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von Werner Kohler |
Wenn schon Reformierte sich nicht ohne weiteres mit Lutheranern verstehen, obschon sie einander im Glauben sehr nahe sind, wieviel schwieriger ist dann das Verständnis der Buddhisten! Das Problem der Konfrontation der christlichen Konfessionen und Denominationen, das wahrhaftig für uns noch in keiner Weise gelöst ist, erscheint gering angesichts der Schwierigkeit der Konfrontation mit einer außerchristlichen Religion. Dennoch gibt es einen Zugang zum Verständnis der anderen und ihrer anderen Religion. Menschen, die in Relation mit Jesus Christus zu leben versuchen, befinden sich als Schüler ihres Meisters in Bewegung zum Mitmenschen. Sie leben aus der Begegnung mit Gott, Mensch und Welt. Die Begegnung mit der Wahrheit macht sie frei für je neue Begegnungen. Die Konfrontation mit dem ganz anderen ist geradezu ihr Merkmal. Die Schule Jesu befreit zur echten Relation mit Gott und Mensch und ist damit die beste Voraussetzung zum Verständnis der Mitmenschen und ihrer Welt. Christliche Existenz vollzieht sich nicht hinter Mauern, nicht im Gefängnis einer Institution oder eines Gedankengebäudes, sondern in der großen Freiheit derer, die sich durch die Solidarität Gottes aufgerufen wissen zum je neuen Vollzug der Begegnung. Schon Jesus unterschied zwischen den blinden und sehenden, tauben und hörenden, verschlossenen und offenen Menschen. Seine Mission gipfelte in dem Ruf zur Lebenswende. Die traditionelle Bibelübersetzung und Sprache der Theologie umschreibt die große Lebenswandlung, auf die Jesus abzielte, mit dem Begriff „Buße”. Dieser Begriff „Buße” umschreibt aber nur den sekundären, negativen Aspekt des primär immens positiven Geschehens der großen Wandlung. Er ist Ausdruck eines in erster Linie mit dem Gesetz und der menschlichen Schuld beschäftigten Christentums, während der Begriff der metanoia (Sinnesänderung, Herzenswandlung, Lebensumstellung) die Einstellung des Menschen auf das von Gott her hereinbrechende Herrliche bedeutet. „Wie glücklich sind die Augen, die sehen, und die Ohren, die hören!”, ruft Jesus aus. Auch Paulus spricht von neuen und alten Menschen, und das vierte Evangelium betont angesichts der Königsherrschaft die Neugeburt. Buddhismus und Christentum sind zwei voneinander sehr verschiedene Welten. Hier wie dort handelt es sich zwar um denselben Menschen, um uns, nicht aber um die Gottesbeziehung. Die buddhistische Erleuchtung ist etwas ganz anderes als die Erweckung durch den Herrn der Kirche. Die dem Buddhismus eigentümliche Betonung der Erleuchtung aber führt uns zur Frage, ob wir nicht den christlichen Aspekt, den Aspekt der Entscheidung für Christus in ökumenischer Tradition mißverstanden haben. Es ist des Erleuchteten Mission, in barmherziger Hingabe an die unerlöste Welt auf den höchsten Genuß religiöser Glückseligkeit vorläufig zu verzichten. Das buddhistische Verständnis der Barmherzigkeit und Hingabe ist ein ganz anderes als das christliche. Es vollzieht sich auf dem Hintergrund des östlichen Weltverständnisses. Beliebt ist seine Umschreibung mit dem Bild der Lotuspflanze (vgl. dazu mein Buch: Die Lotus-Lehre und die modernen Religionen Japans, Atlantis-Verlag, Freiburg/Zürich, 1962). Die Lotusblüte strahlt hell und rein mitten im Sumpf. So sollen alle Lebewesen mitten in der Welt der Fragwürdigkeiten hell leuchten! Die Erleuchtung der Gewandelten soll das Dasein der noch Ungewandelten licht machen, in Barmherzigkeit soll die erlangte Barmherzigkeit weitergegeben werden. Der ganze lebende und tote Kosmos ist in dieses Geschehen hereingenommen. Wesen, die