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Kloster auf Zeit
von Paul Rohleder

LeerAbt Emanuel Heufelder führt in der Abtei Niederaltaich seit 1962 eine neuartige Einrichtung durch, welche „Kloster auf Zeit” heißt. Sie findet dreimal im Jahr in 14tägigen Kursen statt und verspricht, eine fruchtbare Männerbewegung im katholischen Raum zu werden. Da Niederaltaich zugleich eine wichtige interkonfessionelle Begegnungsstätte ist und wir in Kirchberg verwandte Anliegen im evangelischen Raum aufgreifen und pflegen, so habe ich gern und dankbar die Gelegenheit wahrgenommen, in der zweiten Märzhälfte an einer solchen Einkehr als evangelischer Gast teilzunehmen.

LeerAngeregt wurde diese Arbeit von einem Geschäftsmann. Er hatte in östlichen Ländern beobachtet, wie dort häufig Männer des öffentlichen Lebens vor einer wichtigen Entscheidung, vor Antritt eines neuen Amtes, vor Beginn einer schwierigen Aufgabe sich eine Weile in ein buddhistisches Kloster zurückziehen, um sich in der Stille vorzubereiten und Klarheit zu gewinnen, um vor allem sich in der eigenen Person durchordnen zu lassen, und so in Gelassenheit, Güte und überlegener Bereitschaft ans Werk gehen zu können. Aber ist dies nicht auch eine ganz und gar christliche Tradition, die uns nur verloren gegangen ist? Ist sie nicht das Geheimnis Johannes des Täufers? Finden wir sie nicht bei Paulus und bei Christus selbst? Begegnet sie uns nicht ebenso bei den großen Gestalten des Alten Testaments wie der ganzen Kirchengeschichte? Hängt nicht die Weltmächtigkeit des Klosters in seinen vielen Ausprägungen aufs engste mit seiner Abkehr von der Welt zusammen? Nicht als ob man nun in „Kloster auf Zeit” berufstätige Männer der Gegenwart zu Mönchen machen wollte. Es soll auch nicht das mönchische Leben als Ideal oder gar als Vollkommenheit hingestellt werden. Benedikt wollte den christlichen Menschen prägen und fühlte sich darin solidarisch mit der ganzen Christenheit.

LeerEs geht darum, das Unwesentliche zuweilen beiseite zu legen, um sich dem Wesentlichen ganz zuwenden zu können. Was aber könnte das Wesentliche anderes sein als ernsthaftes Suchen Gottes, redliches Hören auf sein Wort, Bereitschaft zum Gehorsam, Lauterkeit einer vor Gott verantwortlichen Hingabe in allem, was zu tun ist? So sind die Grundelemente rechter Lebensgestaltung bei Benedikt das gemeinsame Gotteslob, das persönliche Beten und Meditieren sowie die Arbeit.

LeerWer im Glauben und in der Liebe die gesunde Mitte gefunden hat, wer im Gleichgewicht zwischen Bindung und Freiheit, Einsamkeit und Gemeinschaft, Ruhe und Tätigkeit, Schweigen und Reden zu stehen gelernt hat und stehen zu bleiben sich bemüht, der wird auch die Fülle der äußeren Anforderungen des beruflichen Lebens besser bewältigen. Er wird sie so erfüllen lernen, daß er nicht einfach von ihnen verschlungen und verbraucht wird. Er wird dem Sog der Dinge weniger hilflos preisgegeben sein, als es der heutige Mensch so oft ist. Bindung an Gott schenkt Mitte und Halt und rechtes Maß. So ist das „Bete und arbeite!” Benedikts nicht nur für den Mönch, sondern für jeden Christen auch heute noch gültige Weisung und unmittelbare Lebenshilfe.

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LeerWie sucht nun das „Kloster auf Zeit” die Dinge konkret und fruchtbar zu machen?

LeerEs sei zunächst gesagt, daß die kleine Zahl von 16 Männern einen erstaunlichen Querschnitt zeigte. Geographisch reichte er von Luzern bis Cuxhaven, altersmäßig vom Studenten bis zum Ruheständler. Beruflich war vertreten: der Handwerksmeister, der Kaufmann, der Chefredakteur, der Kapitän, der Forstmann, der Rechtsanwalt, der Oberstudiendirektor, der Ministerialdirigent. Ich war der einzige Theologe. Natürlich stand der Beruf im Hintergrund. Man wuchs schnell zu einer Einheit zusammen.

