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Die Taube und das Lamm
Eine Meditation über Christus und den Geist

LeerIn dem interkonfessionellen Gespräch, das wir heute führen, darf die Stimme der Orthodoxie nicht fehlen. Sie scheint mir unerläßlich zu sein, wo es um die Heilige Dreifaltigkeit und um die Lehre vom Heiligen Geist geht, die bei uns, infolge einer gewissen christomonistischen Tendenz, allzusehr vernachlässigt wurde. Professor Zander, Paris, den ich bat, uns das orthodoxe Verständnis des Heiligen Geistes näherzubringen, machte mich nun auf die nachstehende Betrachtung aufmerksam, die aus der Feder eines ostkirchlichen Mönchs stammt, und schrieb dazu: „Die Arbeit ist so schön und tief, daß ich sie in deutscher Übersetzung sehen möchte. Sie enthält die Theologie des Heiligen Geistes in ihrem Zusammenhang mit der Christologie. Der Verfasser folgt den Gedanken von Bulgakoff in seiner Weise und in einer glänzenden Form.”

LeerDer Verfasser selbst betont in einer Fußnote, daß es ihm fern lag, eine theologische Studie zu schreiben. Er wollte nur „meditieren”. Die Fragen nach dem Verhältnis des Heiligen Geistes zur Gnade und zu den Sakramenten, nach dem Filioque und der Epiklese überläßt er den Spezialisten. Sie sind ihm gewiß wichtig, aber er verfolgt einen anderen Zweck. Er will möglichst einfach schreiben und für einfache Herzen, die den Herrn Jesus schon auf ihre Weisen kennen und lieben und nun auch den Heiligen Geist etwas besser kennen und lieben lernen möchten.

LeerDie Darstellungsweise wird manchem Leser ungewohnt sein. Sie ist durch eine gewisse Weitschweifigkeit, durch einen Hang zum Spekulieren und durch eine starke innere Bewegtheit gekennzeichnet. Der orthodoxe Mönch exegisiert und meditiert eben nicht auf unsere Weise. Er verweilt nicht bei der einzelnen Bibelstelle, sondern hat immer die ganze Bibel vor Augen, die er hin und her durchstreift, um seine Gedanken an ihr zu entzünden. Kurzum, er belehrt nicht, sondern bewegt die Bibel in seinem Herzen. Der Aufsatz ist den Contacts, Revue francaise de l'Orthodoxie (15. Jahrgang, Heft 41) entnommen und wurde mit Genehmigung des Verfassers von mir aus dem Französischen übertragen und dabei etwas gekürzt. Der Verfasser selbst wünscht ungenannt zu bleiben.

LeerHans Carl von Haebler


I.

LeerJohannes der Täufer ist gekommen, um Zeugnis abzulegen. Er war der Zeuge schlechthin; der Zeuge Jesu: „Er kam zum Zeugnis, daß er von dem Licht zeugte” (Joh. 1, 7), aber ebenso auch der Zeuge des Geistes, war er doch schon „im Mutterleib mit dem Heiligen Geist erfüllt worden” (Luk. 1, 15). Derselbe Mann, der seinen Jüngern das Lamm Gottes angekündigt hat, hat die Taube auf den Messias niederfahren sehen. Man kann diese zwei Gestalten in seiner Verkündigung nicht voneinander trennen: Die Taube und das Lamm. Er brachte die Botschaft von dem Ineinander-Wirken des Geistes und des Wortes.

LeerDieses Ineinander-Wirken beginnt mit der Schöpfung. Die Genesis zeigt uns, wie der Geist Gottes auf dem Wasser schwebt, das heißt auf dem Urchaos. Das hebräische Wort dafür läßt vor uns das Bild eines Vogels auftauchen, der brütet. (Und, wie auch immer das Chaos der Welt, das Chaos in unserer eigenen Seele beschaffen sein mag, eine mächtige Hoffnung bleibt; denn der Geist hört nicht auf, über unseren dunklen Tiefen zu „brüten”.) Andererseits verkündet das vierte Evangelium, daß das Wort - der Gedanke, das schöpferische Wort Gottes - von Anfang an beim Vater war und daß „alle Dinge durch dasselbe gemacht sind”. Der Geist nahm die Welt unter die weit ausgebreiteten Flügel seiner Wärme und Liebe, während das Wort erleuchtete, deutlich machte, gestaltete.

LeerDas Paar „Taube-Lamm” kommt uns auch in den Sinn bei dem Opfer, das Joseph und Maria darbrachten, als sie Jesus im Tempel darstellten. Sie hatten die Möglichkeit ein Lamm oder zwei Tauben zu opfern. Sie opferten Turteltauben. Das war die Opfergabe der armen Leute. Aber es ziemte sich auch, daß das symbolische Opfer eines Lammes nicht stattfand da, wo das einzigartige Lamm Gottes, das wahre Osterlamm zur Stelle war.

LeerWir haben es hier mit Schatten und Bildern zu tun. Bei Johannes dem Täufer kommt das Licht zum Durchbruch. Er nimmt das Geheimnis der Taube und des Lammes wahr, er drückt es klar aus. Er „sah” das Lamm in der Gestalt Jesu unter den Menschen einher gehen. Und er verkündet und läßt keinen Zweifel, daß er den Geist „gesehen” hat, wie er sich in Gestalt einer Taube auf den Erlöser niederließ. Hier haben wir das Vorbild christlicher Gläubigkeit: gleichzeitig das Lamm und die Taube zu „sehen” (auch in Beziehung auf ihren Ausgang vom Vater). Zu „sehen”, wenn nicht mit den leiblichen Augen, so doch mit den Augen des Glaubens, des Gebetes und der Liebe. Eine Vision zu empfangen und den Unterschied und die Einheit von Lamm und Taube persönlich zu erfahren. Aber sind wir schon soweit?

II.

LeerBei vielen von uns stehen einer solchen Erfahrung zwei große Schwierigkeiten im Wege.

