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Arndt von Kirchbach im sächsischen Kirchenkampf
von Sieger von Kirchbach

LeerAls der Kirchenkampf im Jahre 1933 ausbrach, hatte die Sächsische Landeskirche in ihrem Bischof Ihmels gerade den Mann verloren, der sie vielleicht vor der Zerstörung hätte retten können. Sein im Trubel des Umbruchs gewählter Nachfolger Coch war Deutscher Christ und begann sofort die Kirche zu nazifizieren. Die Führer des kirchlichen Widerstands waren der damalige Superintendent von Dresden-Stadt und spätere Landesbischof Hugo Hahn und der Domprediger an der Dresdener Sophienkirche Arndt von Kirchbach, der seit 1933 der Michaelsbruderschaft angehörte. Erinnerungen von Hugo Hahn sind im Brunnquellverlag, Metzingen (Württ.) herausgekommen. Dem Gedächtnis von Arndt von Kirchbach sind die nachstehenden Zeilen gewidmet, die sein Sohn Sieger für uns niederschrieb. Sieger von Kirchbach war im Jahre 1933 erst neun Jahre alt. Was er schreibt, ist also aus der Sicht des Kindes geschildert, aber mit Hilfe der Erinnerungen von Hahn ergänzt.

LeerEs sei vorausgeschickt, daß Sachsen damals ein Brennpunkt des Kirchenkampfes war. Von den 582 Pfarrern, die nach einer Liste des Pfarrernotbundes vorn 20.9.35 in Deutschland gemaßregelt waren, gehörten 170 der Sächsischen Landeskirche an. Der sächsische Konvent der Evangelischen Michaelsbruderschaft zählte damals erst zehn Brüder. Nach dem Buch von Hahn gehörten von ihnen vier dem Pfarrernotbund an, unter ihnen der Konventsälteste Kurt Zeuschner und Arndt von Kirchbach.
Lassen wir uns nun von Sieger von Kirchbach erzählen:


LeerVater gehörte nach dem Zeugnis von Bischof Hahn (S. 32) zu dem ersten kleinen Kreis von „Bekennern”. Im September 1933 sammelte er diese in seiner Wohnung. Er hat dann nach der DC-Kundgebung im Berliner Sportpalast, die so große Wellen schlug, den Aufruf an alle sächsischen Brüder, dem Notbund beizutreten, mit unterzeichnet (S. 38).

LeerAm 30. Januar 1934 wurde Vater das erste Mal, unter Sperrung der Hälfte seines Gehalts, abgesetzt. Er war damals Domprediger an der Sophienkirche in Dresden und Vereinspfarrer der I. M. mit dem Pressepfarramt und Studentenpfarramt. Durch den Dienst an der Presse war er besonders stark mit nazistischem Ungeist konfrontiert. Er erzählte mir manchmal, wie verschieden die Strömungen waren, die hier in der Presse gegeneinander kämpften, und wie wichtig es war, daß man den kirchlich-biblisch-volksmissionarischen Ton zur Geltung brachte. Und er erzählte auch, wie die „braune” Presse die kirchliche immer gezielter einengte und immer weniger kirchliche Nachrichten aufnahm. Entscheidend unterstützt hat ihn gerade bei dieser Arbeit meine Mutter (Esther, geb. von Carlowitz. Unseren alten Lesern wird sie noch als Mitarbeiterin am „Gottesjahr” in guter Erinnerung sein. Anm. der Schriftleitung.)

LeerAm 31. Januar früh wurde Vater verhaftet. Es war der Geburtstag meiner Großmutter Kirchbach. Ich besinne mich noch, wie die zwei Polizisten klingelten, als wir gerade unsere morgendliche Andacht halten wollten. Mutter erreichte, daß wir es noch durften, und die Polizisten warteten im Eßzimmer, während wir in Vaters Studierzimmer um den kleinen Altar standen und die Tür offen blieb. Vater las die Kirchenjahreslese des Tages, in ihr stand das Wort Röm. 8, 34. Auch hatte ich als Geburtstagsgeschenk für Großmutter das Lied auswendig gelernt „Wer nur den lieben Gott läßt walten”, und war ganz erstaunt, daß ich es schon morgens bei der Andacht aufsagen mußte, damit Vater es noch hören konnte. Dann besinne ich mich noch dunkel daran, wie Vater zwischen den beiden viel kleineren Polizisten in seinem schwarzen Lutherrock dahinging und die Mutter weinte.

