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Vom Pfahlbürger zum Kosmopoliten
von Hans Carl von Haebler

LeerDie einen interessieren sich für das römische Konzil, die anderen für die physikalischen Erfindungen und soziologischen Veränderungen in unseren Tagen. Nicht allzu viele sehen beides zusammen und fragen, ob hier nicht Beziehungen bestehen und ob die Erneuerung der Kirche, für die das Vaticanum II Symptom und Symbol ist, nicht zur Evolution der Menschheit gehört. Unter diesem Gesichtspunkt muß wohl Fritz Fraenkels Aufsatz „Christus und der Kosmos” gelesen und bedacht werden. Nur als Kosmopolit wird der Christ der Verantwortung für den Kosmos gewachsen sein, die Gott ihm nach und nach überträgt.

LeerWir aber sind noch nicht einmal Europäer. Eine gewisse egozentrische Haltung, die nicht erst vom Nationalsozialismus gezüchtet wurde, sondern geographisch und geschichtlich bedingt war, hat unser Blickfeld eingeengt und macht es uns schwer, uns in die „übrige” Welt einzuordnen. Politisch und wirtschaftlich sind wir dazu gezwungen worden. Der Anschluß an das Geistesleben ist noch nicht erfolgt. (Was wissen wir zum Beispiel von dem renouveau catholique, mit dem uns Bernhard Rang in diesem Heft bekannt macht?) Ohne uns vom Ausland belehren zu lassen, treiben wir, wie Georg Picht kürzlich in „Christ und Welt” ausgeführt hat, einer Bildungskatastrophe entgegen, die einen allgemeinen Niedergang zur Folge haben müßte. Die Theologie ist davon nicht ausgeschlossen. Ein Schweizer Theologe, der an der Konferenz für „Glauben und Kirchenverfassung” in Montreal teilnahm, urteilte: „Es scheint mir, daß die Konferenz der Vorherrschaft der germanischen Theologie in den nicht-römischen Kirchen ein Ende bereitet hat. Das wird für alle ein Gewinn sein, vielleicht am meisten für die deutsche Theologie, die, ganz anders als in der Vergangenheit, genötigt sein wird, die Forschungen und wissenschaftlichen Ergebnisse außerhalb Deutschlands zu berücksichtigen.”

LeerDas Niveau unserer Kirche ist entsprechend. In dieser geschichtlichen Stunde, in der alles darauf ankommt, daß die Kirche die Welt überrundet, die Gefahren, welche die rapide Entwicklung der Menschheit mit sich bringt, abfängt und der Zukunft entgegenarbeitet, die Gott für uns bereit hält, also das aggiornamento vollzieht, das Johannes XXIII. dem Konzil als Aufgabe gestellt hatte, - in diesem Augenblick wissen unsere Kirchen nichts anderes zu tun als die Mischehenfrage hochzuspielen, vor übertriebenen Hoffnungen zu warnen und abzuwarten, als wenn das Konzil einen Schlußpunkt setzen könnte und nicht ein Ausschnitt aus dem Weltgeschehen wäre. Die Taktik des Abwartens ist seit jeher die Taktik einer ratlosen und mutlosen Reaktion gewesen.

LeerDabei ist es wirklich nicht schwer, das Gebot der Stunde zu erkennen. Es heißt, um die Formulierung des französischen Protestantismus aufzugreifen: Eine Kirche für die Welt. Was das im einzelnen bedeutet und was wir dazu beitragen müßten, kann hier nicht ausgeführt werden. Wir hoffen, in einem späteren Heft darauf zurückkommen zu können. Ohne Weitblick, ohne Selbstentäußerung und ohne einen Mut, der sich auf den Beistand des Heiligen Geistes verläßt, wird es freilich nicht gehen.

Quatember 1964, S. 96

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-29
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