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(1319 bis 1392) von Hans Carl von Haebler |
Die Geschichte des Heiligen, die sein Schüler Epiphanius um 1400 aufgeschrieben hat und die wir hier anhand der von Ernst Benz herausgegebenen Russischen Heiligenlegenden in Kürze wiedergeben, beginnt mit einem seltsamen Zwischenfall. Als seine Mutter vor seiner Geburt an einem Gottesdienst teilnahm, soll während der Lesung des Evangeliums das Kind in ihrem Leibe plötzlich aufgeschrien haben. Vor dem Cherubim-Gesang und vor dem Ruf des Priesters: „Das Heilige den Heiligem” hätte es dann ein zweites und drittes Mal noch lauter geschrien, so daß die Mutter tief erschrak und die Frauen um sie herum entsetzt fragten: „Wie kann einem Kind im Mutterleib die Stimme gegeben werden? Was hat Gott mit diesem Kinde vor?” Vierzig Tage nach seiner Geburt brachten die Eltern das Kind in die Kirche, wo es getauft wurde und den Namen Bartholomäus empfing. Der Priester, dem sie von dem Zwischenfall erzählten, beruhigte sie und erinnerte daran, wie Gott vorzeiten den Propheten Jeremia und den Apostel Paulus von Mutterleib an ausgesondert hatte. „Trauert also nicht”, sagte er, „sondern seid fröhlich und getrost, denn das Kind wird ein auserwähltes Gefäß, eine Wohnung und ein Diener der Heiligen Dreifaltigkeit sein.” Der Starze hob Hände und Augen gen Himmel und betete. Dann zog er einen Behälter aus der Tasche, entnahm ihm ein Stückchen Kommunionsbrot und sagte: „Öffne deinen Mund, Kind, nimm das und iß! Der Herr wird dich in der Schrift unterweisen, daß du sie besser verstehst als deine Brüder.” Der Junge fiel dem Starzen zu Füßen und bat ihn, bei seinen Eltern einzukehren. Epiphanius erzählt dann, wie der Starze sich zu den Eltern führen läßt und von diesen ehrfürchtig aufgenommen und zum Essen eingeladen ,wird. Er geht aber zuerst in die Kapelle, um das Stundengebet zu halten, und befiehlt dem Jungen, den Psalter zu lesen. „Ich kann nicht” sagt der Junge. Der Starze beharrt auf seinem Befehl: „Ich habe dir gesagt, daß Gott dir von heute an die Gabe des Lesens schenken wird. Lies das Wort Gottes und zaudere nicht!” Und das Erstaunliche geschieht: Der Junge psalmodiert einwandfrei und ist von dieser Stunde an vollkommen schriftkundig. Während des Essens kommen die Eltern wieder auf den Vorfall vor der Geburt des Kindes zu sprechen, und auch der Starze prophezeit ihnen, der Knabe werde groß vor Gott und den Menschen und eine Wohnung,der Dreifaltigkeit sein. Dann bricht er auf. Die Eltern begleiten ihn zum Haustor, wo er auf einmal ihren Blicken entrückt wird. Sie glauben, daß ein Engel sie besucht und dem Kinde geholfen hat. Bartholomäus wächst heran. Seine Brüder heiraten, er will Mönch werden. Auf Wunsch der Eltern schiebt er aber sein Vorhaben auf, bis sie, jeder zu seiner Zeit, ins Kloster gehen und bald darauf sterben. Vierzig Tage trauert er um sie; dann überläßt er das väterliche Erbe seinem jüngeren Bruder Peter und geht selbst mit Stephan, dem Älteren, der inzwischen seine Frau verloren hat und Mönch geworden ist, in die Einöde. Nach einer Weile zeigte sich, daß Stephan dem Leben in der Einöde nicht gewachsen war. Er verließ seinen Bruder und begab sich in ein Stadtkloster, während es diesem, wie Epiphanius sagt, beschieden war, die Einöde in eine Stadt zu verwandeln. Im Jahre 1342 wurde Bartholomäus vom Abt Mitrofan zum Mönch geschoren und nahm, da es der Tag der Märtyrer Sergius und Bacchus war, den Namen Sergius an. Sieben Tage verbrachte er in der Kirche und nahm nichts zu sich außer dem Kommunionsbrot, das er aus der Hand des