LeerDie eine besteht in einem schwächlichen, unsicheren, zögernden, gehemmten Verhalten - wir möchten sagen, in einem Herumtappen - im Hinblick auf den Heiligen Geist. Wir würden nicht sagen, wie die Gläubigen in Ephesus zu Paulus sagten: „Wir haben auch nie gehört, ob ein Heiliger Geist sei” (Apg. 19, 2); denn wir haben viel von ihm reden hören. Und auf die Frage des Paulus: „Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, da ihr gläubig wurdet?” würden wir eher antworten: „Wir sind durch alle Phasen, auch durch die Riten hindurch, die für die Weihe zum Christen erforderlich sind.” Trotzdem erscheint uns der Heilige Geist zu sehr wie irgendeine unklare Sache. Es fällt uns schwer an ihn zu denken wie an eine lebendige, wirkliche Person. Wir sind immer mehr oder weniger versucht, ihn uns als eine unpersönliche Kraft vorzustellen, als eine Energie, eine Macht. Sogar die Bilder, welche die Bibel benutzt, um ihn zu beschreiben, bleiben verschwommen und gewissermaßen im Dunst. Er ist Hauch, er ist Flamme, er ist Wohlgeruch, er ist Salbung, er ist eine Taube, die fliegt und sich niederläßt. Er ist all das - und er ist doch nichts von alledem. Es handelt sich nur um Erscheinungsweisen, und wie flüchtig sind siel Er bleibt unbestimmt, ungreifbar. Welch ein Unterschied zu dem Jahve des Alten Testaments, der sich, wenn schon durch Medien hindurch, sehen läßt und der mit den Menschen spricht, oder zu dem Jesus unserer Evangelien! Wie läßt sich zwischen dem Geist und uns jene innige Beziehung herstellen, wo wir „Du” zu ihm sagen könnten und wo wir zu hören bekämen, wie er „Du” zu uns sagt?

LeerEine andere Schwierigkeit, der man gerade bei den frömmsten Seelen häufig begegnet, kann daher kommen, daß wir uns ganz an die Person Jesu halten. Wer Jesus am meisten liebt, wer ihm in Vertraulichkeit und zärtlicher Liebe anhängt fürchtet oder hat bis zu einem gewissen Grade das Gefühl, daß er ihn verliert oder sich wenigstens von ihm entfernt, wenn er versucht, sich dem Geist zuzuwenden. Die Apostelgeschichte, das Buch des Heiligen Geistes, hat ihre eigene Atmosphäre - die Pfingst-Herrlichkeit -, aber diese Atmosphäre ist nicht mehr ganz die der Evangelien. Der pfingstliche Christus ist zwar mit dem galiläischen Jesus identisch, aber er gleicht ihm nicht ganz genau. Wer sich in seinen Meditationen und Gebeten auf den menschgewordenen Gott konzentriert, wer Christus fest an sich gedrückt hat, dem fällt es nicht leicht, sich dem Geist zuzuwenden, den zarten Tau aufzufangen, der früh und spät benetzt und durchfeuchtet, ohne daß man einen Tropfen vom Himmel fallen sieht.

LeerZwischen diesen beiden Schwierigkeiten besteht ein Zusammenhang. Sie lassen sich auch nur zusammen überwinden. Je mehr wir den Geist als Person verstehen, um so mehr werden wir die enge Beziehung begreifen, die die Taube mit dem Lamm verbindet. Und je tiefer wir in die gegenseitige Liebe des Lammes und der Taube eindringen, um so mehr werden wir sehen, wie der Geist sich als Person erweist.

III.

LeerJohannes sieht, wie der Geist vom Himmel gleich einer Taube herabfährt und sich auf Jesus niederläßt. Das ist für unsere Untersuchung von grundlegender Bedeutung. Die Bewegung des Geistes - soweit er sich den Menschen kundtut - ist eine Bewegung auf Jesus hin, eine Bewegung, die am Lamm orientiert und auf das Lamm hin gerichtet ist. Wenn wir nicht an dieser ersten und wesentlichen Wahrheit festhalten, wird alles andere falsch.

LeerVon jetzt ab müssen wir also, und zwar radikal, die falsche Vorstellung zurückweisen, die so viele und sonst so hochstehende fromme Denker irregeführt hat. Wir meinen den Traum von einem „dritten Reich”, dem Reich dieses Geistes, der an die Stelle Jesu treten sollte - einem Endreich, das auf das Reich des Vaters folgen wird. Es gibt kein Reich des Geistes, das unabhängig wäre vom „Reich Gottes”, wie es im Evangelium verkündigt und von Jesus Christus vergeben wird. Der Heilige Geist, der nicht nur handelt, sondern selbst ganz Handlung und Verwirklichung ist, bildet das wahre Werkzeug für dieses Reich, und dieses Werkzeug arbeitet so vollkommen, es fällt so sehr mit dem Werk zusammen, daß der Geist selbst in das Reich eingeht. Aber er besitzt es nicht. Freilich, der Geist ist König - die meisten Gottesdienste des byzantinischen Ritus beginnen mit dem Gebet „König des Himmels, Tröster, Geist der Wahrheit” -, aber sein Königtum besteht darin, daß er seine Untertanen demjenigen zu Füßen legt, der zu Pilatus gesagt hat: „Ich bin ein König.” Das Wirken des Geistes, seine unsichtbare Herrschaft über die Seelen, schafft und offenbart das Königtum des fleischgewordenen Wortes. Der Vater sendet die Taube herab auf das Lamm, und das Lamm sendet die Taube auf uns herab, nicht damit wir die Taube an die Stelle des Lammes setzen, sondern damit die Taube uns an das Lamm erinnert. Und hier hat „Erinnern” nicht die abgeschwächte Bedeutung eines Ins-Gedächtnis-Rufens, sondern die stärkere Bedeutung eines neuen, wirksamen Anrufs, eines „Wiederkehren-Lassens”. Die Rolle der Taube, die Aufgabe des Geistes im Hinblick auf uns ist es, das Lamm zu offenbaren, uns die Augen für Christus zu öffnen. Er, der Geist, der selber unsichtbar und unfühlbar ist, hat die Aufgabe, uns Jesus auf geistige Weise sichtbar und berührbar zu machen.