LeerMit benediktinischer Gastfreundschaft wurden wir empfangen und in guten Einzelzimmern des St.-Gunther-Hauses untergebracht. Dies ist ein Einkehrhaus unmittelbar beim Kloster, welches der Abtei, der Diözese Passau und der Landvolkshochschule zusammen gehört. Ein Pater führte uns - gleichsam als Novizenmeister - in all die Dinge ein, die der Neuling wissen muß, um sich rasch einzuleben und vor allem dem Chorgebet leicht folgen und es mitvollziehen zu können. Er trug auch Sorge für die rechte „Einkleidung”. Wir trugen zur eigenen dunklen Hose einen vom Haus zur Verfügung gestellten schwarzen Anorak mit Reißverschluß und Kapuze. Zu Messe, Chorgebet sowie zu den Hauptmahlzeiten, welche mit den Mönchen zusammen im Refektorium eingenommen wurden, gingen wir in einem Umhang mit Kapuze, der vom benediktinischen Gewand auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden war. Das Essen war gut und reichlich. Für die Fastenzeit fast etwas üppig. Auch gab es mittags und abends aus der Brauerei des Klosters ein Glas Bier. Es ist alte benediktinische Ordnung, den Gast gut zu bewirten.

LeerDer Tag begann in der Regel um 6.20 Uhr; zweimal zur Feier der Chrysostomus-Messe in byzantinisch-slavischem Ritus (zur Abtei gehören auch einige Mönche, die dem östlichen Ritus zugeteilt sind; sie haben eine eigene Kapelle) eine knappe Stunde früher. Laudes und Prim hielten die Mönche schon vor 5 Uhr. Daran waren wir nicht beteiligt, weil nach der Erfahrung des Abtes diese frühe Stunde uns eine gewaltsame Verschiebung des gewohnten Tagesrhythmus gebracht und mehr Störung als Hilfe bedeutet hätte. So hielten wir Mönche auf Zeit, nachdem wir unsere Zimmer in Ordnung gebracht hatten (dies gehörte zu unserer Arbeit), die Laudes unter Leitung eines Paters in der Hauskapelle in deutscher Sprache. Bald folgte die Messe. Auch diese wurde uns an den gewöhnlichen Werktagen vom Abt in einer Hauskapelle der Abtei gehalten. Männer des Kurses versahen den Ministrantendienst. Ich selbst wurde zwei Mal zur Lesung des Evangeliums gebeten. Auch wurden mehrfach evangelische Choräle gesungen. An Sonn- und Festtagen wurde die Messe mit Predigt in festlicher Form zusammen mit dem Mönchschor, der Gemeinde und dem Gymnasium gehalten. Dieses ist mit der Abtei verbunden und umfaßt etwa 200 Schüler. Die lateinischen Gesänge und Responsorien aus den Kehlen dieser Lateinschüler gaben solchen Feiern eine ungewöhnliche Frische und Lebendigkeit. Die zwei Wochen des März-Kurses waren mit Festtagen reich gesegnet. Es lag darin der Josephstag, der Tag des hl. Benedikt und Maria Verkündigung - schließlich auch noch der 65. Geburtstag des Abtes.

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LeerNach dem Frühstück war immer die Stunde der ersten Meditation. Daran schloß sich bis gegen Mittag eine Schweigezeit an, in welcher das Gehörte noch einmal persönlich durchgedacht und assimiliert werden sollte. Vor dem Mittagessen betete man in der Basilika mit den Mönchen in lateinischer Sprache die Terz und die Sext, nach dem Essen die Non. An diese schloß sich die Rekreation an - eine halbe Stunde geselliger Unterhaltung, aus der oft eine ganze Stunde wurde. Dem Nachmittagstee folgte die zweite Meditation mit assimilierender Schweigezeit bis zur Vesper in der Basilika. Danach das Abendbrot. Nach der abendlichen Rekreation schloß die Complet den Tag. Die Schweigezeit ging von da an bis zum ändern Tag nach der Messe. Auch die Mahlzeiten im Refektorium wurden schweigend mit den üblichen Lesungen eingenommen - sofern das Gespräch nicht zeitweilig freigegeben war.

