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Geistliche Ansprache bei der
Enlassungsfeier 1971 in Marburg

von Hans Dombois

LeerWir haben am Ort der Stiftung unseres gemeinsamen Weges gedacht. Aber wir haben kein Stiftungsfest und kein Jubiläum gefeiert. Was Berneuchen und die Bruderschaft bis heute gewesen sind, gehört der Kirchengeschichte an. Wie ich schon vor zehn Jahren in Marburg gesagt habe, gehört es in die Reihe der großen B, die diese Zeit bestimmt haben: Barth, Bekenntnis, Barmen, Bultmann, Berneuchen. Was aber ist das Entscheidende, das bleibt und zugleich in die Zukunft weist? Es ist eine große Freiheit. In unserer Zeit kann erstmalig wirklich ernsthaft von dem Ende des konfessionellen Christentums gesprochen werden. Uns ist bewußt geworden, wie sehr wir in unserem eigenen Kirchenwesen nicht nur frei, sondern zugleich auch eingeschnürt waren. Wir sind gemeinsam über viele Zäune gestiegen und haben durch viele Mauern Tore, wenn auch nur in der Größe eines Nadelöhrs, gebrochen. Unsere Väter haben nach dem Worte der Schrift gehandelt, alles zu prüfen und das Beste zu behalten. So haben sie aus dem großen Schatze der geistlichen Erfahrungen der Kirche das genommen, was zum Leben diente. Dies alles war nur möglich, weil jene Männer in einem ganz ungewöhnlichen Maße in der Tradition der reformatorischen Kirchen verwurzelt waren. Aus dieser großen Freiheit ist uns eine große Verpflichtung zugewachsen auch gegen uns selbst.

LeerDer Hauch der Freiheit ist nicht süß wie die Gewohnheit des Lebens. Er ist herb wie der Wind des Meeres. Die Kirche ist immer eine Arche Noah gewesen, in der der Mensch samt allen Kreaturen geborgen ist, und dennoch nach der Taube mit dem Ölzweig ausschaut, um wieder auf festen Boden zu kommen. Sie gleicht auch dem gebrechlichen Fischerboot, in dem die Jünger zagen und der Herr schläft, um endlich den Sturm zu stillen. Diese gefährliche christliche Seefahrt ist auch uns aufgetragen. Niemals aber hat seit Noahs Zeiten jemand daran gedacht, ohne Schiff sich hinauszuwagen und ohne Netze zu fischen. Darum seht es nicht als einen Raub an, Schiff und Netze immer wieder zu rüsten und achtet jener Narretei nicht.

LeerZum Anderen. Als ich vor 25 Jahren mit der Bruderschaft in Berührung kam, wurde mir als erste, wichtigste Besonderheit genannt, daß diese Gemeinschaft als ihre Hauptveranstaltung ein Jahresfest feiere. In der Haute Couture der heutigen Theologie ist dies schon beinahe wieder modern geworden. Eine solche Feier kann keine Pflichtübung sein. Sie hat ihre Form. Aber ihr Geist muß der der Heiterkeit sein - etwas von dem risus paschalis, dem österlichen Lachen, das unsere Kirche vergessen hat.

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LeerMan hat gesagt, daß, wo Heiterkeit ist, das Gift nicht gedeihe. Wir haben unter uns das Gift des Richtungsstreits, der Rechthaberei und des Mißtrauens nicht aufkommen lassen. Wir haben es uns etwas kosten lassen, das Band des Friedens unverletzlich zu halten. Das muß so bleiben - vor allem aber jene freie Heiterkeit! Wir sind kein Orden, sondern eine Bruderschaft. Aber vielleicht sollten wir trotzdem so etwas wie ein Orden wider den tierischen Ernst in Theologie und Kirche sein.

LeerDrittens. Wenn uns etwas in einem wirklich grundsätzlichen Sinne unterscheidet, so ist es der Glaube an den Geist. Nicht umsonst haben wir aus der Liturgie der Ostkirche die Geistepiklese in unsere Messe eingeführt. Der Heilige Geist ist heute nicht mehr eine Versuchung der Intellektuellen, sondern eine Verlegenheit für die, die ihre Mündigkeit sich selbst verdanken wollen. Sieht man liturgische Entwürfe von Heute an, so ist der Heilige Geist und damit die Trinität selbst nur noch eine traditionelle Formel. Wir aber werden in Zukunft immer von Neuem den Geist mit Ernst anrufen und es unternehmen, geistliche Dinge geistlich zu beurteilen -, und eben darum weltliche Dinge weltlich.

LeerDiese drei Dinge - Freiheit, Heiterkeit und Geist - stehen nicht auf einer Ebene - denn der Geist ist alles in allem. Aber laßt es Euch gefallen, sie einmal so nebeneinander zu stellen.

