm ist /
mein Hort, und ist kein Unrecht an Ihm.”
(Psalm 92,14-16)

LeerWilhelm StählinAuf der Höhe des Läuterungsberges betritt Dante den heiligen Wald des irdischen Paradieses und sieht jenseits eines Baches, welcher zwei Strömungen führt, eine lachende Frauengestalt, Matelda, welche singt und Blumen sammelt. Sie ist gleichsam die Verkörperung jener seligen Welt und nennt als Grund ihrer Fröhlichkeit den Psalm „Delectasti” - so beginnt die Vulgata den 5. Vers des 92. Psalms. Dieser Psalm besingt die Werke Gottes in ihrer überschwenglichen Größe und Tiefe und mündet aus in das Lob des Frommen, der gleich dem Palmbaum sproßt, gleich der Zeder auf Libanon emporwächst. Dann folgen die Worte, die wir diesem Grußwort vorangestellt haben. Diese willst Du, lieber Bruder Stählin, entgegennehmen wie einen Blumenstrauß jener holden Frau, welche den Dichter hindurchzieht durch die Flut des Baches, daß er entsündigt werde durch die Flut Lethe und durch den Trank Eunoe erfüllt werde mit der Wonne unvergänglichen Lebens.

LeerEs sind drei Dinge, von denen dieses Psalmwort redet. Sie stehen untereinander in unlöslichem Zusammenhang, keins kann von dem anderen getrennt werden, und doch will jedes einzelne für sich betrachtet werden. Sofern diese Dinge in Deinem Leben erfüllt sind, laß sie uns ansehen als Gottes Gabe, die wir dankbar preisen. Sofern sie immer auch Gegenstand der Hoffnung und der Bitte sind - im Psalmwort stehen sie deshalb in der Zeitform des Unvollendeten, noch zu Erwartenden -, nimm sie als Segenswunsch zu Deinem Geburtstag.

LeerDas Psalmwort redet von denen, „die gepflanzt sind in dem Hause des Herrn”, vielleicht sogar solchen, die verpflanzt sind in jene Stätte, welche „unbeschränkte hausgenossenschaftliche Gemeinschaft mit Gott” bedeutet. Nicht wahr, auch Du wirst von Dir bekennen:
„Ich war ein wilder Reben,
Du hast mich gutgemacht.”
LeerAuch wenn wir durch die Taufe eingepflanzt sind in jenen Grund und Boden, auf dem unvergängliches Leben gedeiht, so braucht es doch eines weiten Weges und langer Zeit, bis diese Kräfte in unserm Leben offenbar werden. Audi Du bist mit uns einen Weg zur Wiederentdeckung der Kirche gegangen. Du hast ihr nachgespürt mit aller Liebe. In kindlicher Entdeckerfreude hast Du mit uns ihre Grundmauern aufgesucht, hast die verschüttete Quelle jenes heiligen Stromes, „klar wie Krystall”, wieder freilegen helfen, daß viele daraus getrunken haben und erquickt würden. Du hast der Versuchung widerstanden, als stolzer Einzelner Deinen Weg zu gehen. Du hast erkannt, daß das „Gepflanztsein im Hause des Herrn” damit anfängt, daß wir uns hineinstellen in die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern, mit ihnen tragen an ihrer Last und uns von ihnen tragen lassen. Du hast als Hochschullehrer Deinen Studenten einen Weg zur Kirche eröffnet und hast als Bischof Deiner Oldenburgischen Kirche ein wichtiges Erbe der Ordnung und der gottesdienstlichen Gestalt hinterlassen. Du bist in Geduld und Treue den Weg unserer Bruderschaft mitgegangen, hast als Mahner und Warner an ihr Deinen Dienst getan. Du bist manchmal fast verzweifelt, ob sie noch ein Werkzeug sei, welches der Erneuerung der Kirche dient, und bist doch nicht müde geworden, sie stets neu an ihren ursprünglichen Auftrag zu erinnern.

