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1946 - 1951 „Ordenshaus der Evangelischen Michaelsbruderschaft” von Horst Schumann |
Wenn jetzt das umfassende „Evangelische Tagzeitenbuch” der Evangelischen Michaelsbruderschaft erscheint, so wird damit das Facit einer jahrelangen Arbeit gezogen. Auch wenn wir heute nicht wissen, wie wir morgen zu unseren Bemühungen stehen werden, so ist es doch in gewissem Sinne eine Ernte, die Ernte einer Aussaat, die für mich im Jahre 1946 in Assenheim aufging. Da seither mehr als zwanzig Jahre vergangen sind und viele von diesen Anfängen - den zweiten nach den Jahren von Berneuchen - nichts mehr wissen, ist es vielleicht gut, davon zu erzählen oder die Wissenden daran zu erinnern. In den kleinen Räumen des obersten Stockwerkes wurde ein Altersheim eingerichtet - und so hatten wir schließlich ein diakonisches Werk im Hause, wenn auch aus mancherlei Gründen die Eingliederung in unsere eigentliche Arbeit schwierig war. Das Unstete der ständig wechselnden Gäste und der fröhliche Lärm der Jugendfreizeiten machten Beschwernisse - und doch wurde zu unserer großen Freude einer der „Alten” unser Bruder. Überaus beglückend war in jenen Jahren die große geistige und geistliche Aufgeschlossenheit der Menschen. Man konnte ihnen damals tatsächlich all die genannten Unbequemlichkeiten und Nöte zumuten, und sie haben sie tapfer ertragen - weil sie geistig ausgehungert waren und buchstäblich danach lechzten, in geistliches Leben einzutauchen und sich mit den Problemen auseinanderzusetzen, die auf uns zustürzten. Die Hauptaufgabe des Hauses sollten geistliche Wochen sein, getragen von den geistlichen Erkenntnissen der Michaelsbruderschaft, von täglichem geordnetem Gebet und womöglich täglicher Sakramentsfeier. Wir haben damals eine Menge Fragen praktisch anzupacken gewagt und schöne Entdeckungen gemacht. Wir machten unsere ersten Erfahrungen mit der täglichen Feier der Messe. Dabei wurde uns neben dem feierlichen sonntäglichen Amt die schlichte gesprochene Werktagsmesse besonders lieb. Damals entstanden unsere „Horen”, die vier tagaus tagein gehaltenen Gebetsstunden Mette, Mittagsgebet, Vesper und Komplet (auch bei der letzteren liebten wir besonders die schlicht gesprochene Form für den Werktag). Wir haben dies „Stundengebet” ohne genügende liturgiegeschichtliche Kenntnisse, vielleicht ungeschickt genug, zusammengestellt - einfach weil wir sie nötig sofort brauchten. Um seiner Vorläufigkeit willen wurde das Buch „Das Stundengebet” ausdrücklich „Entwurf” genannt. Ich sehe uns noch mit den Brüdern K. B. Ritter und Hans Kappner zusammen in einem der kleinen Kämmerchen des Obergeschosses sitzen und die Ordnungen nach unserem damaligen Verständnis zusammentragen. Sie haben sich dann immerhin zwanzig Jahre lang bewährt, und daß der „Entwurf” 7 Auflagen erleben würde, hätten wir nicht zu träumen gewagt. Damals entstand auch aus vielen kleinen Einzelzetteln „Die heilige Woche” als Ergebnis dessen, was allmählich in der Bruderschaft zu dieser Feier zusammengewachsen war. Und ich sehe uns wiederum in Marburg in der Stube unseres Bruders Ritter sitzen und den großen österlichen Preisgesang, das „Exsultet”, sorgfältig aus dem lateinischen Original gemeinsam übertragen. Es entstand damals die Agende für das Michaelsfest - wobei wiederum aus vielen Einzelnotizen und kleinen Handzetteln ein liturgisches Buch wurde - eine Befreiung nach allen