LeerDie Meditationen waren Vorträge von meist stark persönlicher Prägung; nicht nur lehrhaft an den Menschen sich wendend, sondern auch kontemplativ zu Gott hin mitnehmend. Zwar waren sie häufig an Weisungen der Regel angeschlossen, doch handelte es sich thematisch immer um zentrale biblische Dinge wie Glaube, Gebet, Heiligen Geist, Gemeinschaft, Gehorsam, Demut, christliches Welt- und Menschenbild. Inhaltlich soll hier nicht weiter auf diese gehaltvollen Weisungen eingegangen werden. Obschon der Abt die Hauptlast dieser meditativen Vorträge trug, so war es doch kein Ein-Mann-System der Leitung, wie es bei sonstigen geistlichen Wochen meist der Fall ist. Außer dem Pater, den ich vergleichsweise Novizenmeister nannte, waren weitere drei Patres in der unmittelbaren Betreuungsarbeit eingesetzt, etwa für die Einführung in die Psalmen, in den orthodoxen Gottesdienst, in die ökumenische Arbeit, sonderlich im Kontakt mit der evangelischen Kirche. So hatte das Ganze seine Mitte in den Meditationen des Abtes, in den Horen, in der Messe, und war doch zugleich sehr aufgelockert durch die aktive Beteiligung einer Brüdergruppe. Darin liegt wohl auch der Unterschied zu üblichen Exerzitienformen der katholischen Kirche.

LeerEine weitere, fast zu starke Auflockerung brachte der zweitletzte Tag, als sich zum 65. Geburtstag des Abtes viele Teilnehmer der früheren Kurse einfanden. Aber man spürte gerade dabei etwas von der starken, verantwortlichen Aktivität, welche diese Männer erfüllt. Man erfuhr dabei, daß aus ihrer Initiative - natürlich im Einvernehmen mit dem Abt - Baupläne für eine Art Una-Sancta-Bau unmittelbar bei der Basilika bestehen. Es ist für uns besonders überraschend, daß in diesen Neubau neben Zimmern, Bibliothek, Museum und einer katholischen Kapelle auch eine evangelische Kapelle eingeplant ist.

LeerZusammenfassend ist festzustellen, daß das „Kloster auf Zeit” (das übrigens in etwas anderer Struktur auch in England eine sich rasch ausbreitende Einrichtung ist) eine starke, zunehmende Nachfrage hat. Die Bemühung um persönliche Vertiefung und Erneuerung des Christenstandes unter Männern der katholischen Kirche weitet sich hier zum Bewußtsein einer Sendung, welche die Einheit der Christenheit zum Ziele hat und Brüder aus den anderen Konfessionen redlich und tolerant zu sich bittet zu Begegnung, Austausch und gemeinsamem Gebet in Buße und Bitte und Lobpreis. So sind dem Abt auch künftig evangelische Gäste willkommen in „Kloster auf Zeit”. Man weiß diesen Weg geboten und begründet im hohepriesterlichen Gebet Jesu - besonders Joh. 17, 20 und 21. Man weiß sich auch dazu ermuntert durch die überraschende Entwickelung des Konzils, wodurch jetzt schon Dinge möglich wurden, die man für unmöglich gehalten hatte; wodurch vieles in Bewegung geriet, was erstarrt zu sein schien.

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LeerIch möchte noch etwas sagen von dem, was mich besonders angesprochen und was mir besondere Schwierigkeiten gemacht hat.

LeerZunächst war es für mich sehr ansprechend, daß der Umgang durchaus persönlich geprägt war und doch zugleich jene Distanz wahrte, welche nötig ist, um in ungestörter Freiheit zu sich selbst zu kommen und den eigenen Innenraum zu erreichen. Man hatte die Ordnung, sich nicht häufig mit Handschlag zu begrüßen, und es tat der Gemeinschaft keinen Eintrag. Das Kloster ist durch die Landwirtschaft, die Brauerei, das Gymnasium und Tagungen aller Art viel geöffneter zur Welt hin, als ich gedacht hatte. Nirgends fiel mir Perfektionismus oder Werkheiligkeit auf, was bei vielen evangelischen Christen stark mit der Vorstellung eines Klosters verbunden ist - allerdings auch nicht sogleich erkennbar sein mag. Gewiß leben wir hier manchmal aus Vorstellungen, welche aus dem 16. Jahrhundert übernommen sind und heute nicht mehr in gleicher Weise zutreffen. Wie wichtig ist es, sich kennenzulernen in der verschiedenen Erziehung und Diktion! Dabei beginnt der Abbau von Affekten, die manchmal schlecht begründet sind. Und zugleich setzt jenes Umdenken ein, das manche konfessionelle Verengung aus dem Geist der Heiligen Schrift überwinden kann. Man war als Mensch einer anderen religiösen Erziehung angenommen und ernst genommen - nicht eine Art Missionsobjekt. Die katholischen Brüder sind sich wohl bewußt (wenn ich es im Bild des Gleichnisses sagen darf), daß der verlorene Sohn (der evangelischen Kirche) nicht zum älteren Bruder (der katholischen Kirche), sondern zum Vater heimkehrt und keinem der beiden die Buße und das Umdenken erspart bleibt.

