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Das dritte Sekretariat
von Hans Carl von Haebler

LeerEs ist bemerkenswert, daß zwei der wichtigsten Einrichtungen, welche die römische Kirche in diesem Jahren geschaffen hat, nicht auf Beschlüsse der Konzilsväter, sondern auf die Initiative ihrer Päpste Johannes XXIII. und Pauls VI. zurückgehen: Das Sekretariat für die Einheit der Christen unter Kardinal Bea und das Sekretariat für die Nicht-Christen unter Kardinal Marella. Grund genug, das Papsttum nicht von vorn herein zu verwerfen, sondern auch einmal seine Nützlichkeit zu bedenken. Das Sekretariat Bea dürfte seine Bewährungsprobe bestanden haben. Wie das Sekretariat Marella seine ungleich schwerere Aufgabe bewältigen wird, bleibt abzuwarten. Hier wird es ja nicht mehr um die Missionierung der „armen Heiden” gehen, sondern um ein interreligiöses Gespräch auf gleicher Ebene, in dem erst die Sprache gefunden werden muß, die eine gegenseitige Verständigung erlaubt. Vielleicht sagen wir damit schon zuviel. Der Papst hat zunächst nur von der Aufnahme rein menschlicher Kontakte gesprochen, und Kardinal Marella hat betont, daß er keine polemischen oder apologetischen Ziele verfolgt, sondern sich für die gemeinsamen Interessen der menschlichen Kultur einsetzen will, auch dort, wo man der Kirche unfreundlich begegnet. In Erinnerung an den Kulturprotestantismus mag uns der Ausdruck „menschliche Kultur” verdächtig vorkommen. Aber ist nicht auch unser Volk auf dem Wege über die Kultur zum Christentum gelangt? Haben nicht auch die Reformatoren ihr Ziel durch Hebung der Volksbildung zu erreichen gesucht? Die Kirche, sagt Kardinal Marella, soll in jene Welt eindringen, die ihr bis heute verschlossen blieb, und eben das ist weder durch Kolonisierung, noch durch Europäisierung, sondern nur im Kulturaustausch möglich.

LeerDie Größe der Aufgabe läßt sich in Zahlen andeuten. Es gibt rund 400 Millionen römische Katholiken auf der Erde, die durch das Sekretariat Bea mit rund 365 Millionen anderer Konfessionen in Verbindung stehen (225 Millionen Evangelische und Anglikaner, 140 Millionen Orthodoxe). Das Sekretariat für Nicht-Christen hat es aber mit rund anderthalb Milliarden Angehörigen der verschiedensten Religionen und Kulturen zu tun. Und diese anderthalb Milliarden führen nicht mehr ein Sonderdasein auf ihren Subkontinenten, sondern kommen in immer größerer Zahl zu uns und importieren dabei ihre Religion. Die persischen Bahá'i, die eine moderne Weltreligion proklamieren und soeben im Taunus einen Tempel erbaut haben, sind nur ein Beispiel für den interkontinentalen Synkretismus, der auf uns zukommt.

LeerDie mir vorliegende Statistik weist schließlich noch 600 Millionen „Sonstige und Bekenntnislose” auf. Diese Zahl, die vor allem die Anhänger kommunistischer und humanistischer Ideologien enthalten wird, dürfte auf Kosten der 765 Millionen Christen im Wachsen begriffen sein, die ja zum überwiegenden Teile der Kirche nur noch aus Gründen der Tradition und Konvention angehören. Was geschieht mit diesen 600 Millionen, deren Vorfahren großenteils Christen waren und die uns vor die Frage stellen, warum sie es nicht mehr sind? Sollte das Christentum nur ein Übergangsstadium zum Glauben an den Menschen sein, der die Krücke eines Gottes nicht mehr benötigt? Oder ist der Glaube an den Menschen eine letzte Erinnerung daran, daß er zum Bilde Gottes geschaffen wurde, und an den, der dieses Bild wiederhergestellt hat? Jedenfalls wird man diese „Nachchristen” nicht in Pausch und Bogen als Atheisten abschreiben oder als Antichristen bekämpfen dürfen. Man sollte ein drittes Sekretariat schaffen, das Kontakte zu ihnen aufnimmt, was wiederum nur in der Auseinandersetzung mit der modernen Kultur möglich sein wird - mit der Kultur unserer noch ungetauften technisch-physikalischen Welt. Müssen wir damit wiederum auf Rom warten oder wäre die Einrichtung eines solchen Sekretariats nicht auch in Genf denkbar?

Quatember 1964, S. 192

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-03
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