Abtes empfing. „Schweigend sang er und dankte Gott.” Als der Abt ihn verließ, segnete er ihn auf seinen Wunsch gegen die Gefahren der Wildnis und die Ränke des Teufels. Es sollte sich bald zeigen, wie sehr der Heilige dieser Stärkung bedurfte. Der Chronist berichtet, daß er jahrelang keinen Menschen zu Gesicht bekam und unter Wölfen und Bären hauste. Er erzählt von einem Bären, ,der sich immer wieder einfand, um Futter zu holen. Der Heilige habe sein karges Brot mit ihm geteilt und lieber selbst gehungert als daß er das Tier enttäuscht hätte. Unheimlich waren die Nächte. Wenn die wilden Tiere nicht brüllten, setzten ihm böse Geister zu. Als der Heilige eines Nachts die Matutin singen wollte, öffneten sich die Kirchenwände und Dämonen drangen ein und fielen über ihn her. Sie trugen litauische Kleidung und spitze Helme, fletschten mit den Zähnen und drohten, ihn zu zerreißen, wenn er nicht das Feld räumen würde. „Denn”, fügt Epiphanius hinzu, „so ist der Teufel: Er prahlt und droht und hat doch nicht einmal Macht über die Schweine.” Nach einigen Tagen kamen die Dämonen wieder. Polternd und schreiend drangen sie nachts in die Einsiedelei, während der Heilige das immerwährende Gebet verrichtete, und setzten ihm, als ihre Drohungen vergeblich blieben, mit Vernunftgründen zu: „Was willst du schon an diesem Platze?” versuchten sie ihn. „Du siehst ja, das ist ein wüster Ort, ein ungeeigneter Ort. Hast du keine Angst, daß du hier Hungers sterben wirst oder daß seelenverderbende Räuber dich ermorden? In dieser Einöde gibt es viele Raubtiere und Schrecknisse ohne Zahl. Hast du es nötig, dich auffressen zu lassen oder eines unnützen Todes zu sterben?” Aber der Heilige widerstand ihnen mit dem Beistand der Gottesmutter und des heiligen Kreuzes unter Anrufung der Heiligen Dreifaltigkeit. Nach der Schätzung des Epiphanius blieb Sergius zwei Jahre in der Einöde „oder mehr oder weniger, ich weiß nicht, Gott nur weiß es.” Danach kamen Mönche zu ihm in die Wildnis, verneigten sich und baten, mit ihm zusammen an diesem Ort leben zu dürfen, um ihre Seele zu retten. Der Heilige, dessen Absicht es gewesen war, allein in dieser Einöde zu leben und zu sterben, suchte sie abzuschrecken. Als er aber ihren Glauben und ihren Eifer sah, widersetzte er sich nicht länger und nahm sie auf. Jeder baute sich eine Zelle, und sie begannen nach seinem Vorbild zu leben. Epiphanius rühmt ihnen unter anderem folgende Tugenden nach: Hungern, Dursten, Wachen, Fasten, auf der Erde liegen, Schweigen, Abtötung der Begierden, körperliche Arbeit, Demut ohne Heuchelei, Beten ohne Unterlaß, vernünftiges Verhalten, vollkommene Liebe, ärmliche Kleidung, Denken an den Tod, Sanftmut. Wenn er sie beten oder Kniefälle machen oder weinen hörte, so freute er sich und betete zu Gott, daß sie nicht nachlassen möchten. Wenn er aber hörte, daß zwei oder drei beisammen saßen und Spaß trieben, so klopfte er im Vorübergehen ans Fenster. Anfangs fehlte es an allem und jedem, an Brot und Mehl, am Wein für die Liturgie und am Wachs für die Kerzen. Als die Brüder einmal tagelang gehungert hatten und einer von ihnen zu murren anfing und das Kloster verlassen wollte, versammelte der Abt seine Mönche und suchte ihren Kleinmut durch Geduld und Sanftmut, mit Hilfe der Heiligen Schrift zu überwinden. Da meldete der Pförtner, daß ein Wagen mit Lebensmitteln vorgefahren wäre. Der Abt ließ das Brot hereintragen, das warm und weich war, wie wenn es gerade gebacken worden wäre, segnete und brach es und verteilte es unter Mönche; und sie aßen und wurden satt und priesen Gott. Als die Überbringer