LeerSehr froh war ich, einmal zwei Wochen lang die Horen, meist lateinisch, betend im Chor der Mönche mitvollziehen zu können. Dieser uralte Gebetsstrom der Kirche ist etwas Großes, was (vielleicht wesentlich mit durch Gregorianik, welche eine Melodie der Anbetung ohne Anfang und Ende ist) ordnend in die Tiefen des Unterbewußtseins hinabwirkt und von da aus im Maß unserer Gabe fruchtbar wird im Alltag, sozusagen zwischen den Zeilen des alltäglichen, bewußten Lebens. Es gibt da ein „Drinnensein”, auch wenn man unter der Fülle der Psalmen, Lesungen und Gebete manchmal abschaltet und sozusagen nicht mehr konkret, sondern nur allgemein dabei ist.

LeerDie tägliche Messe wirkt in gleicher Richtung - auch wenn man nur geistlich mitkommuniziert. Aufs neue empfand ich den östlichen Ritus als eine in besonders hohem Maße kontemplative Feier.

LeerSehr ansprechend und warm war die Fülle der Belehrungen und Anregungen, welche die Meditationen gaben. Sie wollten ja nicht zuletzt seelsorgerliche Beratung und Weisung sein. Als solche gaben sie dem Einzelnen und der Gemeinschaft ein gutes Gefühl von Bergung und Heimat. Und es soll ja in der Tat Niederaltaich für alle, die hier in „Kloster auf Zeit” waren, Heimat bleiben. Man darf als jemand, der von nun an hergehört, zurückkehren, um sich zu erneuern, wenn Müdigkeit oder Unrast oder Verwirrung von außen oder von innen es erfordern. Und wenn die Mönche ihre Gebete schließen mit der Bitte: Der Friede Gottes sei mit uns und mit unseren abwesenden Brüdern! - so sind die Brüder von „Kloster auf Zeit” in diese Bitte stets eingeschlossen. Die etwa zwei Mal im Jahr erscheinende Schrift: „Die beiden Türme” bedeutet auch ein brieflich-literarisches Band zwischen der geistlichen Heimat und ihren Söhnen. Ausgesprochene Schwierigkeiten bereiteten mir das Quantum, das Tempo und die mangelnde Auswahl der Psalmen, bis zu einem gewissen Grade auch die lateinische Sprache.

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LeerBetete man zwei oder drei Horen nacheinander, so ergab das mindestens neun Psalmen samt den hinzukommenden Hymnen, Lesungen und Gebeten. Das war mir einfach quantitativ zu viel. Diese Schwierigkeit wurde durch das rasche Sprechtempo verstärkt - wie ja wohl auch umgekehrt dieses Tempo ein Ausdruck der vorliegenden quantitativen Fülle ist. Ich fand nicht die erforderliche Zeit und Ruhe zum aneignenden Vollzug. Es war mir oft, als müßte ich ein Glas schneller austrinken, als ich zu schlucken vermochte, so daß viel verschüttet wurde und verlorenging.

LeerKann nicht ein Psalm im Gebetsvollzug so viel oder mehr sein als drei oder sechs oder neun? Ist die Überfülle nicht auch in der klösterlichen Praxis damit zugegeben, daß man die acht Gebetszeiten auf drei zusammenzieht, indem man Laudes und Prim, dann Terz, Sext und Non und schließlich Vesper, Complet und Matutin mehr oder weniger unmittelbar vereinigt? Aber wiederum: wird dadurch die Schwierigkeit insofern nicht nur nicht behoben, sondern sogar erhöht, als gerade dadurch die Häufung an einem Punkt übergroß wird? Diese Fragen sind mir geblieben. Ich wurde das Gefühl eines gesetzlich zu bewältigenden Gebetspensums nicht los. Wie der Abt mir sagte, sind aber Bemühungen im Gang, es niedriger anzusetzen. Auf Grund dieser Erfahrung wurde mir die Einfachheit unserer Tageszeitengebete besonders lieb. Indessen blieb trotz dieser Schwierigkeiten jenes „Drinnensein”, von dem ich oben sprach, sofern ich keinem inneren Widerspruch Raum gab, sondern eine Art receptiver Passivität bewahrte.