LeerUnsere Zeit ist hart. Viele bewährte Männer, auch unter uns, haben das Gefühl, hoffnungslos mit dem Rücken an der Wand zu stehen. Es ist mir leid um sie wie um den Bruder Jonathan. Die Humanität unserer Tage ruiniert die Gewissenhaften und beklagt sich über die Verstockung, die sie selbst hervorruft. Wenn es eine Anklage gegen unsere Zeit gibt, so diejenige, daß sie eine unerhörte Herrschaft des Pharisäismus begründet. Sie ist zum System der Denunziation geworden. Alle Tage wird mit Eifer Buße getan dadurch, daß man an die Brust anderer klopft. Es gibt heute weniger freie Männer als je zuvor. Aber eben darum erinnere ich Euch daran, daß ihr frei geboren seid und nicht von Reaktionen lebt und leben dürft.

LeerMehr noch: ich wage es zu sagen, daß das Chaos täuscht. Die Perspektiven dessen, was zu geschehen hat und uns aufgegeben ist, zeichnen sich, wenn auch in ersten Konturen und noch vor eigentlichen Lösungen, dennoch mit einiger Deutlichkeit ab. Es sind wiederum drei Dinge. Die Christenheit ist in einem weltgeschichtlichen Prozeß des Übergangs, in der die Gerechtigkeit des je Einzelnen unverkürzt in die koinonia aufgehoben werden muß. Was im Widerstreit von Bürgertum und Sozialismus von diesen beiden prinzipiell nicht geleistet werden kann, wird sich auch heute und in Zukunft geistlich und geistig - und hier mit der vollen Anstrengung des Begriffs - im Schoße der Kirche entscheiden. Hier ist alles das eingeschlossen, woran der Mensch von Heute an sich selbst, an seinem Verhältnis zur geschaffenen und der von ihm selbst geschaffenen Welt tragisch und hoffnungslos leidet.

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LeerDies steht voran. Als zweites folgt die Verfassung der Kirche. Die Art und Weise, wie das Evangelium ausgerichtet wird, ist im tiefen Wandel. Die Formen wechseln. Die Aufgabe aber und das Problem ihrer Gestaltung bleiben bestehen. Wir werden mit derselben Entschlossenheit um die Identität der Aufgabe zu kämpfen haben, wie die Kirche jemals um ihre begrifflich formulierte und aussagbare Rechtgläubigkeit gekämpft hat. Als Drittes sehe ich die ökumenische Aufgabe, von der der Bruder Älteste am Ende seiner Anrede mit Nachdruck gesprochen hat. Unsere Väter haben in der Stiftungsurkunde - es sei erlaubt, es so auszudrücken - mit einer Art von Unschuld einen nur scheinbar harmlosen, in Wahrheit aber weittragenden Satz ausgesprochen:
"Wir glauben daran, daß alle Einzelkirchen Glieder sind der einen Kirche Christi und ihren Beruf im gegenseitigen Empfangen und Dienen erfüllen."
LeerDieser Satz enthält einen Überschritt, den bisher keine der ökumenisch so wohlgesinnten, getrennten Kirchen vollzogen hat, die ernsthafte Preisgabe von Autarkie und Überlegenheitsanspruch. Unsere Kirchen sind nicht nur deswegen getrennt, weil sie so verschieden, sondern weil sie eben in jener Haltung nur allzu ähnlich sind.

LeerIch kann Euch zu alledem nicht anderes sagen, als was ich den Kardinälen der römischen Kirche zum Problem ihres Grundgesetzes geschrieben habe, nichts anderes, als was ich für die Theologen formuliert habe, die es in diesen Tagen unternommen haben, die volle Kirchengemeinschaft der reformatorischen Kirchen zu begründen und zu verwirklichen. Unter dem Marburger Schloß, wo unsere Väter sich 1529 entzweiten, haben wir uns 1931 vom Altare schenken lassen, was jene Kirchenmänner 1971 als geschichtliches Ziel anstreben.

LeerAuch dies sind drei Dinge. Sie sind nicht willkürlich gewählt. Sie haben sich aus der Verdichtung der anstehenden Fragen herausgeschält und abgeklärt und stellen sich in spiegelverkehrter Entsprechung bei den Streitenden dar. Diese drei Dinge umschließen eine fast unermeßliche Aufgabe des Umdenkens wie der Gestaltung. Aber was schließt dies alles zusammen? Unter uns sollte das leidenschaftliche, tragische Ringen des Naturwissenschaftlers Günter Howe um das Gottesbild in der technischen Welt unvergessen bleiben. Euch und mir hat er oft genug gesagt, daß die Präfation zum Sanctus mehr als eine großartige liturgische Formel, daß sie vielmehr eine Art kopernikanische Wende bedeutet. "Wahrhaft würdig und recht, billig und heilsam ists, daß wir Dich zu allen Zeiten und an allen Orten loben und Dir danken." Auch in der Nacht, in der er verraten ward, nahm der Herr das Brot, dankte und gab es seinen Jüngern. Nur wer zu danken vermag und wohl weiß, was er tut, nach dem herben Wort der Apokryphen, nur wer zu danken vermag, ist in Wahrheit frei. So schließt sich das Ganze vom Anfang über diese Mitte in die Zukunft. Betet also, arbeitet und dankt.

Quatember 1972, S 41-44

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-09
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