des Brotes aber gefragt wurden, wer sie geschickt hatte, sagten sie: „Ein reicher Christusfreund, der in fernem Lande wohnt, schickt es Sergius und den Brüdern, die mit ihm leben.” Seitdem beklagten sich die Mönche nie mehr, wenn es einmal knapp zuging. Aber solche außergewöhnlichen Glaubenszeugnisse werden auch anderen Heiligen nachgerühmt. Das Wunder jedoch, wofür ganz Rußland ihm Dank weiß, war die Befreiung vom Joch der Tartaren. Im Jahre 1380 waren diese wieder ins Land eingefallen und der Moskauer Großfürst Demetrius hatte bei dem Heiligen angefragt, ob er gegen die Gottlosen ins Feld ziehen sollte. Sergius schickte ihm einen Läufer mit der Botschaft: „Ziehe kühn gegen ihre Wut; denn Gott wird dir helfen.” Diese Botschaft, die eintraf, als die Schlacht schon begonnen hatte und das Heer des Demetrius ins Schwanken geraten war, gab ihm neue Zuversicht und Gottvertrauen und führte die Wendung zum Siege herbei. Mittlerweile verfolgte der Heilige mit prophetischem Blick die Schlacht, die in einer Entfernung von mehreren Tagereisen geschlagen wurde, wie aus nächster Nähe, und, noch ehe die Siegesbotschaft ins Kloster gelangt war, feierte er einen Dankgottesdienst und tat Fürbitte für die Gefallenen, die er bei Namen nannte. Von der Kraft seiner Fürbitte zeugt auch folgende Vision: Als der Heilige einmal sein Nachtgebet verrichtete und sich in die Fürbitte für seine geistlichen Söhne versenkte, hörte er sich beim Namen gerufen. Er betete zu Ende; dann öffnete er das Fensterchen seiner Zelle und erblickte ein wunderbares taghelles Licht am Himmel. Zugleich hörte er die Stimme wieder sagen: „Sergius, du betest für deine geistlichen Kinder, und der Herr hat dein Gebet erhört. Sieh die Menge der Mönche, die sich im Namen der lebenspendenden Dreieinigkeit unter deiner Führung zusammengefunden haben!” Der Heilige blickte empor und sah Schwärme von schönen Vögeln, die mit lieblichem Gesang das Kloster umkreisten. „So zahlreich wie diese Vögel”, fuhr die Stimme fort, „werden deine Schüler sein, und auch nach deiner Zeit werden alle, die in deinen Spuren wandeln, keinen geistlichen Mangel leiden, sondern mit herrlichen Tugenden geschmückt sein.” Mönche, denen Epiphanius ein heiligmäßiges Leben nachrühmt, sahen einmal, wie dem Vater Sergius bei der Liturgie ein Engel assistierte. Der Heilige, den sie deshalb befragten, bekannte: „Liebe Kinder, wenn Gott euch das offenbart hat, kann ich es verheimlichen? Den ihr gesehen habt, der ist ein Engel Gottes, mit dem ich nicht nur heute, sondern immer Dienst tue.” Ein anderer Mönch sah, während der Heilige zelebrierte, auf dem Opfertisch Feuer entlanglaufen, das sich wie ein Schleier zusammenrollte und in den Kelch einging. Von der Troize-Sergiewskaja-Lawra aus sind mehr als dreißig Klöster gegründet worden, die das weite Gebiet Nordrußlands vom Ladoga-See bis zum Ural wie ein Netz überzogen. Am Sarge des Heiligen kam es immer wieder zu Heilungswundern. Der große Theologe und Gelehrte Paul Florenskij, der noch 1945 in der Verbannung gelebt haben soll, schreibt einmal: „Bei dem unverweslichen Leichnam des heiligen Sergius hören wir alltäglich und allstündlich einen Ruf, der auch der verwirrten Seele Ruhe verheißt.” Und dann erinnert er an die Bibelstelle, die im Bittgebet an den Heiligen gelesen wird: „Niemand kennt den Sohn denn nur der Vater; und niemand kennt den Vater denn nur der Sohn und, wem es der Sohn will offenbaren. Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht” (Matth. 11, 27-30). Quatember 1965, S. 114-119 |
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