LeerDein Ruhestand ist erfüllt mit ungezählten Aufgaben, Verpflichtungen, Reisen, Predigten, Vorträgen. Ich hätte Dir manchmal stillere Tage gewünscht. Aber jeder Mensch trägt ein Gesetz in sich. Das war für Dein Leben das Gesetz unermüdlicher Tätigkeit. Diesem Gesetz ist zu danken, daß uns Dein Ruhestand noch mit einer Fülle von Gaben und Erkenntnissen beschenkt hat. Diese zeugen davon, daß Du auch in einer täglich sich wandelnden Welt Deiner Zeit den Puls fühlst, so daß kein Heft dieser Zeitschrift hinausgeht, in dem Du nicht Dein Wort zum Tage und zu den überzeitlichen Dingen sagst. So erfüllt sich an Dir auch das andere, das unser Psalmwort von denen sagt, „die in dem Hause des Herrn gepflanzet sind”:
„Noch treiben sie Sprossen im hohen Alter,
saftvoll und laubgrün bleiben sie.”
LeerDas Geheimnis dieser grünenden Lebensfrische liegt in dem Wurzelgrund, in dem sie stehen. Es ist dasselbe Wunder unerschöpflicher Wachstumsfülle, welches nach den Worten der Matelda das Geheimnis des Paradieses ausmacht:
„Und wissen sollst du, daß das heilige Feld,
auf dem du wandelst, voll ist jeden Samens
und Früchte bringt, die man bei euch nicht kennt.”
LeerEs ist die unerschöpfliche Fülle des Dreieinigen selber, welche den Wurzelgrund der Kirche keimkräftig und fruchtbar macht und denen ihre Kräfte mitteilt, die in diesem Grund gepflanzt sind.

LeerVon diesen Lebenskräften zu zeugen,
„zu künden, daß gerecht ist der Herr,
mein Fels, und kein Unrecht an IHM” -
Leerdas ist die Bestimmung des in Gott gegründeten Menschen. Dazu dienen alle Lebenserfahrungen, alle Begegnungen mit Menschen und Schicksalen, dazu müssen auch Fehlschlage, Versager und Niederlagen helfen. Aus eigener Kraft hättest Du Dich nicht erhoben, aus Verzagtheit und Kleinmut Dich nicht aufgerafft, wenn Dir nicht Der geholfen hätte, der uns herauszieht aus dem Schlamm, der unsere Füße auf einen Fels stellt. Dessen Wunderwerke zu verkündigen - das ist die Aufgabe des Menschen, der sie an sich erfahren hat.

LeerDrei Dinge sind es, die einem Menschenleben Gehalt und Bestand geben, und eines wächst aus dem anderen hervor. Das Erste und Entscheidende, daß unser Leben seine Wurzeln hinabsenkt in den Urgrund alles Seins, in das heilige Erdreich wirklicher und ständiger Gemeinschaft mit Gott, der uns im Leben Seiner Kirche begegnet, uns nährt und stärkt. Das Zweite ist die Umformung der empfangenen Kräfte und Gaben - wie die Pflanzen die Kräfte der Erde umwandeln in Blüte und Frucht -, so hier in Taten und Wirkungen, die zwar als Werke des Menschen erscheinen, und doch wissen wir, daß Gott es ist „der in euch wirket beides: das Wollen und das Vollbringen, nach Seinem Wohlgefallen”. Das Dritte und Letzte: Daß wir offenbar machen und „verkündigen die Lebenskräfte dessen, der uns berufen hat aus der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht”, daß wir „etwas seien zu Lob Seiner Herrlichkeit”. Ich glaube, lieber Bruder Stählin, in Deinem Leben Spuren dieser drei entscheidenden Tatsachen zu erkennen. Und insofern ist Dein 80. Geburtstag für uns, Deine Brüder, und viele Freunde ein Anlaß, Gott zu loben und zu danken für alles, was ER durch Dich gewirkt hat und immer noch wirkt.

Quatember 1963, S. 147-149

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-06
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