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Begegnung mit Taizé
von Reinhard Mumm

LeerTaizé ist ein Ort mit gelebter Ökumene. Die Gemeinschaft der Brüder setzt sich aus verschiedenen Nationen zusammen, auch Deutsche sind unter ihnen. Die meisten Frères entstammen der reformierten Kirche Frankreichs, aber auch Lutheraner sind unter ihnen. Die Präsenz der römisch-katholischen Kirche kommt sichtbar zum Ausdruck durch zwei junge Patres des Franziskanerordens, die in der Schar der weiß gekleideten Brüder ihre braunen Kutten tragen. Oft sind römisch-katholische Priester zu Gast. Täglich wird die römisch-katholische Messe gefeiert, meist in der Krypta oder in der romanischen Kirche, oft in Form der Konzelebration mehrerer Priester, die es dann erlaubt, das Herrenmahl unter beiderlei Gestalt auszuteilen. Die volkreichen Länder der romanischen Sprachfamilie stellen bei weitem die meisten Gäste. Schon von daher und durch die katholische Weite und Fülle, die der Communauté eigen ist, trägt Taizé einen unverkennbar katholischen Charakter.

LeerWer die reformierte Tradition kennt, wird freilich bemerken, daß es an charakteristischen Zeichen dieser Überlieferung nicht fehlt. Die schlichte Einrichtung der Räume mit ihren weiß gekalkten Wänden, eine gewisse Vorliebe für das Sprechen gewichtiger Stücke der Liturgie, die Wiedergabe der "ecclesia catholica" im nizänischen Glaubensbekenntnis mit "église universelle" deuten auf reformierte Herkunft. An anderen Stellen sind orthodoxe Einflüsse spürbar. Die verschiedenen Überlieferungen der Christenheit haben Pate gestanden; aber man hat es vermieden, daraus ein nivellierendes Einerlei zu bilden. Bei aller ökumenischen Weite und Offenheit werden dennoch die Grenzen zwischen den Kirchen respektiert. Die Brüder kommunizieren nicht in der römisch-katholischen Messe. Es bleibt jeweils klar, wer den Gottesdienst leitet, auch dann, wenn der eine sich an den anderen anschließt. Vollends deutlich wird dies bei den orthodoxen Feiern der Chrysostomos-Liturgie. Ein Priester des Patriarchats von Konstantinopel hält täglich ein Stundengebet in einer eigens dafür hergerichteten Kapelle neben der Krypta des Centre, und in der romanischen Kirche feiert er die Eucharistie. Da nur selten orthodoxe Gläubige zugegen sind, kann er - der strengen orthodoxen Ordnung folgend - die eucharistischen Gaben nicht austeilen. Doch bringt er in bewegender Weise die ökumenische Liebe auf andere Art zum Ausdruck, indem er etwa das "Christe, du Lamm Gottes" in deutscher Sprache anstimmt, den Bruderkuß mit den vier Brüdern der Communauté teilt, die seinen Chor bilden, und zum Schluß den Anwesenden das Kruzifix zum Kuß bietet und ihnen das Antidoron austeilt, das Brot der Agape für alle, die mitgebetet haben. Der Gottesdienst bildet die Mitte von Taizé; aber es vollzieht sich noch ein anderes Leben rings um die Versöhnungskirche. In dem bunten Jugendlager wird gesungen und gelacht. Ohne eine deutlich erkennbare Organisation greifen viele zu, um den Betrieb aufrechtzuerhalten, so daß schließlich jeder seinen Platz und sein Essen findet. Abends sammelt sich eine große Schar um ein Lagerfeuer. Ein Lied löst das andere ab, bald in dieser, bald in jener Sprache. Feuerwerkskörper steigen auf. Es geht ausgelassen zu zwischen den Jungen und Mädchen. Niemand führt die Aufsicht. Als die Glocken zum Abendgebet rufen, brechen fast alle auf, um sich in der Kirche zu versammeln. Scherz und Ernst gehören wie selbstverständlich zusammen.

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LeerDen Höhepunkt des Sonntags bildet die Feier der Eucharistie durch die Communauté. Wiederum fragt niemand nach Herkommen und Konfession, als die austeilenden Brüder sich mit Patene und Kelch in die Weite der Halle begeben. Fast ohne Ausnahme beteiligen sich die Anwesenden an der Kommunion.

LeerDie meisten Anwesenden sind nicht zufällig hier. Jeweils für eine Woche rückt eine neue bunte Schar aus aller Welt heran. Den Schwerpunkt dieser Zusammenkünfte bildet die Vorbereitung auf das "Konzil der Jugend", zu dem Roger Schutz vor zwei Jahren aufgerufen hat. Wie das Echo auf diesen Aufruf beweist, gibt es Jugendliche in aller Welt, die nach Gott fragen und eine Gestalt der Kirche suchen, die frei bleibt von den Bindungen an staatliche und wirtschaftliche Mächte. In Taizé ist zwar keine politische Propaganda zu spüren, wohl aber ein gelebter Sozialismus. Was imponiert den jungen Menschen und zieht sie hierher? Ein Junge antwortet nach einigem Besinnen schlicht: "Die Brüder". Er wollte damit sagen: Diese Schar von Männern, die ihr Leben ganz einsetzen, die ihr Einkommen und ihren Besitz teilen, sind ein Zeichen für eine Lebensweise, nach der junge Menschen suchen.