zu dieser Mission erwacht sind, werden „Anwärter zur Buddhaschaft” (Sanskrit: Bodhisattva: japanisch: Bosatsu) genannt. Der Erleuchtete hat seine und aller Wesen Bestimmung erkannt und befindet sich auf dem Weg zum ewigen Glück. Seine Erleuchtung macht die Selbsthingabe zur Selbstverständlichkeit und weckt ihn zur Sendung in die Welt. Seit dem zweiten Weltkrieg lebt das Verständnis der menschlichen Mission auf dem Hintergrund des urbuddhistischen Bodhisattva-Verständnisses in vielen modernen Religionen Japans auf, die als buddhistische Missionsbewegungen verstanden werden müssen. (Die stärkste unter diesen modernen Religionen nimmt monatlich um über 100 000 aktive Mitglieder zu!) Dennoch werden wir vom buddhistischen Missionsverständnis herausgefordert, uns auf unsere Mission und auf des Menschen Mission überhaupt zu besinnen. Wir werden angesichts der biblischen Zeugnisse nach dem Wozu unserer Existenz fragen müssen. Jesus wurde während seines Wüstenaufenthaltes versucht, auf seine Mission zu verzichten. Er tat es nicht, zog durch das Land, predigte, heilte und sammelte Jünger um sich. Er verlor sein Leben in Solidarität mit den von den Mitmenschen Verachteten und Gemiedenen. Er aß und trank mit ihnen. Er wurde schließlich um dieser Lebenshingabe willen getötet. Seine Auferweckung beweist für die Glaubenden, daß derjenige, der sein Leben verliert, es gewinnen wird. Christliche Erkenntnis müßte davon ausgehen, daß uns in Tat und Wahrheit das volle und ganze Leben angeboten ist. Angesichts dieser herrlichen und je neuen Aussicht ist die Hingabe unseres Lebens Selbstverständlichkeit (und in keiner Weise ein Opfer!). Angesichts des Lebens, Leidens und Sterbens Jesu und eben angesichts unseres Glaubens an seine Auferweckung ist unsere Mission zur Hingabe des Lebens im Dienst am Bruder selbstverständlich! Das bedeutet ein völlig neues Erwachen der Christen und Kirchen zur Mission. Die je neu zu vollziehende Metanoia wird sich in einer je neuen Offenheit gegenüber dem in Jesus auf uns zukommenden Heil erweisen. Die Gottesdienste werden den Charakter des Geöffnet-Seins gegenüber Gott, Mensch und Welt besitzen. Die Freude am zukünftigen Heil und die davon geprägten Dienste in der Welt werden Charakteristika kirchlicher und christlicher Existenz sein. Die Christen und die Kirchen werden nicht mehr ihr Leben (auf missionarische oder evangelistische Weise) zu gewinnen versuchen. In Hingabe werden sie als Diener des Herrn, der zum Knecht wurde, den Mitmenschen ihr Leben zur Verfügung stellen. Sie werden solidarisch sein mit den Niedrigsten, mit den Religionslosen und moralisch Fragwürdigen, ohne sie zu richten. Der Buddhismus ist in seinem Wesen darum anti-intellektualistisch, weil es ihm um den Menschen im Kosmos geht. Er verzichtet darauf, in titanenhafter Weise Gott, Welt und Mensch in den Griff zu bekommen. Das, was er auf dem Hintergrund seiner jeweiligen Kultur als Gott bezeichnet, ist etwas total anderes als der in den biblischen Quellen bezeugte Gott. Die Götter spielen im Buddhismus keine besonders wichtige Rolle. Sie unterscheiden sich grundsätzlich nicht von kosmischen Mächten. Der Buddhismus ist wesensmäßig an einer Theologie nicht interessiert, wenn man ihn auch nicht auf westliche Weise atheistisch nennen darf. Er hat darum auch kein Interesse an einer theologia naturalisl Er versteht die letzte Wirklichkeit als eine Art Welt-und Sittengesetz (Sanskrit: Dharma; japanisch: Hô). Der Dharma wird gern mit einem barmherzigen Vater verglichen, der seine Söhne sucht, die verloren sind; oder der seine, in einem brennenden Haus nichts ahnenden, spielenden