LeerVon sich aus und für sich allein kann die Taube nichts tun. Jesus sagt vom Geist: „Er wird nicht von sich selber reden, sondern was er hören wird, das wird er reden. Von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen” (Joh. 16,13 f.). Wir kommen später noch auf die Worte des Geistes zurück. Fürs erste wollen wir nur festhalten, daß der Geist nichts anderes offenbart als den Sohn. Was der Geist uns offenbart, oder vielmehr, wen der Geist offenbart, das ist Jesus.

LeerDer Geist läßt sich auf das Lamm herab, um es uns zu zeigen. Der Heilige Geist weckt und belebt in uns das Andenken an Jesus. Aber dieser Ausdruck ist zu schwach. Der Geist stellt Jesus vor uns hin. Er richtet sein Bild vor uns auf, die Person des Erlösers. Er ist das Echo des Wortes. Er verschafft dem Worte Gottes Widerhall und Verbreitung.

LeerUnd da wir von uns aus auf Jesus nicht hören können, „hilft er unserer Schwachheit auf”. Da wir nicht beten können, „wie sich's gebührt, vertritt er uns selbst mit unaussprechlichem Seufzen” (Röm. 8, 26). Er ist die Kraftquelle, wenn wir uns zu Jesus erheben. Paulus spricht das aus: „Niemand kann Jesum einen Herrn heißen außer durch den Heiligen Geist” (1. Kor. 12, 3). Er tritt in gewisser Weise an unsere Stelle. Er nimmt selbst unseren Platz ein. Er läßt uns „ich” sagen, wenn wir uns an Jesus als ein „Du” wenden.

LeerMan könnte - aber ohne diese philosophischen Begriffe allzusehr zu strapazieren - sagen, daß der Geist, soweit er sich, natürlich ohne Verschmelzung der Naturen, mit uns identifiziert, sich zum Subjekt des Christenlebens macht, zum Subjekt, das sich sehnt und emporstrebt, wo Jesus das Objekt ist, das Vorbild, das unmittelbare Ziel, nach dem wir uns ausstrecken (während der Vater am Ende aller Dinge steht).

LeerKann man sagen, daß Jesus mehr außerhalb von uns ist als der Geist? Kann man sagen, daß der Geist mehr in unserem Inneren ist als Jesus? Nein. Jesus und der Geist sind in gleicher Weise in uns, sie stehen uns gleich nahe, ohne daß sie deshalb aufhörten, für uns transzendent zu sein. Aber es gibt verschiedene Weisen des Innen-Seins. Einerseits sagt uns der heilige Paulus: „Ihr seid der Leib Christi und Glieder” (1. Kor. 12, 27). Andererseits sagt er uns auch: „Wißt ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist?” (1. Kor. 6,19). Weil jeder von uns, in seiner Individualität, ein Tempel des Heiligen Geistes ist, deshalb bilden wir alle zusammen den Leib Christi. Die Schrift gebraucht die beiden Ausdrücke „in Christus” und „im Geist” ungefähr im gleichen Sinn. Oft scheint man unser In-Gott-Sein eher dem Geist zuzuschreiben als Christus und in Christus eher Gottes Werkzeug zu sehen als im Geist. Man denkt und sagt dann auch: „durch Christus in dem Geist”. In einem Sinne ist diese Formel sehr richtig. Aber wenn man die - allerdings vergröbernde - Formel gelten läßt: „Der Geist ist das Subjekt, der Sohn ist das Objekt”, wäre es vielleicht noch richtiger zu sagen, daß wir „durch den Geist” „in Christo” sind.

IV.

LeerSehen wir jetzt etwas klarer, weshalb wir so oft daran scheitern, den Heiligen Geist zu „erlangen”?

LeerJeder derartige Versuch ist zum Scheitern verurteilt, wenn wir uns der Taube nähern und sie einzufangen suchen, als wäre sie eine vom Lamm unabhängige Wirklichkeit. Sobald man den Geist gesondert vom Sohn betrachtet, verflüchtigt er sich und verschwindet. Nichts bleibt in unseren Händen, wenn man so sagen darf. Wir erlangen die Taube nur, wenn wir ihrem Flug zum Lamm folgen, wenn wir von ihr die Gegenwart des Lammes empfangen.

LeerWir können das im Gebet tun. Es ist bezeichnend, daß die Kirche nur wenig Gebete hat, die sich direkt an den Heiligen Geist wenden, und daß es in diesen seltenen Gebeten fast nur um sein Kommen geht. Und wenn wir mit eigenen Worten und aus dem Stegreif zum Heiligen Geist beten wollen, merken wir, daß das nicht ganz einfach ist. Unserem Bemühen, mit ihm in Fühlung zu kommen, fehlt oft die Klarheit und Inständigkeit. Der Drang der Seele ist oft geringer, als wenn wir zu Jesus oder selbst zum Vater beten. Diesem Mangel läßt sich abhelfen, wenn wir in unseren Gebeten wieder beachten oder besser beachten, was Jesus mit dem Geist verbindet. Vielleicht sind die besten Gebete an den Heiligen Geist diejenigen, die sich nicht unmittelbar an ihn wenden, sondern ihn zur Triebfeder haben und aus seiner Vollmacht kommen, auch wenn sein Name darin nicht vorkommt. Zitieren wir noch einmal den Satz des Paulus: „Niemand kann Jesus einen Herrn heißen außer durch den Heiligen Geist.” Wir bitten den Geist, wenn nicht dem Buchstaben, so doch der Sache nach, immer dann, wenn wir uns von ihm leiten lassen, einerlei, an wen das Gebet gerichtet ist. Der Geist ist, für gewöhnlich wenigstens, nicht unser Gebetsanliegen. Er ist das, was zwischen uns selbst und unserem Gebetsanliegen noch da ist. Er ist eine Erhebung zum Sohn, auch eine Erhebung zum Vater, aber zum Vater, der sich im Sohn finden läßt. Auf Grund seiner Fleischwerdung bleibt Christus das unmittelbare Objekt. Jedes Gebet, bei dem wir uns bewußt sind, daß er der Geist ist, durch den wir Jesus Christus einen Herrn heißen, ist eine gute und echte Bitte an den Heiligen Geist.

