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Meditation mit Graf Dürckkeim
von Hermann Schwemer

Leer„Durchlässig werden für das in uns an-wesende Göttliche”, so etwa beschreibt Graf Dürckheim den Sinn unseres Daseins. Dem dient auch die Meditation, die er lehrt. Wer in den herrschenden Kategorien heutiger Theologie zu denken gewohnt ist, der wird sofort fragen, ob sich hier eine neue Mystik ankündige. Mystik ist seit langem aus der Evangelischen Kirche verbannt, lebt am Rande der theologischen Legalität oder wandert aus - unter Umständen bis in den Fernen Osten.

LeerWir hörten weiter folgende Formulierung: „Im Tod das Leben erfahren, im Unsinn den Sinn, in der äußersten Verlassenheit das Aufgenommensein.” Wenn wir das als Christen hören, so stellt sich sofort der Gedanke an das sichtbarste Zeichen dieser Erfahrung ein, an den Weg Jesu durch Kreuz und Auferstehung. Zugleich sind wir aber Erben einer Glaubensgeschichte, die dies Ereignis völlig isoliert und losgelöst hat von der Frage unserer Teilhabe daran. Das wurde noch nicht empfunden, solange der Tod Jesu als ein Ereignis im metaphysischen Bezug gesehen wurde, als Sühnetod, als stellvertretendes Leiden. So kann die Frage entstehen: Haben wir das alles, was hier als Frucht von Versenkungsübungen erwartet wird, nicht schon im Glauben an Christus? Gewiß! Aber hat der Glaube noch jene Weite und vergegenwärtigende Kraft, die er hatte, als der metaphysische Bezug noch lebendig war? Wir haben jetzt ein anderes Wirklichkeitsverständnis. Paul Tillich hat darauf hingewiesen, wie verkehrt es wäre, Gott als eine Realität im Sinne des modernen definierenden und objektivierenden Denkens zu sehen.

LeerWenn dann freilich versucht wird, den Glauben lediglich auf der Beziehung zur historischen Gestalt Jesu aufzubauen, so ergibt sich, daß die Geschichte immer noch der „garstige Graben” (Lessing) ist, der uns auch von Jesus trennt. Dann bleibt Jesus nur Modell für „Spontaneität”, für „Phantasie statt Gehorsam” (Sölle). Tillich spricht von der „Strahlkraft”, die von dem in Jesus erschienenen „Neuen Sein” ausgehe. Hier ist eine Schicht des Seins angeschnitten, in der „Gleichzeitigkeit” (Kierkegaard) herrscht. Sie realisiert sich sakramental in der eucharistischen Feier der Gemeinde. Sie zieht Menschen hinein in die Fühlung und schließlich in die Einung mit dem wahren Sein. Neutestamentlich ausgedrückt ist diese Strahlkraft der Geist, der vom Vater und vom Sohne ausgeht und neue Menschen schafft. Er schafft sie auch ohne unsere Übung und macht Menschen, von denen wieder Strahlkraft ausgeht, weil sie durch das Mysterium der Verwandlung hindurchgegangen sind. Übung hat nicht den Sinn, solches Geschehen künstlich zu produzieren, sondern sich für das Wirken des Geistes, für die Gnade zu bereiten. Übung haben wir Heutigen zumeist nötig, um zunächst einmal die einseitige Herrschaft des Bewußtseins, des fixierenden und verobjektivierenden Geistes abzubauen.

LeerKlar haben die Väter der Berneuchener Bewegung in Sakrament und Meditation den Inbegriff der heilenden Mächte erkannt, die der am modernen Geist erkrankten Kirche nottun. Die Meditation hat wegen des Sperrfeuers gegen jegliche Mystik auch bei uns keine Fortschritte gemacht. Deshalb blieben auch die Bemühungen um den sakramentalen Bereich isoliert. Das Verbindende zwischen Sakrament und Meditation ist die mediale Stellung des Leiblichen. Wie schwer entschließen wir uns, dem Leib eine andere Funktion zuzugestehen als nur die, das Untergestell des Kopfes zu sein! Deshalb beginnt jede Übung beim Leibe: Rechte Haltung, rechte Atmung, rechte Spannung. Sie entwickelt zunächst einmal ein „Leibgewissen”.