LeerSchwierig, fast unmöglich, ist es für mich, den Psalter ohne Auswahl zu beten. Er ist das Gebetbuch, welches die Frömmigkeit des alttestamentlichen Gottesvolkes aus vielen Jahrhunderten vor Christus in sich trägt. Neben vielen unvergleichlichen Gebetsworten, die der Geist, der vom Vater und vom Sohn ausgeht, eingegeben hat, enthält er auch Wendungen ichhaft-ungereinigter Affekte, Worte des Hasses und der Rache. „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen.” (Ich erinnere z.B. an Psalm 137, wo die Kinder Edom am Stein zerschmettert werden sollten.) Wir können da einiges nicht mehr mitbeten, weil wir Christus zu uns sagen hören, was er seinen Jüngern sagte, als sie den Ort vernichten wollten, welcher ihrem Meister die Aufnahme verweigerte: „Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.” In der Tatsache, daß wir jeden Psalm trinitarisch schließen, ihn damit christlich taufen und als Gemeinde Jesu beten, liegt auch die Konsequenz einer Auswahl, die von Christus das Maß empfängt. In diesem Punkt, der mehrfach angerührt wurde, empfinden die katholischen Brüder nicht anders. Die vielfach übliche Umdeutung - etwa gerade der zu zerschmetternden Kinder - auf Gedanken, Anfechtungen, Sünden, die uns bedrängen, wurde von niemand ernstlich verteidigt oder empfohlen, sondern allgemein als unangemessen empfunden. Es ist richtig, daß -wir in der evangelischen Michaelsbruderschaft einen auch unter diesem Gesichtspunkt als Gebetbuch bearbeiteten Psalter haben und anbieten.

LeerAn der natürlichen Schwierigkeit, welche sich aus der lateinischen Sprache ergab (gemeint ist hier nicht nur das Verstehen im Sinn der Grammatik, sondern noch mehr der Umsetzung gerade auch der verstandenen Sprache in lebendiges, geistliches Geschehen), wurde mir die Wichtigkeit des Sprachgewandes unserer Gebete und Lieder unter verschiedenen Gesichtspunkten deutlich.

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LeerObschon wir Lateiner (es war die Mehrzahl) uns rasch in die Sprache des Officiums eingelesen hatten, so konnten wir doch täglich, wenn wir von den Laudes in deutscher Sprache zu den anderen Horen in lateinischer Sprache kamen, an uns beobachten, daß die Antenne für die Fremdsprache während der ganzen Zeit langsamer und undeutlicher als für die Muttersprache arbeitete. Bei den Nicht-Lateinern mußte das natürlich viel stärker in Erscheinung treten. Die Übersetzung läßt doch nur ein behindertes Mitgehen zu. Deshalb erstreben auch die Benediktiner die deutsche Gebetssprache. Es war mir aber in diesem Zusammenhang die Beobachtung nicht weniger eindringlich, daß auch das deutsche Sprachgewand, je nachdem, ob es gut oder weniger gut ist, dem Gebetsvollzug zu Hilfe kommen oder im Weg sein kann. In einer hölzernen, übersetzungsmäßigen Diktion der Muttersprache bleibt unsere Antenne auch hier verhältnismäßig langsam, undeutlich, schwach, während sie auf eine gute, bildhafte Diktion rasch, lebendig, unmittelbar anspricht. Nach meinem Empfinden steht das Deutsch der Lutherbibel hoch über der deutschen Psalmenübersetzung im monastischen Gebetbuch. Nietzsche hat schon gewußt, was er sagte, wenn er die Lutherbibel das beste deutsche Buch, das Buch im besten deutschen Sprachgewand, nannte. Ich weiß, daß es heute auch sehr gute Bibelübersetzungen in der katholischen Kirche gibt. Es müßte von höchster Bedeutung für das künftige Zusammenleben der Konfessionen sein, wenn es gelänge, in Bälde zu einer von beiden Seiten autorisierten Bibelübersetzung zu kommen.