LeerVersuchen wir nicht, den Flug der Taube zum Lamm aufzuhalten! Freilich, es wäre verlockend, den Flug zu unterbrechen, die Taube festzuhalten, sie in aller Muße zu betrachten, sich mit ihr anzufreunden. Wenn wir nur ein wenig von ihrer selbstlosen Liebe gespürt haben, möchten auch wir ihr zurufen: „Der Winter ist vergangen, die Turteltaube läßt sich hören in unserem Lande. Du, meine Taube in den Felsklüften und Steinritzen, zeige mir deine Gestalt, laß mich hören deine Stimme; denn deine Stimme ist süß und deine Gestalt ist lieblich” (Hohelied 2, 12.14). Und wir träumen vielleicht von einem Leben, das wir mit der Taube zubringen, ihr weihen . . .

LeerAber die Taube würde nicht in uns überleben, wenn wir sie in ihrem Lauf aufhalten wollten. Wir können wohl, für kurze Augenblicke, die Freude spüren, die ihre Gegenwart bereitet. Nichtsdestoweniger ist diese Freude der Abglanz einer anderen Gegenwart. Die Taube will nichts haben, was ihr allein gehört, was von ihr allein kommt. Durch die Gegenwart der Taube soll die Gegenwart eines anderen herbeigeführt werden. Die Taube will Platz machen. Sie kommt zu uns, um uns mitzunehmen zum Lamm.

V.

LeerEs genügt noch nicht, wenn wir sagen, daß die Taube zum Lamm führt. Sie läßt uns bis ins Herz des Lammes eindringen. Die Bewegung, durch die der Heilige Geist uns zu Jesus emporträgt, macht nicht halt vor der Person des Erlösers. Wir haben ja schon gesehen: weil wir Tempel des Geistes sind, der den ganzen Leib Christi beseelt, werden wir Glieder Jesu. Und jetzt, wo wir ihm einverleibt sind, entdecken wir, daß eben dieser Geist ihn selber durch und durch bewegt. In seinem Wollen und Tun ist der menschgewordene Gott abhängig vom Geist. Um uns in seine Abhängigkeit zu bringen und durch seine Einhauchung zu einen, sendet Jesus uns „seinen” Geist. Denn je tiefer wir kraft des Geistes in Christus eindringen und uns in ihn versenken, um so mehr merken wir, daß der Heilige Geist der Geist Jesu ist.

Leer„Der Geist des Herrn ist bei mir”, sagt der Messias selber in der Synagoge von Nazareth (Luk. 4,18.21). Das ganze Leben Jesu verläuft unter der Führung des Geistes. Er ist empfangen vom Heiligen Geist (in unseren Advents- und Weihnachtsgebeten sollte der Dank an den Heiligen Geist als das Werkzeug der Inkarnation nicht vergessen werden). Der Geist „entführt” Jesus (Matth. 4, 1), er „treibt” ihn in die Wüste (Mark. 1, 12), damit er hier vom Satan versucht wird. Jesus „freut sich im Geist” (Luk. 10.21). Vom Herabkommen der Taube bei der Taufe Jesu haben wir schon gesprochen. Das Selbstopfer, das Jesus in seiner Passion darbringt, ist vom Geist eingegeben (Hebr. 9, 14). Die Schrift zeigt uns zwar nicht die Taube auf dem Kreuz, wo das wahre Osterlamm geopfert wird, doch hat die christliche Kunst das Thema aufgegriffen, und können wir daran zweifeln, daß der Geist Jesus die ganze Passion hindurch leitete und stützte, wo dieser auch die geringsten Regungen des Geistes spürte und befolgte? Schließlich - vielleicht denken wir zu wenig daran - war es der Geist, durch den der Vater Jesus von den Toten auferweckte (Röm. 8, 11). In Jesus begegnen wir dem Geist in seiner reinen Gestalt. Das Leben, an dem Jesus uns teilhaben läßt, ist dasselbe Leben, das der Geist in ihm beseelt und leitet.

VI.

LeerDiese Teilhabe am Leben findet ihren zutreffenden Ausdruck darin, daß der Geist sich unter der Gestalt eines Anhauchs, eines Windes kundtut.

LeerDie Schrift setzt Leben und Hauchen gleich. Bei der Erschaffung Adams „hauchte Gott ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase, und also ward der Mensch eine lebendige Seele” (1. Mose, 2, 7). Mit dieser ersten Schöpfung, mit diesem ersten Anhauch wurde die Grundlage für eine neue Schöpfung und Einhauchung vorbereitet: die Schöpfung und Einhauchung des Geistes.

LeerAm Morgen des Pfingsttages, als die Jünger alle beieinander waren, „geschah schnell ein Brausen vom Himmel wie eines gewaltigen Windes” (Apg. 2, 2). Aber dieser Pfingstwind war nicht die erste Anhauchung der Jünger durch den Geist. Am Osterabend war der auferstandene Jesus den Jüngern erschienen. Er blies sie an und sprach zu ihnen: „Nehmt hin den Heiligen Geist” (Joh. 20, 22).

LeerDer Geist, den Jesus den Jüngern eingehaucht hatte, blieb in ihnen bis zum Pfingstmorgen gleichsam verborgen, gleichsam im Zustand der Ruhe. Aber dann tat sich der Anhauch mit Macht kund. Er wurde zum heftigen und stürmischen Wind. Die Flügel der Taube brausten wie ein Gewitter. Der Apostel Petrus bekräftigt den Zusammenhang zwischen dem Pfingstwind und dem ersten Anhauch am Ostertage - zwischen dem Wind der Taube 'und dem Hauch des Lammes. Denn kaum ist der Pfingstgeist gekommen, da verkündigt er: „Dieser Jesus hat den Geist ausgegossen, den ihr seht und hört” (Apg. 2, 32.33; zitiert nach dem griechischen Text). Und diese Ausgießung hat die Wirkung, daß die Apostel mit großer Kraft Zeugnis gaben von der Auferstehung des Herrn Jesu (Apg. 4, 33).

LeerDie Erfahrung der Heiligen läßt indessen vermuten, daß der stürmische Pfingstwind - das Kommen des Heiligen Geistes in Kraft - eher eine außergewöhnliche Ausnahmeerscheinung ist und daß der Anhauch des Geistes in den meisten Fällen nur innerlich empfangen wird wie jenes „stille, sanfte Sausen”, das der Prophet Elia auf dem Horeb vernahm.