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LeerDie Verhaftung von Vater stand im Zusammenhang mit der Vorsprache Niemöllers und der lutherischen Bischöfe bei Hitler und dem dadurch veranlaßten schärferen Vorgehen der Deutschen Christen in Sachsen gegen den Notbund. Außer Vater und Hahn wurden damals noch acht Brüder des Notbundes verhaftet (S. 53). Sie wurden beschuldigt, einen regierungsfeindlichen „Aufruf” verbreitet zu haben. Da aber dieser „Aufruf” sich nur als eine Information an die Vertrauensleute des Notbundes herausstellte und das Landeskirchenamt von Berlin gleich wieder zurückgepfiffen wurde, wurden die Verhafteten nach wenigen Tagen wieder entlassen. Die Absetzung aber dauerte an.

LeerMitte Februar 1934 fanden auf Veranlassung des damaligen Ministerpräsidenten von Sachsen von Killinger Verhandlungen mit dem Landeskirchenamt und dann auch mit ihm selbst statt. Auf Seiten des Notbundes wurden sie von Hahn, Auenmüller und Vater geführt. Dem Vater fielen vor allem wesentliche Teile des Gesprächs mit Killinger zu. Es kam darauf an, daß er seine Beziehungen von seiner soldatischen Tradition her nutzte. Zweck der Verhandlungen war die Aussöhnung mit dem Landeskirchenamt und die Wiedereinsetzung der abgesetzten Pfarrer. Die Gefahr aber lag darin, daß die Bekennende Kirche sich von den schönen Worten des Landeskirchenamts und dem diplomatischen Geschick Killingers einfangen ließ und daß dabei die Sache des Evangeliums verraten wurde. Vater erzählte mir später einmal, daß das Versöhnungsangebot Killingers sehr verlockend gewesen wäre. Doch mußten Hahn und mein Vater um des Evangeliums willen bei ihrem klaren Nein bleiben. Die Folge war, daß die Beurlaubungen der gemaßregelten Pfarrer vom Dienst unter Sperrung der Hälfte des Gehalts weiter gingen, daß aber die Fronten klar blieben.

LeerEs wurde dann ein Reisedienst der Bekennenden Kirche aufgebaut, in dem als Hauptredner Hahn, Vater und die Pfarrer Fischer und Prater fungierten (S. 79). Ich besinne mich auf diese Zeit noch, weil Vater viel unterwegs war und manche Zusammenkünfte von Pfarrern, Studenten sowie Künstlern in unserem Haus in der Hähnelstraße stattfanden. Vaters Aufgabe bestand außerdem darin, daß er die Gedanken der Bekennenden Kirche in die Kreise des Adels trug und vor allem zu den Rittergutsbesitzern und Patronatsherren Verbindung hielt. Er baute damals zusammen mit Mutter Gutsfreizeiten auf und ist im Laufe dieser Arbeit auch mehrmals in Ostpreußen gewesen, wo sich durch Graf Stolberg, Dönhoffstädt, viele Beziehungen ergaben. In dieselbe Zeit fällt auch die Freundschaft mit Fürst Schönberg-Waldenburg, der in seiner Waldenburger Tafelrunde manche einflußreiche Männer aus dem Geistesleben um sich sammelte. Diese Freizeiten wurden von Vater und Mutter gestaltet. Fürst Schönburg hat dann auch finanziell den Kampf der Bekennenden Kirche großzügig unterstützt.

LeerIn Sachsen hatte die Bekennende Kirche weitgehend volksmissionarischen Charakter. Sie hat zu einem Erwachen vieler Gemeinden geführt. Im volksmissionarischen Dienst standen auch die Gottesdienste im CVJM-Saal, wo Vater regelmäßig predigte. Dort versammelten sich damals große Massen, und der Saal war oft überfüllt.

