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Woche der Brüderlichkeit
von Bernhard Rang

LeerFür die diesjährige „Woche der Brüderlichkeit” war als Motto gewählt worden: „Warum stehst du draußen?”. Zu diesem Thema sprachen in der Kölner Messehalle am Sonntag, dem 15. März, vor über viertausend Menschen Vertreter der drei Religionsgemeinschaften: für die evangelische Kirche Altbischof Stählin, für die katholische Kirche Kardinal Bea und für das gläubige Judentum Professor Ernst Simon von der Hebräischen Universität Jerusalem. Dieser sprach an Stelle des nun schon über 88jährigen Martin Buber, der aus Gesundheitsrücksichten nicht hatte kommen können. Seiner eindrucksvollen Ansprache schickte er eine kurze, aber eindringliche Botschaft Bubers voraus: „Es kann nicht darum gehen, daß sich die Religionen der Welt über ihre Glaubenssätze verständigen. Das ist nicht an ihnen und würde ihnen auch nicht gelingen: Es ist Gottes Sache allein. Es kann nur darum gehen, daß die Religionen der Welt gemeinsam die Rettung des Menschen vor dem Untergang entwerfen und in Angriff nehmen. Denn dies ist ihnen anvertraut.”

LeerProfessor Simon sprach davon, wie das Judentum selbst in innerster Tiefe sich zu sehen und zu verstehen gesucht hat und wie es meist von außen gesehen und gedeutet worden ist: von Lessings „Nathan” über Nikolaus von Cusa bis zu Maimonides, Philo und den urjüdischen Denkern. Von „außen” wird der Nicht-Jude den Juden wie dieser den Christen in seinem Glaubenszentrum nie erblicken können. Wir müßten lernen, von „innen” nach „innen” zu schauen. Dann erst werden Kirche und Synagoge nicht mehr getrennte und unversöhnte Schwestern sein, sondern in der grundhaften Schöpfungsgemeinschaft beieinanderstehen.

LeerKardinal Bea legte seiner Rede die Bemühungen des Papstes Johannes und des Konzils um Brüderlichkeit und Friede unter den Religionsgemeinschaften zugrunde. Er zeigte, mit welch umwälzender Dynamik die katholische Kirche nunmehr die Tore zur Welt geöffnet habe. Wie die Reise des Papstes Paul VI. nach Palästina, wie die im Konzil ausgesprochene Erkenntnis, daß alle Christen dem Glauben nach Söhne Abrahams seien, so werde auch das in der nächsten Konzilsperiode vorgelegte Schema über den Ökumenismus darlegen, daß Rom in größter Toleranz und positiver Liebe den Weg aller Christen wie Nicht-Christen zu Gott verstehend bejaht. Er schloß mit dem Bekenntnis von Papst Johannes, diesem glühenden Glaubensbekenntnis an eine „alle Menschen umfassende, in der Natur selbst begründete Gemeinschaft, von der kein Mensch ausgeschlossen ist und daher auch nicht ausgeschlossen bleiben darf”.

LeerAls erster sprach, und zwar in bewundernswerter Gestrafftheit und Eindringlichkeit, Wilhelm Stählin. Das oft nur emotionell gebrauchte Wort „Brüderlichkeit” gab ihm Anlaß, zu seiner Klärung drei in sich polare Aspekte zu entfalten. Bruderschaft und Brüderlichkeit beruht zunächst auf vorgefundener Wirklichkeit, die der Einzelne nicht wählen kann, so wie man sich den Ehegatten wählt. Um zur glaubwürdigen Wirklichkeit zu werden, muß diese Tatsache von uns real und konkret angenommen und ebenso vollzogen werden. Brüderlich-Sein heißt brüderlich Sich-Verhalten, wie der König sich königlich zu verhalten hat, will er dem Auftrag des Königtums gerecht werden. Die zweite Polarität liegt in der Universalität und zugleich Vereinzelung echter Bruderschaft. Grundgesetz ist: keiner darf ausgeschlossen sein und werden, denn alle Menschen sind urgeschöpflich Brüder, weil Gottes Söhne. Aber es genügt nicht mit Schiller in schöner Geste emphatisch auszurufen: Seid umschlungen, Millionen!, sondern der Universalanspruch wird erst wahrhaft und konkret im konkreten Einzelnen, im Gegenüber dieses und jenes vielleicht auch unbequemen oder unsympathischen Bruders und Nächsten. Die dritte polar sich bedingende Gegebenheit wird evident durch die unaufhebbare Verschiedenheit der dennoch als Brüder zueinander gehörenden Menschen. Der Begriff der völligen Gleichheit schließe eigentliche Brüderlichkeit aus. Der Verdruß darüber, daß der andere anders ist als ich selber, sei Negierung jeder Brüderlichkeit. Der Sinn echter Bruderschaft und Brüderlichkeit beweise sich in einem komplementären Verhalten von Distanz, Abstandbewahren und wirklich brüderlicher Nähe.

LeerAm gleichen Tag konnte noch einmal die großartige und bedeutungsschwere Ausstellung in Köln besichtigt werden: „Monumenta Judaica”. Professor Simon sprach bewegt davon, mit welchem Ernst und welcher Aufmerksamkeit die Besucher, soweit er es habe beobachten können, die große Schau jüdischer Heiligtümer, Kulturgegenstände und auch Dokumente schwerster Leidenszeiten in sich aufgenommen hätten.

Quatember 1964, S. 123-124

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-29
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