LeerDas Anhauchen bringt noch etwas anderes zum Ausdruck als die Teilhabe am Leben Gottes. Jesus sagt zu Nikodemus: „Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl. Aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist” (Joh. 3, 8).

LeerDer Heilige Geist geht mit uns um. Er bewegt uns. In dieser Beziehung unterscheidet er sich vom Wort, das uns erleuchtet und belehrt. Doch gehen diese Tätigkeiten nicht nebeneinander her. Sie überschneiden sich ständig. Was auch der Geist uns im einzelnen nahelegt, letzten Endes bewirkt er immer, daß wir Jesus wollen und erlangen. In jeder Regung unserer Seele, die auf Jesus gerichtet ist, lebt der Geist. Dieser Regung nachgeben, heißt, sich mit dem Geist vereinigen. Und darin besteht zutiefst die Liebe zum Heiligen Geist.

LeerNun gibt es freilich in dem Leben, das sich dem Geist ausliefert, verschiedene Stufen. Viele bemühen sich, den Regeln und Vorschriften nicht untreu zu werden, ohne ausdrücklich oder bewußt den Versuch zu machen, sich für einen Anhauch offen zu halten. Andere lassen sich, auf Anraten des Geistes, bei bestimmten außerordentlichen und großen Gelegenheiten schmieden. Andere wissen darum, daß vor Gott alle Gelegenheiten groß sind; daß es keine kleinen oder unwesentlichen Handlungen gibt; und daß jede freie Wahl, jeder Schritt, mag er auch noch so unbedeutend erscheinen - das Wort, das sie sagen, der Brief, den sie schreiben, das Buch, das sie lesen-, vom göttlichen Anhauch gelenkt sein kann. Das ist „gelenktes” Leben. Auf einer höheren Stufe kann man ein Gefangener des Geistes werden und sich nur noch, von ihm gefesselt und gebunden, fortbewegen, wie es beim Apostel Paulus der Fall war. Es gibt eben viele Etappen auf dem Wege des heiligen Gehorsams. Wichtig ist, daß wir dort anfangen, wo wir uns befinden, mit dem Wenigen, das wir haben.

LeerIn der Schau des Johannes stellt der Flug der Taube zu Jesus die gelenkte Handlung, den ausgerichteten Willen dar, das Werk des Geistes, den der Vater zum Sohn, zum Lamm sendet, damit er sich auf ihm niederläßt.

VII.

LeerAm Pfingstmorgen hat sich der Geist nicht in Gestalt einer Taube auf die Jünger niedergelassen. „Es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen” (Apg. 2, 3). Was bedeuteten diese Zungen? Jeder Jünger erhält eine von den Feuerzungen. Dadurch wird der persönliche Charakter des Lebens im Geiste unterstrichen. Die Apostel, die Mutter, die „Brüder” des Herrn, die anderen Frauen und die anderen Jünger, die zugegen sind, sie alle erhalten, in den Augen der Menschen, gleichen Anteil am Geist.

Leer„Und sie fingen an zu reden mit anderen Zungen, nachdem der Geist ihnen gab auszusprechen” (Apg. 2, 4). Wir brauchen hier nicht zu untersuchen, was unter diesem Mit-Zungen-Reden am Pfingsttage zu verstehen ist. Handelt es sich um eine den Jüngern auf wunderbare Weise eingeflößte Kenntnis der damaligen Sprachen? Oder drückten sie sich auf Aramäisch aus, während die Zuhörer sie in ihren verschiedenen Sprachen verstanden? Oder verstanden die Zuhörer den Sinn des Gesagten unabhängig von den gesprochenen Wörtern, unmittelbar, auf eine geistliche Weise? Oder geschah da etwas, was dem Zungenreden entsprach, zu dem es später in Korinth kam? Einerlei! Es wäre voreilig, die Glossolalie von den Weisen geistlicher Äußerung auszuschließen, die auch heute noch möglich sind. Aber für unsere Zwecke können wir dem Mit-Zungen-Reden am Pfingstmorgen eine ganz alltägliche, weniger Aufsehen erregende Seite abgewinnen. Für uns handelt es sich darum, die Sprache, die Sprechweise zu finden oder vielmehr durch Eingebung des Geistes zu empfangen, mit der wir die Herzen derer erreichen, an die wir uns wenden. Über die Wörter hinweg spricht das Herz zum Herzen, cor ad cor loquitur. Um diese Pfingstgnade können und sollen wir uns unablässig bemühen.

LeerDas Organ der Zunge hat etwas mit dem Geist selbst zu tun. Auf die Hebräer machte das Gurren und Seufzen der Tauben Eindruck. Die Taube ist die Stimme Gottes, die Zunge ihr sichtbares Werkzeug. Der Vater denkt. Sein Gedanke ist der Logos, das Wort. Träger des Wortes ist die Stimme, und das ist der Geist.

LeerAber bringt der Geist nicht seine eigenen Worte hervor? Spricht er nicht genauso zu uns, wie der Sohn zu uns spricht? Die Apostelgeschichte berichtet wiederholt von Weisungen, die der Geist gibt. Aber in Wirklichkeit ist jedes Wort Gottes ein Wort Jesu, ein Worte dessen, der selber das Wort ist, das fleischgewordene Wort. Der Geist spricht nicht von sich selbst, wie der Erlöser ausdrücklich sagt. Wie kommt es dann aber, daß gewisse Worte dem Geist zugeschrieben werden? Dazu ist zu sagen, daß solche Zwischenkünfte des Geistes ziemlich selten sind. Sie sind kurz. Sie bestehen in bestimmten Anweisungen wie etwa: „Sondert mir aus Barnabas und Saulus” (Apg. 13, 2). Der Heilige Geist wehrt dem Paulus und dem Timotheus, „zu reden das Wort in Asien” (Apg. 16, 6). Er läßt es auch nicht zu, daß sie durch Bithynien reisen (Apg. 16, 7). Es geht aus den Texten nicht hervor, ob diese Anweisungen in Wörtern ausgedrückt waren. Nur der Wortlaut des erstgenannten Zitats stammt offenbar vom Geist. Dem Paulus bezeugt der Geist, daß in allen Städten Bande und Trübsal seiner warten (Apg. 20, 23). Auch hier handelt es sich um eine kurze Mitteilung ohne Angabe des Wortlauts.