LeerÜbrigens erging es mir mit den Hymnen im monastischen Gebet ähnlich bezüglich des sprachlichen Empfindens wie mit den Psalmen. Vieles riecht dabei nach Übersetzung und fließt nicht frei und klar einher, wie die originale Muttersprache fließt. Dadurch wurde mir der evangelische Choral als ein schöner und großer Reichtum bewußt. Er würde eine der größten Gaben sein, die wir in eine Una Sancta der Zukunft mitzubringen hätten. Wir haben da viele gewaltige Lieder, die ganz aus der Tiefe der heiligen Schrift geboren sind. Und wir haben dabei auch manche Übersetzungen, die keine „Übersetzungen”, sondern vollwertige Umdichtungen und Neudichtungen sind.

LeerHat uns „Kloster auf Zeit” etwas Besonderes zu sagen? - Es ist eine eindringliche Bestätigung der Arbeit, welche die evangelische Michaelsbruderschaft und der Berneuchener Dienst seit vielen Jahren in ihren geistlichen Wochen getrieben, seit fünf Jahren in Kirchberg über Horb/Neckar zur Kontinuität erhoben und auf eine breitere Basis gestellt haben. Es ist damit zugleich eine starke Ermutigung, auf diesem Weg fortzufahren und ihn so auszurichten, daß insbesondere Männer erreicht und eingeladen werden. Dieser Arbeit kommt die Tatsache entgegen, daß der überforderte Mensch zunehmend eine geistig-geistliche Heimat sucht - Orte der Stille in gutem Klima, wo neben leiblicher Erholung auch geistige Erneuerung zu finden ist; wo in der Einsamkeit Gemeinschaft und in der Gemeinschaft Einsamkeit, beides unter Gott, praktisch erprobt und gelebt wird. Das kann durch keine Organisationen oder Sensationen oder Massenmedien ersetzt werden. Man braucht dazu organisch (nicht nur organisatorisch) verbundene Menschengruppen, die in bewährten Traditionen leben und dadurch imstande sind, einen Ort gleichsam zu durchbeten, mit Glaube und Liebe zu erfüllen.

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LeerWie soll man den Menschen anders retten in seinem eigenen und eigentlichen Personsein? Hier wird jene Innenkraft gewonnen, welche sich unserer vielseitigen, schnellebigen, technisierten Welt bedienen kann, ohne ihr zu verfallen. Von hier aus wird vielleicht auch eines Tages jene Elite erwachsen, welche eine gesunde, moderne Askese üben kann, die anders aussehen wird als das, was man herkömmlich unter Askese versteht; welche imstande ist, zu verzichten, ohne zu entbehren; welche imstande ist, aus der zerstörenden Überfülle heutiger Möglichkeiten auszuwählen und ein Leben zu gestalten, das der Welt mächtig ist und doch, in Gott gegründet, auf klaren, einfachen, tragenden Grundlinien steht und darum sichere Tritte tun kann und tun lehrt.

LeerDiese Anliegen brechen an vielen Orten und in mancherlei Gestalt zugleich auf. Sie werden sich der Kirche immer gebieterischer als vordringliche Aufgabe der Menschenführung stellen. Wer diese wirklich in den Blick bekommen hat, kann sich ihr nicht entziehen. Möge uns in Kirchberg personell und substantiell jener Zuwachs an Vollmacht gegeben werden, der es uns erlaubt, an ihrer Bewältigung als ein Vortrupp im evangelischen Raum im Segen mitzuarbeiten - obgleich uns viele für einen Nachtrupp vergangener Zeit halten. Denn das religiöse Sondergut unserer Tätigkeit - gestaltete Gebetsordnungen, regelmäßige Sakramentsfeiern, Stille, Meditation, Seelsorge, Beichte - ist dabei unentbehrlich, ja konstituierend. Im rechten Gebrauch dieser Gaben schenkt uns Christus eine bereinigte Vergangenheit, eine offene Zukunft und eben darin eine lebendige, erfüllte Gegenwart in der Freude und im Frieden des Heiligen Geistes.
Stündlich will der Feind dich zwängen
in die Haft der Schuld und Angst,
aus dem Gestern dich bedrängen,
daß du vor dem Morgen bangst
und das Heute dir zerbreche
in die Flucht der Hast und Gier,
und kein Größrer zu dir spreche:
„Nimml Mein Friede sei mit dir!”
Doch der Stärkre ist zugegen,
der der Starken Festung bricht
und mit seinem Wort und Segen
die Gefangnen ledig spricht,
daß das Gestern nicht mehr schrecket
und kein Morgen ängsten mag,
weil er dir dein Heute decket
gnadenvoll von Tag zu Tag.
Quatember 1963, S. 173-179

[Johannes Hauck OSB - 50 Jahre Kloster auf Zeit]

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-06
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