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Neue Begegnung mit den Religionen
von Reinhard Mumm

LeerDie besondere Lage, in der wir uns befinden, veranlaßte den Theologischen Konvent Augsburgischen Bekenntnisses, in den Tagen vor dem Michaelsfest wiederum in Berlin zusammenzukommen. Professor Dr. Goldammer (Marburg) ging das Thema Die Bibel und die Religionen auf doppelte Weise an, vom Erscheinungsbild der Religionen wie auch von der Theologie her. Beide Erkenntniswege sind nötig, um das Problem treffend zu erfassen. Eine Theologie der Religionsgeschichte kann nicht nur von der Bibel ausgehen. Sie muß sich orientieren an Christus als dem Mensch gewordenen logos.

LeerReligion gehört zum Menschen. Sie ist im Tiefsten unerklärbar wie der Mensch selbst. Die biblische Offenbarung hat ihrerseits teil an der Rätselhaftigkeit des Religiösen. Die Religion ist erlösungsbedürftig, erlösungsfähig und erlösungswürdig. Als Christen sollten wir ebensowenig vor der Religion fliehen wie vor der Menschheit Christi. Die Bibel lehrt uns keinen absoluten, wohl aber den endgültigen Heilsweg. Von der Offenbarung in Christus her wissen wir, daß einmal das „Stückwerk” auch der Religionen aufhören wird und wir von Angesicht zu Angesicht erkennen werden. Noch aber ist unser Erkennen nur „teilweise” möglich, mit Hilfe auch der Religion (vgl. 1. Kor. 13).

LeerDer zweite Vortragende, Direktor Dr. Kimme (Leipzig), faßte das Thema Universalität und Exklusivität der christlichen Heilsbotschaft von der Mitte des Dogmas, vom Glauben an den Dreieinigen Gott, her an. Denn dieses Dogma bildet die einheitliche Lehrgrundlage der gesamten katholischen (oder ökumenischen) Kirche, einschließlich der rechtgläubigen Lutheraner und Presbyterianer. Der trinitarische Glaube ist auf Christus als seine Mitte bezogen, aber er vermeidet eine isolierte Begründung nur vom zweiten Artikel des Glaubens her.

LeerDie Rechtstat Jesu (dikaioma) bewirkt die Rechtfertigung (dikaiosis) für alle Menschen (Röm. 5). Gottes Gericht wird alle säumigen Boten einer missionarisch müden Kirche treffen, die das universale Heilswerk Jesu an den Milliarden Menschen nicht ausrichten.

LeerDie Taufe ist das Sakrament, welches Menschen aussondert. Insofern wirkt sie exklusiv gegenüber den Religionen. Durch die Taufe werden Menschen, ohne Unterschied ihrer Herkunft, in Christus inkorporiert; sie werden „einer in Christus” (Gal. 3, 28). In der Taufe beginnt ein verborgenes Leben, welches erst am jüngsten Tag offenbar wird. Die Kirche ist der Brückenkopf der neuen Welt. Aber nur in Christus selbst ist der neue Anfang verwirklicht.

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LeerGott wirkt als der Schöpfer auch in den Religionen. Insofern hatten die alten Theologen recht, wenn sie von einer „allgemeinen Offenbarung” sprachen. Solche allgemeine, religiöse Offenbarung richtet sich gegen Gott, wenn sie sich gegen Christus auflehnt. Das merken wir dort, wo die Mission erfolglos bleibt. Zugleich ist in den zwielichtigen Religionen spürbar, wie Gott die Sehnsucht des Menschen auf Christus hin vorbereitet. -

LeerDie Aussprache unter der Leitung der Bischöfe Krummacher (Greifswald), Beste (Schwerin) und Prälat Metzger (Stuttgart) ergab, daß wir heute wieder neu, nicht nur negativ-verwerfend, sondern auch positiv das Problem der Religion in der evangelischen Theologie sehen. Wir fragen, wieweit Gott, der Vater Jesu Christi, den Menschen in den Religionen anredet, oder ob hier Dämonen am Werk sind. Wenn Kirche und außerchristliche Religionen einander begegnen, ist es nötig, tolerant zu sein, ohne deswegen einem Relativismus zu verfallen. Wir haben keine Veranlassung, als Christen die andern Religionen zu verachten, vielmehr werden wir beschämt von dem Ernst der Hingabe und des Gebetes angesichts der religiösen Armut, die uns in manchen Erscheinungen des modernen Protestantismus auffällt.

LeerIn den Gesprächen blieb die Frage offen, wo wir konkret in bestimmten Religionen heute das vorbereitende Walten Gottes erkennen können. Hier bleibt ein weites Feld, das theologisch grundsätzlich und praktisch neu bearbeitet sein will. Jedenfalls ist es nicht möglich, vorchristliche und nachchristliche Religionen lediglich nach ihrer historischen Entstehung zu unterscheiden. Hinzu tritt noch das Problem einer ernst zu nehmenden, bewußt nicht-christlichen Ethik, wie etwa Camus sie vertritt. Ist nicht alles relativ Gute letztlich, wenn auch auf verborgene Weise von Gott gewirkt? Von der reformatorischen Botschaft her sehen wir scharf die notwendige Entscheidung, die durch Christus gegeben ist. Andererseits suchen wir heute die größere Weite im Wirken Gottes zu erkennen. Es kommt freilich alles darauf an, daß wir nach Gott und Seinem Handeln fragen, nicht aber lediglich vom Menschen ausgehen. Zweifellos erweist Gott seine Güte auch denen, die Christus nicht kennen. -

LeerVon diesem Konvent gilt, was wir bei vielen Tagungen erfahren: ihr Wert liegt nicht nur in dem, was sachlich verhandelt wird, sondern beinahe mehr noch in der persönlichen Begegnung, zumal unter den in Berlin obwaltenden Umständen. Davon im Einzelnen zu berichten, ist aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Aber wir haben die Wahrheit des Herrenwortes erfahren, die uns im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums so eindrücklich gesagt wird (V. 36b). Gerade im westlichen Teil unseres Vaterlandes brauchen wir nötig das leibhafte Sehen und Sprechen mit den Brüdern, die uns nicht besuchen können. Von ihnen, ihrem Denken und ihrem Verhalten in den täglichen Entscheidungen, haben wir manches zu lernen. Diese innerdeutschen ökumenischen Begegnungen sind unerläßlich und heilsam für unsere eigene christliche Existenz ebenso wie für die unserer Kirchen und Gemeinden.

Quatember 1964, S. 30-31

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-27
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