Kinder rettet. Diese letzte Wirklichkeit kann auch die Leere oder das Herz genannt werden. Hier ist der Ort, da wir zur echten Begegnung mit dem Buddhismus antreten müssen. Hier handelt es sich um die entscheidende Konfrontation zwischen denen, die im Zwiegespräch mit dem Vater Jesu Christi zu leben versuchen, und denjenigen, die aus dem Bezug zum Sein existieren. Angesichts des buddhistischen Seinsverständnisses aber wird die auch von Martin Heidegger an die Theologie gerichtete Frage nach unserer Seinsvergessenheit brennend. Der metaphysische Gott eines Nietzsche ist tatsächlich tot. Wir Christen sind gefragt, angesichts abendländischer Seinsvergessenheit in Theologie und Kirche ganz neu nach unserer Beziehung zum Sein und zum Herrn dieses Seins, der mit dem Sein aber nun nicht identisch ist, zu fragen. Gerade aus einer guten Ablehnung der natürlichen Theologie muß eine neue und gute Beziehung zum Kosmos entstehen. In berechtigter Ablehnung des Thomismus haben wir Protestanten auf fragwürdige Weise nur die Diastase zwischen Natur und Gott, Schöpfer und Geschöpf betont. Karl Barth (KD IV/3) hat in erfreulicher Lebendigkeit - im Gegensatz zum Barthianismus - die undialektische Einseitigkeit protestantischer Bezugslosigkeit zum Kosmos überwunden, wenn er von der Stimme, von den Lichtern der Schöpfung spricht und sich dagegen verwahrt, die Stimme des Schöpfers auf die Bibel und die Kirche einzuschränken. So fragt zum Beispiel ein berühmter Kaiser, der „Konstantin des chinesischen Buddhismus”, der sich durch ein Leben der Frömmigkeit und den Bau vieler Tempel einen Namen gemacht hatte, den großen Patriarchen des Zen-Buddhismus, den Meister Bodhidharma: Was ist es um die heilige Wahrheit? - Bodhidharma antwortet ihm: Offene Weite -, nichts von heilig! Der Kaiser fährt fort: Was ist das Uns-Gegenüber? - Der Zen-Meister antwortet ihm: Ich weiß es nicht! - Unter den vielen geradezu spannenden Meditationsbeispielen sei nur noch folgendes erwähnt, das schockierend dem Meditierenden zur Erleuchtung verhelfen soll: Ein Schüler fragt den Meister: Was ist es um Buddha? - Der Meister antwortete ihm: Drei Pfund Hanf! - Solche Beispiele zeigen den großen Unterschied zwischen dem christlichen Glauben und dem Weg der Buddhas. Dennoch werden wir als Christen in der Konfrontation mit den meditierenden Buddhisten vor zahlreiche Fragen gestellt. Drei seien hier zur Sprache gebracht. Hinter dieser Frage verbirgt sich nun aber nicht die Sehnsucht nach dem richtenden, pathetischen Kanzelwort. Gerade die gute Verkündigung kommt ja aus der Verbundenheit, aus der engsten Solidarität mit denen, die von den Blinden und Tauben gerichtet werden. - Schließlich stellt uns die Meditationsübung der Buddhisten vor die Frage nach unserem Hören! Wenn buddhistische Existenz aus der Meditation angesichts des Kosmos besteht, dann ist christliche Existenz gegründet im Hören auf den Herrn des Kosmos, der zu uns spricht und eben auch auf uns hört. Christliche Existenz gründet im Hören! Müssen wir nicht angesichts der östlichen Meditationsübungen beschämt zugeben, daß wir Christen zu wenig beten? Es ist bekannt, daß Martin Luther täglich mehrere Stünden in der Stille des Gebets zubrachte, besonders dann, wenn er über und über mit Arbeit überlastet war. Alles hängt in der christlichen und kirchlichen Existenz davon ab, daß wir uns dem in Jesus begegnenden Vater stellen, daß wir uns dem Geiste Gottes öffnen. Was helfen die zahlreichen Beziehungen zu Menschen und Institutionen, wenn sie nicht geprägt sind von der Relation mit Gott? Unsere Gottesdienste und dann auch unser täglicher Lebensstil