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Das Vesperbild in Kloster Kirchberg
von Paul Rohleder

Pieta Johanniskirche Kloster KirchbergLeerDas Vesperbild ist eine Schöpfung deutscher Frömmigkeit im 14. Jahrhundert. Der Ausdruck „Vesperbild” meint zunächst den letzten Abschied der Mutter vom Sohn nach der Kreuzabnahme am Karfreitag, zugleich aber auch die dauernde liturgische Zuordnung von Beweinung und Grablegung zur Vesper am beginnenden Abend. Dieses Andachtsbild hat seine Ursprünge in Dichtung und Buchmalerei. Es fand rasch Verbreitung in der Christenheit und erreichte für viele mit der Pietà des Michelangelo in der Petruskirche zu Rom die eindrucksvollste Darstellung.

LeerWir betrachten das Kirchberger Vesperbild und gewahren darin eine große Ausdruckskraft. Es zeigt keinen fassungslosen Ausbruch des Mutterschmerzes, sondern verhaltene Klage; einen Schmerz, der eingebettet ist in aufmerksames Wachen und Warten. Was wir sehen, liegt zwischen den beiden Worten des Bekenntnisses: „Gestorben - begraben.” Der, den die Menschen ausgestoßen haben, ist vom Kreuz abgenommen und liegt auf dem Schoß der Mutter, durch deren Seele das Schwert geht. Gilt es auch jetzt noch: „Den aller Welt Kreis nie beschloß, der liegt in Marien Schoß”? Maria hält mit ihrer Rechten behutsam des Sohnes Haupt. In tiefer Trauer neigt sie sich zu ihm, gebeugt unter die Qual der Stunde. Und dennoch verliert sie sich nicht an den Augenblick. Sie ist getragen von Erinnerung und Hoffnung. In ihre Nacht fällt Licht herein von der Klarheit des Herrn, vom Lobgesang der Engel, von der Anbetung der Hirten und Weisen. In ihre Nacht fällt Licht von den letzten Worten, welche sie vor Stunden vom Kreuz gehört hat: „Es ist vollbracht!” - „Vater, ich befehle meinen Geist in Deine Händel” Unerhörte Erinnerungen, die sie bei sich bewahrt und bewegt! Weihnachtslicht umfängt ihre Totenklage und durchleuchtet sie mit dem Strahl der Hoffnung. Das tröstlich einströmende Erinnern wird getröstetes, ausschauendes Hoffen. Hatte nicht die Verheißung gelautet: „Seines Königreichs wird kein Ende sein”? Maria weiß noch nicht, daß das Christusbekenntnis fortfahren wird: „Wieder auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel . . .” Aber dieses Geheimnis umgibt ihre Gestalt, daß der dunkelste Weg auf Erden im hellsten Licht der Liebe Gottes leuchten wird. Ihr Schmerz ist getragen und umfangen von heiligem Wachen und Warten. „Es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind.”

LeerNimmt man zu dieser Bezugsfülle hinzu, daß ja Maria immer zugleich Bild unserer eigenen Seele ist, so spüren wir, wie in alledem unser rechtes Verhältnis zum Kind in der Krippe, zum Mann am Kreuz und zum erhöhten Herrn erwachsen kann und soll. Wir begreifen, warum das Vesperbild, obschon nicht in den Evangelien aufgezeichnet, doch ein beliebtes und evangeliumsgemäßes Andachtsbild der Christenheit geworden und geblieben ist.

Quatember 1968, S. 1

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-07
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