LeerIm Credo bekennen wir, daß der Geist „durch die Propheten geredet hat”. Das heißt, er hat die Propheten zubereitet, befähigt, dazu veranlaßt, das, was ihnen das Wort Gottes mitgeteilt hatte, aufzunehmen und zu verkündigen. Aber der Geist war nicht das Wort.

LeerDer Geist unterscheidet sich also wesentlich vom Wort. Indessen ist er Träger und Herold des Wortes, weil er die Stimme ist. Zwischen dem Geist und dem Wort, dem Logos, besteht dieselbe Beziehung wir zwischen der Stimme und dem Wortinhalt. Durch ihre Bewegtheit und durch ihren Klang individualisiert die Stimme den objektiven und für alle gleichen Inhalt des Wortes. Sie bewirkt, daß man sich das Wort aneignen kann. Der Geist wirkt nicht nur auf unseren Willen ein, er setzt uns nicht nur in Bewegung, insoweit er Stimme ist, bringt er auch das Wort hervor, paßt es unseren Empfindungen an und beeinflußt unsere Regungen. Er bewirkt, daß das Wort jeder Seele gerecht wird. Er verleiht demselben Wort, je nach seinen Hörern, wechselnde Schattierungen.

VIII.

LeerDie Zungen, die auf die Jünger herabfuhren, waren wie Feuerzungen. Hier zeigt sich der Heilige Geist von einer anderen Seite.

LeerZwischen dem Wind und der Flamme, zwischen dem Anhauch und dem Feuer des Geistes besteht eine enge Beziehung. Ohne Luft kein Feuer. Die Flamme des Geistes ist das sichtbare Zeichen eines unsichtbaren Anhauchs. Auch in der Flamme gibt es eine Beziehung zwischen Geist und Logos. Denn das Feuer erzeugt Licht und Wärme. Das Wort in seiner vollkommenen Klarheit ist das Element des Lichts, das Licht der Welt. Es erleuchtet alle Menschen. Aber das Feuer wäre nicht zu sehen ohne jenen Verbrennungsvorgang, der das Werk des Geistes ist und der die Wärme entwickelt. Vom Heiligen Geist bewirkt, macht die Verbrennung das Licht, Christus, sichtbar. Die Taube zeigt das Lamm.

LeerWo der Geist wirkt, da verbrennt immer zweierlei. Es geht etwas in uns vor und etwas im Geist. Einerseits entflammt der Geist diejenigen, an denen er handelt. Er erwärmt sie, er beseelt sie durch jene Leben spendende Glut, die wir Liebe nennen. Auch in diesem Falle wirkt er nicht auf unseren Verstand ein, sondern auf den Willen und auf das Gefühlsleben. Er setzt sich in Gefühle um. Nun bitten wir zwar den Heiligen Geist um Erleuchtung. Aber der Heilige Geist ist nicht das Licht. Er zeigt nur und offenbart den, der allein das Licht ist, Jesus. Er erzeugt das Licht, wie die Glut die Helligkeit erzeugt. Wir sagten, daß die Pfingstzungen für uns, in unserem Alltag, die Sprechweise bezeichnen, die der Geist uns eingibt, damit wir die verschiedenen Herzen erreichen. Aber diese neue Sprache muß voller Glut sein, sie muß sich entzündet haben und brennen - heiß und sanft -, und eben daran erkennt man den Geist. So kommen wir zu den feurigen Zungen. So bringen Geist, Stimme, Zunge das Wort, den Sohn Gottes, den Logos hervor.

LeerAber wie soll das grüne Holz, das wir sind, sich entzünden und Feuer fangen - das Feuer des Geistes? Was den Menschen unmöglich ist, ist dem Herrn möglich. Der Prophet Elia hatte dreimal vier Krüge Wasser auf das Brandopfer und das Holz gegossen, und das Wasser floß um den Altar; und trotzdem stieg das Feuer empor und verzehrte Altar und Brandopfer (1. Kön. 18, 30-38). So unrein ich bin, das Feuer des Geistes kann jetzt, in dieser Minute, auf mich fallen - wenn ich mich darbiete.

LeerWer vom Geist entzündet ist, verzehrt sich selbst. Wo Feuer ist, da verbrennt irgend etwas und wird zerstört. Das Feuer muß genährt werden. In uns muß die lebendige Flamme fressen, was nicht von Gott ist.

LeerAndererseits brennt der Heilige Geist selbst ohne Ende, ohne daß in ihm etwas zu zerstören wäre; denn er ist die Reinheit, die Heiligkeit selbst. Er ist der feurige Busch, den Moses sah: „Und er sah, daß der Busch mit Feuer brannte und ward doch nicht verzehrt” (2. Mose 3, 2). Sollten wir nicht mit Mose sagen: „Ich will dahin und beschauen dies große Gesicht, warum der Busch nicht verbrennt.”?

LeerBei einem gewissen Hitzegrad kommt es zum Sieden. Die Begleiterscheinungen bei der Herabkunft des Geistes am Pfingsttage lassen uns an ein Aufwallen denken, an ein Aufbrausen. Es ist das Brausen des Geistes. Heilungen, neue Sprachen, wunderbare göttliche Eingriffe ereigneten sich. Die Frage liegt nahe, warum es nicht mehr oder nur noch selten zu solchen Eingriffen kommt. In vielen Fällen ist unsere Glaubensarmut, unsere Kleinmütigkeit daran schuld. Wagen wir noch, den Kranken die Hände aufzulegen? Wagen wir uns noch, allein mit dem Namen Jesu bewaffnet, in eine feindliche Welt hinein? Trotzdem hat die Kraft des Geistes nicht nachgelassen und läßt nicht nach, Christus zu bezeugen. Die ganze Geschichte der Heiligen zeigt uns, wie die Pfingstgnade in unser Alltagsleben einbricht. Oft werden wir dieser Gnade nicht inne, weil wir uns der Erwartung von etwas Außerordentlichem hingeben. Aber es ist nicht die Art des Geistes, Wundertäter und äußere Wunder hervorzubringen. Gelehrige Schüler des Geistes erlangen die Fähigkeit, die gewöhnlichen Dinge auf ungewöhnliche Weise zu tun, das Banalste mit einem neuen, tieferen Sinn zu erfüllen. Dieses „Außergewöhnliche” entgeht den Blicken, und doch wird alles verwandelt. Eisen bleibt Eisen. Nichtsdestoweniger wird es durch die Temperatur verändert. Das Feuer macht es rot- und weißglühend.