müssen neu aus dem Sehen und Hören und aufs Hinhören hin gestaltet werden. Echte communio mit den Mitmenschen hat ihre Voraussetzung in der communio mit Gott. Echtes Gespräch mit dem Menschen stammt aus dem Hören auf Gott. Keine gute Begegnung mit Mensch und Welt ohne Begegnung mit dem Vater Jesu Christi. - Die östlichen Kulturen des Schweigens fordern uns nicht in erster Linie dazu auf, die indische Yoga-Praxis nachzuahmen. Die Begegnung mit ihnen aber stellt uns vor die unausweichliche Frage nach unserer Gottes-Relation, aus der alles kirchliche und christliche Leben und auch die Theologie je neu wahrhaftig ist. Handelt es sich hier um ein echtes Skandalon? Diese Frage kann letztlich nicht beantwortet werden. Welcher Mensch kann schon darüber Auskunft geben, wann und wo Mitmenschen das Ärgernis des Kreuzes bezeugen? Dennoch bleiben wir durch die Bemerkungen der Buddhisten gefordert. Der Buddhist hat den Eindruck, daß wir ihm nicht wirklich begegnen. Zwischen ihm und uns ist eine Mauer. Ist es die von uns Christen aufgerichtete Mauer, ist es die Mauer des Buddhisten oder handelt es sich um eine eingebildete Mauer? Es liegt nicht an uns festzustellen, ob die Buddhisten im Gefängnis ihrer Freiheit stecken oder ob die angesichts des Kosmos Erleuchteten wirklich frei sind. Es ist aber unsere Aufgabe, uns in der Begegnung mit europäischen oder außereuropäischen Nichtchristen dem lebendigen Herrn auszusetzen. Wir tun gut, uns dabei der menschlichen Neigung bewußt zu werden, Leitbilder zu schaffen. Von frühester Kindheit auf werden in uns Bilder der Menschen, der Welt und eben auch Gottes geprägt. Wir besitzen einander widersprechende Leitbilder der Kirche, des Christus und des christlichen Lebens. Es gibt nur einen einzigen Herrn, und sein Leib ist ein einziger. Die Verschiedenheiten und Gegensätze der tausend Kirchen, Kirchlein, Denominationen und Sekten widerspiegeln unsere verschiedenen theologischen Konzepte und Leitbilder. Zwingt uns nicht gerade das buddhistische Schweigen angesichts unseres eifrigen Sprechens dazu, unsere theologischen und traditionellen Leitbilder vom lebendigen, gegenwärtigen, handelnden Herrn her radikal in Frage stellen zu lassen? Sollen wir nicht gerade aus der Achtung der Tradition je frei werden zu einer radikalen Erneuerung, zur Befreiung, zum je neuen Ereignis der kirchlichen und christlichen Existenz? Müssen wir nicht trotz des Schatzes der Tradition nicht nur als einzelne, sondern auch als Institution immer wieder angesichts des Herrn zerbrechen, arm werden, frei für Gott und Mensch? Jedenfalls sollen wir als radikal freie Menschen in größter Aufgeschlossenheit den Mitmenschen, und eben auch den Buddhisten begegnen. Gerade als Christen können wir allein von der Voraussetzung ausgehen, daß wir zu den christlichen und nichtchristlichen Mitmenschen gehören, und sie zu uns. Unser Hauptmerkmal wird dann aber das Sehen und Hören und die Aufgeschlossenheit des Herzens sein. Wie können wir anders angesichts unseres Vaters und unserer Brüder! Als diejenigen, die auf Gott hören, sind wir auf die Brüder bezogen, eben auch auf die andern Brüder. Wenn wir als die Hörenden den Buddhisten begegnen, begegnen wir ihren Fragen. Und wenn wir ihren Fragen begegnen, fordern sie uns auch zu Antworten. Letztlich fordern sie uns auf, gute, lebendige Hörer des Wortes zu werden. Sie provozieren uns damit zum lebendigen Zeugnis. Zeugnis heißt aber nicht, daß wir nun über die Botschaft Jesu Christi verfügen. Zeugnis heißt, daß wir auch im Sprechen horchend gehorchen. Quatember 1963, S. 149-156 |
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