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LeerAls der Landeskirchenausschuß in Sachsen zustande kam, wurde Vater wieder in sein Amt als Domprediger eingesetzt. Im Sommer 1936 wurde er zum Superintendenten von Freiberg ernannt. Später hat er mir einmal erzählt, wie die Ernennung beinahe daran gescheitert wäre, daß er kurz vorher einen Juden getauft hatte.

LeerAls Delegierter der Sächsischen Landeskirche hatte Vater 1934 an den Bekenntnissynoden in Barmen und Dahlem teilgenommen. Bei dem Beitritt seiner Kirche zum Lutherischen Rat mit dem Ziel der Vereinigung aller lutherischen Kirchen hat er entscheidend mitgewirkt. Ihm war die Trennung der lutherischen Kirchen untereinander immer eine Not gewesen, und seine Bemühungen gingen immer darum, den bekenntnismäßigen Stand zu wahren. Auch stellte er sich, wie ich aus seinem Munde weiß, gegen die Kräfte, die mehr in Richtung von Niemöller und Bonhoeffer aus dem am Bekenntnis des Evangeliums orientierten Widerspruch gegen einzelne Maßnahmen des Nazistaates eine grundsätzlich politische Opposition zum Staat machen wollten. Er wollte, daß der Widerspruch vom Evangelium her laut wurde und nicht aus politischen Erwägungen allgemeiner Art heraus. Ich frage mich heute, ob er den Staat dabei nicht doch etwas zu positiv gesehen hat. Er wandte sich zum Beispiel nicht grundsätzlich gegen das Gebet für den Führer, im Gegensatz etwa zu einem Pfarrer, der dem Vater einmal in meiner Gegenwart auf eine Frage in dieser Richtung antwortete: Der Führer kommt bei mir nur in der letzten Bitte des Vaterunsers vor.

LeerDer Kirchenkampf in Sachsen lebte wieder auf, als ein wilder DC namens Klotsche im August 1937 mit Gewalt und mit dem Revolver in der Hand den Landeskirchenausschuß vertrieb und die Leitung der Kirche an sich riß. Vater übernahm damals einen Bezirk Sachsens, um die Notbundpfarrer in ihrem Kampf zu stärken. Im September 1937 wurde er als Superintendent abgesetzt, Anfang 1938 auch als Pfarrer am Dom. Der Kirchner erhielt die Weisung, die Polizei zu verständigen, wenn Vater doch die Kanzel des Doms besteigen sollte. Begründet wurde diese Absetzung, die wiederum mit der Sperrung des halben Gehalts verbunden war, damit, daß Vater sich auch weiterhin um die Pfarrerschaft der Ephorie Freiberg gekümmert hatte, da der kommissarisch eingesetzte DC-Superintendent nichts für sie tat. Wie Vater mir später einmal sagte, hat es ihn mit Freude erfüllt, daß der erste Punkt der Anklageschrift lautete: „Er hat auch als abgesetzter Superintendent alle Pfarrer der Ephorie zu einem Abendmahl nach Freiberg eingeladen.” Er war froh darüber, daß es bei diesem ersten Punkt um eine so geistliche Sache ging. Als Superintendent war er mit der Begründung abgesetzt worden, daß er Anweisungen der Kirchenleitung, welche die Behandlung des Alten Testaments im Unterricht verboten, einfach nicht weitergegeben hat. Später drohte auch noch lange Zeit die zwangsweise Räumung der Freiberger Dienstwohnung. Fürst Schönburg hatte uns für diesen Fall eine Wohnung in Schloß Lichtenstein angeboten, und wir Kinder waren dann eigentlich etwas enttäuscht, daß es nie zu dieser Räumung kam.

LeerVater ist in dieser Zeit an keinem Sonntag ohne Dienst gewesen. Er fuhr überall herum, wo er um eine Predigt gebeten wurde oder wo ein Vikar zu ordinieren war, der sich in den Dienst der Bekennenden Kirche gestellt hatte. Als der Krieg ausbrach, meldete er sich sofort als Wehrmachtpfarrer. Das Landeskirchenamt wollte das verhindern, konnte sich aber bei den vielen Beziehungen, die Vater zur Wehrmacht hatte, nicht durchsetzen.

Aus: Quatember 1971, S. 75-77
© Sieger von Kirchbach

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-07
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