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Meine Romreise
von Wilhelm Stählin

LeerDas hätte ich mir nie träumen lassen, daß mein 80. Geburtstag auch noch in Rom gefeiert werden würde. Aber die Abendländische Akademie (von der in unseren Blättern wiederholt, zuletzt im Rahmen der „Briefe” im Weihnachtsheft 1963, berichtet worden ist) hatte sich ausgedacht, aus Anlaß meines 80. Geburtstages einen „akademischen Festakt” in Rom zu veranstalten, und hatte es in großzügiger Weise auch meiner Frau ermöglicht, mit mir aus diesem Anlaß nach Rom zu kommen. Es ist naturgemäß nur weniges, was ich aus dem überreichen Inhalt dieser Tage hier berichten kann. Durch die Freundlichkeit von Kardinal Bea hatte ich die Möglichkeit, an drei Vormittagen dem Konzil beizuwohnen. Der Blick auf das als Konzilsaula gestaltete Schiff von St. Peter läßt sich schwer beschreiben. Abgesehen von den Reden, die ich hören, aber nur teilweise verstehen konnte, haben mir einige allgemeine Beobachtungen einen besonderen Eindruck gemacht; vor allem die große Disziplin in dieser riesigen Versammlung, zu der es u. a. gehört, daß (jedenfalls an diesen drei Tagen) keiner der Redner die ihm zugemessene Redezeit überschritten hat. Nicht minder die Offenheit der Aussprache und die Bereitschaft der Konzilsväter, in zahlreichen Diskussionsbeiträgen eine entschiedene Bußpredigt anzuhören, und mehr noch die Tatsache, daß in einem der Querschiffe von St. Peter vor einem dazu bestimmten Altar immer eine Anzahl der Konzilsväter in stiller Versenkung, Meditation und Gebet verharrte. Dem Eindruck einer mächtigen, vom Heiligen Geist bewirkten Bewegung, von der die in ihren Bischöfen hier versammelte römische Kirche ergriffen ist, konnte sich niemand entziehen.

LeerDer geplante Festakt fand am 27. November 1963 in dem Festsaal der Anima (Collegio di Santa Maria della anima) statt, im Beisein einer sehr illustren Gesellschaft, zu der außer den Kardinälen Bea und Frings eine ganze Anzahl der deutschsprechenden Konzilsväter gehörten. Pfarrer D. Hans Schomerus als Präsident der Abendländischen Akademie und Prälat Michael Schmaus würdigten - in einer charakteristisch verschiedenen Weise - mein Lebenswerk „in seiner ökumenischen Bedeutung”. In meiner Erwiderung wollte ich zunächst zum Ausdruck bringen, daß ich diese wirklich außergewöhnliche Situation nicht so sehr als eine mir persönlich geltende Ehrung verstehen könnte, sondern vielmehr als ein öffentliches Bekenntnis zu der Wandlung im Verhältnis der getrennten Konfessionen, die sich in diesen Jahren ereignet hat, zu der Geschichte also, deren Zeugen und mitverantwortliche Werkzeuge wir sind. Ich versuchte deutlich zu machen, daß die Bemühungen um die Erneuerung der eigenen Kirche (der meine und meiner Freunde Lebensarbeit gehört hat) zugleich eine ökumenische Bedeutung hat, im Bilde gesprochen, daß „Jerusalem” Mauern und Tore hat und daß eines und dasselbe Lebenswerk der deutlichen Abgrenzung in Lehre, Kultus und Ordnung der Kirche und der Öffnung der Tore dienen kann. Gegenüber einer Bemerkung, wonach sich katholische Partner unserer Gespräche bisweilen über meine „katholischen”, bisweilen über meine „protestantischen” Äußerungen gewundert hätten, bekannte ich mich zu der „katholischen Kirche Augsburgischer Konfession” und damit zu dem ökumenischen (katholischen) Sinn der Reformation.

LeerEs war nicht mein eigener Wunsch gewesen, sondern es war von ganz anderer Stelle aus vorgesehen worden, daß im Rahmen dieser römischen Tage auch eine Audienz beim Papst stattfinden sollte. Der Gegensatz zwischen den prunkvollen Sälen, durch die die Besucher zunächst geleitet werden, den malerischen Uniformen der Schweizer Garden und der spanischen Hoftracht der päpstlichen Kammerherrn und dann der betont schlichten Persönlichkeit des Papstes, mit seinem von der Last der übergroßen Verantwortung geprägten Gesicht und dem gütigen Blick seiner Augen, bleibt unvergeßlich. Der Papst hatte mich in Privataudienz empfangen, die über 20 Minuten dauerte, und begrüßte danach die im Vorsaal wartenden Mitglieder der Abendländischen Akademie. Ich bin dankbar für diese Stunde und für diese Begegnung. Man wird nicht erwarten dürfen, daß bei einer solchen Audienz wesentliche sachliche Fragen besprochen werden können; aber auch hier ist die Tatsache einer solchen Begegnung wichtiger als das einzelne, was da gesprochen oder verschwiegen wird.

LeerDas sehr reiche Programm dieser Tage ließ immerhin Raum, manches einzelne aus der Überfülle Roms zu sehen oder wiederzusehen. Die über einem alten (noch erhaltenen und zugänglichen) Mithras-Heiligtum errichtete Kirche San Clemente mit ihren herrlichen Mosaiken erscheint mir in besonderem Maß als ein Sinnbild jener fruchtbaren Synthese zwischen dem frühen Christentum und der vorchristlichen Welt, die die Welt der Götter samt ihren Kulten so sichtbar der Majestät des einen Herrn und Kyrios unterwirft und jenes vorchristliche Erbe in die Fundamente der christlichen Kirche einbaut, statt sie feindselig abzuwehren und zu „verdrängen”. Auch hier sind die Mauern wohl gefügt, doch die Tore offen.

Quatember 1964, S. 79-80

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-29
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