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LeerWenn Dürckheim diese Zusammenhänge erörtert, wobei er gern den Satz von Novalis zitiert: „Alles Sichtbare ist ein in den Geheimniszustand erhobenes Unsichtbares” - dann steigen Erinnerungen an die Berneuchener Anfänge in uns auf. Karl Bernhard Ritter zitierte dies Wort oft, wenn er den Sinn der leiblichen Gebärde aufzeigen wollte, wenn es darum ging, den Spalt zwischen Innerlichkeit und äußerer Form zu überwinden. Er hat uns seinerzeit auch auf die Möglichkeit hingewiesen, aus der „Zen”-Praxis zu lernen. Dazu Dürckheim: „Es ist das Unbegreifliche an unserer Lage, daß die Religion, in deren Mittelpunkt die Inkarnation steht, den Menschen ein so negatives Verhältnis zum Leibe vermittelt hat, daß umgekehrt der Osten, dessen Religion nach Befreiung vom Leibe trachtet, uns den Sinn der leiblichen Übung wieder erschließen muß.” (Aus dem Gedächtnis zitiert.)

LeerUnd nun kamen auf die Einladung zur „Einführung in die Praxis der Meditation - verstanden als Übung zur großen Durchlässigkeit” - vom 5. bis 8. Juni in Kloster Kirchberg über 60 Menschen und füllten den noch kahlen, unfertigen neuen Kapitelsaal (Dürckheim: „Gerade daß nichts drin ist, ist gut”).

LeerZweifellos ist hier eine Analogie spürbar zu dem Andrang, dessen sich Joga- und andere Schulen zu erfreuen haben. Ging es nun auch hier darum, „den Menschen durch bestimmte Körperübungen, gezielte methodische Aternübungen und die Ausbildung der Konzentrations- und Entspannungsfähigkeit, von Beschwerden und Störungen zu befreien, ihn zur Kontrolle und Beherrschung von Körper, Seele und Geist zu führen und dadurch zu vervollkommen” und zu diesem Zweck „westliche Gelenke in fernöstliche Biegungen zu zwingen”? (Maria Frizé, FAZ 23. 5.1970)

LeerNun, in Kirchberg saßen wir zunächst einmal alle auf normalen, dem Zweck nicht unbedingt angepaßten Stühlen. Und es ging hier nicht darum, nun zur modernen technischen auch noch die psychophysische Perfektion zu erlangen. Sondern es saß ein Mensch unter uns, der die Tendenzen der Zeit besser versteht, als sie sich selbst verstehen kann. Er versteht, daß sich in jenen Tendenzen das eigentliche Wesen des Menschen gegen seine Funktionalisierung wehrt, durch die der Mensch seine Identität verliert. Gerade um das abendländische Gut der Personalität geht es. So handelt es sich auch nicht um „Östliche Praktiken”. Freilich hat Graf Dürckheim wichtige Erkenntnisse, Erfahrungen und Impulse bei seinem langjährigen Aufenthalt in Japan erhalten, aber als bewußter Europäer und Christ. Er ließ sich an die mystische und meditative Tradition erinnern, die.auch das westliche Christentum besitzt und zu seinem Schaden vernachlässigt und vergessen hat. Sollen wir im Westen mit unserer vereinseitigten Verstandeskultur nicht ein wohltuendes Korrektiv annehmen, das uns der Osten zu bieten hat? Das betrifft vor allem die körperliche Komponente, betrifft die aus dem „Za-Zen” übernommene Meditationshaltung. Und wenn behauptet wird, daß man ohne weiteres den Buddhismus mit übernehme, wenn man im Stile des Zen Meditation übe, so ist mit Entschiedenheit zu entgegnen, daß Buddhismus und Christentum trotz kontroverser Dogmatik sich in Zukunft eine Menge zu sagen haben werden.

LeerEs war für uns eine Freude, neue Impulse zu erhalten für einen Weg, der vor Jahrzehnten schon begonnen wurde, aber sich zu verlieren drohte.

Quatember 1970, S. 210-211

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-07
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