IX.

LeerKehren wir zur Betrachtung der Taube zurück. Sie ist ja die einzige lebendige Gestalt, unter der der Geist sich bekundet hat.

LeerKaum ist Jesus getauft, da fährt die Taube auf ihn herab. Die Herabkunft ist eine Gabe. Sie ist die Gabe des Vaters an seinen lieben Sohn. Die Taube wird dem Lamm gegeben. Gerade darin, daß der Geist sich als Gabe erweist, offenbart sich das Mysterium der Taube in seiner ganzen Tiefe.

Leer„Ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen”, sagt der Apostel Petrus (Apg. 2, 38). Die ganze Apostelgeschichte zeigt, wie Gottes Gabe mit dem Geist gleichgesetzt wird. Die griechischen Väter haben diese Erkenntnis noch vertieft und gesagt, daß der Geist nicht nur der Geber ist, der Gaben gewährt, sondern daß er selber, in einem ausgezeichneten Sinn, die Gabe ist, das heißt derjenige, der seine eigene Person darangibt. Mehr noch: Er ist eins mit der „Gebung”, mit dem Akt des Gebens; denn der Geist offenbart sich ja in der Aktion. Sein Kommen, seine Aktualität besteht in gewisser Weise darin, daß er sich selbst ausschöpft. Er verausgabt sich unbegrenzt. Er ist Freigebigkeit, Fruchtbarkeit, Ausgießung, Aushauchung. Deshalb ist der Geist so schwer zu „greifen”. Er ergießt sich in den unendlichen Abgrund der Entäußerung und Selbstverleugnung. Er zeigt sich nur, wenn er „zu” einem anderen oder „bei” einem anderen steht. Wegen dieses Bei-Stehens nennt ihn Jesus auch den Parakleten.

LeerDas Wort „Paraklet” wird oft mit „Tröster” übersetzt. Es bedeutet aber, genau genommen, den „Herbei-Gerufenen”. Der Geist steht uns bei wie ein Freund, ein Helfer, ein Verteidiger gegen die Welt. Jesus selbst ist unser Paraklet, unser Beistand beim Vater (1. Joh. 2, 1). Aber er kündigt einen zweiten Parakleten an (Joh. 16, 3). Der zweite Paraklet, der Geist, ist der Beistand Jesu bei uns, er verteidigt die Sache Jesu, hält sein Gedächtnis wach, ist der Widerhall seines Wortes. Das ist ein Grund, weshalb man sagen kann, daß der Geist der Tröster ist. Er ist zu den Jüngern gesandt, um sie zu trösten, weil Jesus nicht mehr sichtbar gegenwärtig ist. Zweitens tröstet uns der Geist in unserer täglichen Trübsal; denn diese gehört ja zu der großen Trübsal, daß der Erlöser unserem Blick entzogen ist.

LeerIn unserem persönlichen Leben können wir die Erfahrung machen, daß der Geist eine Gabe ist. Wenn wir Gott um diese oder jene irdische Sache bitten, sind wir niemals sicher, daß unsere Bitte mit seinem Willen übereinstimmt. Aber bei einer Bitte sind wir der Erhörung gewiß, wenn wir ihr nicht selber Hindernisse in den Weg stellen. Das ist die Bitte um die höchste Gabe, die Bitte um den Geist. Jesus verheißt: „So denn ihr, die ihr arg seid, könnet euren Kindern gute Gaben geben, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten” (Luk. 11, 13).

LeerHier geht es um die Taufe mit dem Geist. „Ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen”, sagt Jesus seinen Jüngern (Apg. 1, 5). Offenbar weist er damit auf Pfingsten hin. Das Kommen des Geistes scheint nicht an eine Institution oder an ein Amt gebunden zu sein. Saulus empfing nach seiner Bekehrung den Heiligen Geist, noch ehe er mit Wasser getauft wurde, und zwar durch die Handauflegung des Ananias, den die Apostel, soviel wir wissen, dazu nicht ermächtigt hatten. Auch die Neubekehrten in Joppe wurden vor Empfang der Wassertaufe mit dem Heiligen Geist getauft (Apg. 10, 44 ff.). Die Herabkunft des Geistes kann sich auch wiederholen. Die Brüder, die gleich nach Pfingsten den Geist empfangen hatten, wurden noch einmal mit dem Heiligen Geist erfüllt (unter der an Pfingsten erinnernden Begleiterscheinung eines Erdbebens. Apg. 4, 31).

X.

LeerDer Geist ist Gabe, er ist für uns die Gabe. Insofern er Gabe ist, können wir die Wirklichkeit des Geistes nachweisen. Aber der Begriff der „Gabe” ermöglicht uns auch, in sehr bescheidenem Ausmaß einige Klarheit über die personalen Beziehungen zwischen der Taube, dem Lamm und dem Vater zu erlangen. Wir berühren damit das unergründliche, unaussagbare Mysterium der drei göttlichen Personen, und, was wir dazu sagen werden, kann natürlich nicht mehr sein als ein ärmliches Gestammel.

LeerMan kann sich den personalen Charakter des Heiligen Geistes auf verschiedene Weise nahebringen. Man kann ihn, völlig legitim, nicht als eine abstrakte, sondern als eine wesentliche und lebendige Beziehung innerhalb der Gottheit definieren. Was ihm eigen ist, ist dann die Hauchung, so wie dem Sohne die Kindschaft und dem Vater die Zeugung eigen ist. Man hat als Ausgangspunkt oder Vergleich auch die psychologischen Vorgänge im Menschen gewählt und auf diese Weise eine besondere Beziehung zwischen dem göttlichen Wort und unserem Verstand oder zwischen dem Geist und unserem Willen hergestellt, wobei der Vater dann Ursprung des einen wie des anderen ist. Es gibt aber noch einen anderen Weg, auf dem erlauchte Geister und Heilige versucht haben, den Heiligen Geist zu erfassen mit Hilfe der Vorstellung, daß eine Person der anderen etwas gibt, indem sie sich selber zur Gabe macht.