Vorläufigkeiten, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann! Und ich konnte im Auftrag der Bruderschaft nach langer Unterbrechung den bruderschaftlichen Rundbrief wieder aufleben lassen, wenn auch vorerst auf unerträglich schlechtem Papier. Naturgemäß war das Ordenshaus vornehmlich ein Mittelpunkt innerbruderschaftlichen Lebens. Unvergeßlich für die, die dabei waren, die Rats- und Kapiteltagungen unter dem damaligen Bruder Ältesten Erwin Schmidt oder die Michaelsfeste und die Osternachtfeiern mit der Lichterprozession bis hinunter in den Park. Es entstanden die Bruderehepaar- und die Bruderkinderwoche; es kamen die Jungbrüder. Und was haben wir - in eben jenen Notzeiten - an brüderlicher Hilfe nicht alles erlebt! An materieller durch die Schweizer Brüder, die ganze Wagenladungen mit Kleidern und Nahrungsmitteln schickten, und an geistlicher Hilfe durch die Marburger und Hamburger Brüder. Nicht zu vergessen ist hier auch die ausgezeichnete brüderlich-schwesterliche Nachbarschaft mit dem Caritashause Ilbenstadt, dessen herrliche romanische Kirche wir gern bei unseren Freizeitspaziergängen besucht haben. Zu den geistlichen Wochen kamen Freunde des Berneuchener Dienstes aus ganz Deutschland, oft mit erstaunlich weiter Anreise, und wir hören heute noch mit großer Dankbarkeit, daß manche Menschen entscheidende Anstöße für ihr ganzes Leben auf unseren Wochen in Assenheim empfangen haben. Aber wir trafen uns auch über den B. D. hinaus mit Menschen der verschiedensten Gruppen. Unvergeßlich wiederum eine Woche „mit Männern der jungen Generation”, den nach dem Kriege um den Sinn des Geschehens Ringenden - ferner Tagungen mit Liturgikern beider Konfessionen, wo es um die Frage der nun wirklich der deutschen Sprache gemäßen Gregorianik ging. Wir haben eine Tagung der Ökumenischen Arbeitskreise unter Bischof Stählin und Erzbischof Jaeger in Assenheim gehabt, ferner ein sehr entscheidendes Gespräch mit Vertretern der Christengemeinschaft über die Frage der Anerkennung ihrer Taufe durch unsere Kirche; eine Begegnung mit Bischöfen und Priestern der Orthodoxen Kirche im Exil - und vieles andere mehr. Außerhalb dieser Wochen konnte es dann sein, daß wir zu drei Brüdern allein im Hause waren, und es war uns oft wehmütig zu Sinne, wenn nach einem Fest oder einer großen Tagung die Brüder wegfuhren. Wir mögen damals viele Anfängerfehler gemacht haben, über die andere urteilen mögen. So war es sicher unglücklich, daß jeweils der An- und Abreisetag der Gäste auf einen Tag fiel. So war unser „Personal” überlastet und konnte nicht am geistlichen Leben teilnehmen und zur Hausgemeinde werden. Finanziell sind wir wohl an der Währungsreform gescheitert - und auf die Dauer war ein Barockschloß eben doch ungeeignet für die Ansprüche, die man heute an ein solches Gästehaus stellen muß. Vielleicht war auch der Name „Ordenshaus” zu großartig und eine Vorwegnahme einer Entscheidung, die noch gar nicht getroffen war: Ist die Evangelische Michaelsbruderschaft ein Orden? Man darf aber doch bei der Rückschau dankbar feststellen, wie Vieles in Assenheim geworden ist, das geblieben ist - eigentlich doch erstaunlich viel, gerade wenn es an anderem Orte weiterlebt. Und was geblieben ist, das haben letztlich nicht wir Einzelnen gemacht - das hat die Michaelsbruderschaft als Ganze gemacht und getragen. Quatember 1968, S. 29-31 |
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