LeerIn ökumenischen und sozialen Aktivitäten sind mehrere Brüder engagiert. Einer ist in Genf tätig, ein anderer in Bogotà. Mit den zum Teil recht armen Bauern in Burgund haben sie eine landwirtschaftliche Genossenschaft begründet, um ihre Grundsätze vom gemeinsamen Eigentum auch in den wirtschaftlichen, sozialen und kirchlichen Gegebenheiten Frankreichs zum Ausdruck zu bringen. Die Communauté entwickelt kein politisches Programm. Sie möchte aber hinhören auf die Stimmen gegensätzlicher Gruppen, besonders aus der "Dritten Welt". Sie will zur Versöhnung helfen und das Ringen um Frieden und Gerechtigkeit stärken. Sie will Einsamen und Suchenden beistehen und mit ihnen nach dem rechten Weg suchen.

LeerIm Vordergrund der Arbeit steht seit 1970 das "Konzil der Jugend". Auf die Frage, worin dieses Konzil eigentlich besteht und in welchen Formen es sich vollziehen soll, hört man recht unbestimmte Antworten. Die Communauté möchte im Verlauf der großen internationalen Jugendtreffen durch die Gespräche mit den Jugendlichen herausfinden, wohin ihre Gedanken und Aktivitäten zielen. Das Stichwort "Konzil" greift die große Hoffnung auf, die seinerzeit von dem Entschluß Johannes XXIII. ausging, als er ein Konzil ankündigte. Das von Taizé geplante Jugendkonzil ist im übrigen nicht vergleichbar mit den Konzilen der Christenheit. Ein starkes Moment bilden das Suchen im Innern des Menschen, die Entfaltung einer eigenen Antwort, die Teilnahme am Leben des auferstandenen Christus und die Auswirkung dieser Anteilnahme in der Hilfe zu einem freien Leben für alle Menschen.

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LeerZur Vorbereitung des "Konzils" hat man in Taizé bestimmte Formen entwickelt, die beachtenswert sind. Die große Schar von tausend jungen Teilnehmern wird aufgeteilt in Kleinstgruppen von etwa sieben Personen. Diese Gruppen können weitgehend das Thema ihrer Gespräche selbst bestimmen. Manche entschließen sich, miteinander eine Zeitlang zu schweigen und nicht zu reden. Jedenfalls entfallen in diesen kleinen Gruppen alle Debatten um Geschäfts- und Verfahrensfragen, die bei Kirchentagen und ähnlichen Zusammenkünften oft so ermüdend oder geradezu abstoßend sind. Es fällt auf, daß dort, wo Deutsche mitreden, die Gespräche mehr von Theorien - christlichen oder marxistischen - als von der Praxis bestimmt sind.

LeerDie Jugendtreffen in Taizé gehen nicht darauf aus, Resolutionen zu erarbeiten, die leicht im leeren Raum hängen bleiben. Vielmehr geht es darum, einander zu begegnen, auf die jungen Menschen anderer Länder, Kontinente und Rassen mit ihren Erfahrungen zu hören, miteinander ein Fest zu feiern und für den eigenen Weg eine Klärung zu empfangen. In den Gesprächen, die wir mit einigen jungen Menschen hatten, war ein Staunen zu spüren über das, was sich hier begibt, und eine beglückende Hoffnung. Viele bemühen sich, wie wir hörten, zu Hause in irgendeiner Form fortzuführen, was sie empfangen haben, sei es in kleinen Kreisen oder auch durch Mitarbeit in der Gemeinde und Kirche, in der sie leben. Was in Taizé geschieht, hat natürlich auch Schattenseiten. Die Großzügigkeit im Umgang mit allen, die kommen, muß damit erkauft werden, daß einige diese Großzügigkeit mißbrauchen. Manches mag uns fremdartig berühren im Umgang mit den Brüdern. Auch in Taizé ist nicht alles vollkommen, ebensowenig wie der Kreis der Zwölf im Neuen Testament vollkommen war. Die Christenheit bestand immer aus begrenzten und fehlsamen Menschen. Das aber kann kein Grund sein, ihr Leben für vergeblich zu halten. Vielmehr gilt, was Roger Schutz in einer seiner Ansprachen sagte: Hier leuchtet ein Licht auf, das anderen Hoffnung gibt. Und daneben gibt es weitere Lichter. Wir sollen sie nur entdecken und dann helfen, daß viele solche Lichter finden.

Quatember 1972, S. 31-33

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© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-09
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