LeerGott ist Liebe. Die Person des Vaters ist der Anlaß und die Quelle der Liebe. Der Vater ist der erste Liebende, die ungeschaffene Liebeskraft, das Herz, dem alles entquillt. Die Person des Sohnes ist die des Erst-Geliebten. In zweiter Linie ist auch der Sohn Liebender, aber zunächst ist er der Geliebte, der „liebe Sohn”. Läßt sich jetzt der Geist als die Liebe zwischen dem ersten Liebenden und dem Erst-Geliebten definieren? In gewissem Sinne, ja. Aber so leicht es ist, sich einen Liebenden und einen Geliebten als Person vorzustellen, so schwer ist es, die Liebe, die ja eher eine Haltung der Seele zu sein scheint, personal zu verstehen. So kommen wir dazu, uns eine dritte Person vorzustellen, die zugleich „Mit-Liebender” und „Mit-Geliebter” sein müßte. Ihr Verhältnis zu den beiden anderen Personen müßte das der „Mit-Liebe” sein. Wir sind gewiß weit davon entfernt, in den Kreis einzudringen, in dem sich die göttliche Liebe austauscht, aber der condilectus des Richard von St. Victor, der Mit-Geliebte, der dem Vater und dem Sohne gleich ist, wäre dann die Gabe, die unvorstellbar große Gabe einer Person, die sich selber darbringt, eine Gabe, die zunächst von der göttlichen Person des Vaters ausgeht, der allein die „Quelle” ist.

LeerWir wollen nicht weitergehen und uns in theologische Erörterungen einlassen, sondern uns mit der Bemerkung begnügen, daß wir von Christen wissen, die sich von dem Geist als Person keine Vorstellung machen konnten, bis sie in diesem Begriff einer „Person als Gabe” einen Ausweg aus ihren Schwierigkeiten fanden. Sie sind der Wirklichkeit des Heiligen Geistes innegeworden, die ganz personal, ganz gebend, ganz Gabe ist.

XI.

LeerDie Menschen erfahren den Geist als eine Bewegung auf den Sohn hin. Nun ist aber der Sohn eine Bewegung auf den Vater hin, ein Ruf nach dem Vater. Hören wir den heiligen Paulus: „Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreit: Abba, lieber Vater” (Gal. 4, 6).

LeerWir können keine Berührung mit einer der drei göttlichen Personen haben, ohne, eben dadurch, mit den beiden anderen in Berührung zu kommen. Wenn wir sagen, daß der Vater oder der Sohn oder der Geist in uns dies oder jenes wirkt, muß immer hinzugefügt werden, daß in jedem Falle eine Mitwirkung der anderen Personen stattfindet. Beim Lesen des Evangeliums muß man ergänzen, was der Text nicht ausdrücklich sagt. Wir lesen, daß Jesus dies gesagt, jenes getan hat. Aber er hat es gesagt und getan „getrieben vom Geist”. Und wenn wir in der Apostelgeschichte lesen, daß der Geist etwas bewirkt hat, dann müssen wir hinzufügen, daß es jedesmal Jesu Geist ist, der den Menschen von Jesus gesandt wurde. Vergessen wir schließlich nicht die Quelle: den Vater! Wenn wir die Schrift lesen, erweisen wir uns dem Geist gegenüber gläubiger, als wenn wir versuchen, ihn zu isolieren und den ihm eigenen Wirkungsbereich abzugrenzen.

LeerSelbst den Beziehungen der drei göttlichen Personen, die ihnen nicht gemeinsam sind, der Zeugung, der Kindschaft und der Hauchung, liegt eine wunderbare Einheit zugrunde. Es gibt in dieser Dreiheit kein Gegeneinander oder Nebeneinander, es gibt nur ein Zueinander und Füreinander und, in zweiter Linie, ein auf der Gnade beruhendes Zu-Uns und Für-Uns. Die drei grundlegenden Beziehungen, von denen wir sagten, daß sie nicht gemeinsam sind, sind einander gleichwohl so zugeordnet, daß sie in einer letzten Gemeinsamkeit zwischen den drei Personen gipfeln. Und weil es eine letzte Gemeinsamkeit gibt, gibt es auch eine Wesenseinheit.

LeerWir erfahren das, wenn wir dem Flug der Taube bis zum Ziele folgen, wenn wir darauf achten, woher sie kommt und wohin sie geht. Wie bei der Taufe sehen wir die Taube, die sich auf dem Lamm niederläßt. Wie bei der Taufe hören wir, wie der Vater, der den Geist gesandt hat, seinen lieben Sohn ankündigt.

XII.

LeerMit unserer Betrachtung der Taube und des Lammes blieben wir bisher im Zwiegespräch der Seele mit ihrem Gott. Der Geist verlangt nach dem Wort, dem Logos. Die Stimme des Geistes, die in uns zu Christus ruft, vereinigt sich mit einer anderen Stimme, mit der Stimme der wahren, der reinen und fleckenlosen Kirche. Wenn wir gläubig auf die Stimme des Geistes in unserem Inneren hören, vereinigen wir uns mit der Stimme der Kirche. Was sagen die beiden Stimmen?

Leer„Der Geist und die Braut sprechen: Komm!” Die Braut ist die Kirche. Die Offenbarung führt sie uns als Braut des Lammes vor (22, 17). Die Stimme der Kirche - der heiligen Kirche - paßt vollkommen zu jener anderen Stimme, die der Geist selber ist.

LeerAuch in uns hört der Geist niemals auf, zu Jesus zu sagen: Komm! Hundertmal am Tage, tausendmal am Tage, voller Sanftmut und Liebe, müht sich der Geist, in uns eine Wendung zu Jesus, den Ruf nach Jesus hervorzubringen. Das ist sein Amt bei den Menschen. Unser Glaube an die Taube wird erst dann echt sein, wenn wir, im Gefolge der Kirche und zusammen mit ihr, zum Lamm sagen: „Amen! Ja komm, Herr Jesu!”

Quatember 1964, S. 98-111

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-29
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