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Zehn Jahre Fastenübung
von Paul Rohleder

LeerIm April 1962 fand in Kirchberg unter dem Thema: "Beten und Fasten - Besinnung und Übung" erstmals eine Fastenwoche statt. Sie war ärztlich betreut von Dr. Fahrner, dem leitenden Arzt des Fastensanatoriums Buchinger in Überlingen. Die theologische und seelsorgerliche Leitung lag in meiner Hand. Da ein Obsttag als Einstieg und mindestens zwei Aufbautage als sachgemäßer Abschluß erforderlich sind, von einer Woche also höchstens vier volle Fasttage bleiben, so haben wir diese Übung alsbald auf die Dauer von zwei Wochen mit neun bis zehn vollen Fasttagen erweitert und von Jahr zu Jahr mit steigendem Besuch fortgeführt. Die ärztliche Überwachung haben neben dem vorgenannten Arzt im Lauf der Jahre auch Fastenarzt Dr. Eisenberg/Witzenhausen, Dr. Buddeberg/Engelsbrand und Dr. Wagner/Stuttgart-Fellbach wahrgenommen. Immer haben die Ärzte mitgefastet, was besonders hilfreich empfunden wurde. Einmal war auch der junge islamische Arzt AlDiwany aus Bagdad - damals vorübergehend in Friedberg tätig - dabei. Er wollte neben der ärztlichen Seite des Fastens vor allem "praktizierende Christen in Deutschland kennenlernen". Mit großer Aufgeschlossenheit hat er unsere Stundengebete, Sakramentsgottesdienste, Bibelauslegungen, Lesungen, Meditationen und Schweigezeiten begleitet. Die geistliche Ausrichtung wurde hilfreich ergänzt durch ärztliche Vorträge. Sie trugen wesentlich dazu bei, den Fastenablauf in gelassener Bereitschaft an sich geschehen zu lassen. Täglich war morgens und nachmittags eine beträchtliche Zeit eingeplant für größere Spaziergänge, welche für den im Körper sich vollziehenden Abbau von großer Wichtigkeit sind. Jeder Anfänger konnte die häufig mitgebrachte Meinung, man müsse beim Fasten die meiste Zeit liegen, als sehr verkehrt ablegen.

LeerDa ich einen nichtchristlichen Teilnehmer erwähnte, muß auch gesagt werden, daß fast alle Fastenzeiten interkonfessionell besucht waren. Katholische Brüder und Schwestern haben uns manchen guten Beitrag in Vorträgen und Aussprachen eingebracht. Eine interkonfessionelle Gruppe, welche das Leben auf die tragenden Grundlinien zurückzuführen sucht, auf hundert Bedürfnisse verzichtet, ohne zu entbehren, um gerade dadurch die Bereitschaft für Gott im Gebet und für die Menschen in der Liebe ganzheitlicher vollziehen zu lernen, ist sofort in jenem inneren Raum verbunden, von dem aus so manche konfessionelle Verschiedenheit unwichtig wird - ein Stück Erfüllung des Gebotes: Erkennet euch in dem Herrn; keiner sei wider den andern; keiner ein Heuchler; vergebet wie euch vergeben ist und nehmet einander an wie Christus euch angenommen hat.

LeerAls 1969 die Kirchberger Fastenwochen wegen Bauarbeiten nicht abgehalten werden konnten, führte das zu einer Art Tochtergründung im Raum Hamburg. Staatsrat Mestern, der 1968 in Kirchberg gefastet hatte, war von der Wichtigkeit des Anliegens so überzeugt, daß er zusammen mit einem Arzt und einigen Michaelsbrüdern norddeutsche Fastenwochen im gleichen Stil begründet und seither jährlich durchgeführt hat. Ist diese Entwicklung in sich selbst nicht ein Hinweis auf die Übung des Fastens als einer fast vergessenen Lebenshilfe? [Anm.: Die norddeutschen Fastenwochen wurden bis in das Jahr 2000 angeboten und mussten dann mangels Teilnehmern eingestellt werden]

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LeerChristus selbst hat gefastet und seinen Jüngern Fastenanweisungen gegeben (Mt. 4, 2 / 6, 16 ff.). Die Quelle der Vollmacht über dämonische Mächte sieht er in der Verbindung von Beten und Fasten (Mt. 17, 21), Verbindet er nicht in ähnlicher Weise Barmherzigkeit, Beten und Fasten in der Bergpredigt? (Mt. 6, 1-18). Vergangene Generationen haben es so aufgefaßt und diese Auffassung für die Nachfolge sehr wichtig erachtet. Als Beispiel zitiere ich Chrysologus (Bischof von Ravenna um 450): "Es gibt drei Tätigkeiten, durch welche der Glaube Festigkeit gewinnt: das Gebet, das Fasten, die Barmherzigkeit. Was das Gebet anstrebt, erlange das Fasten, lasse empfangen die Barmherzigkeit! Diese drei bilden nur eines. Sie geben einander das Leben. Denn die Seele des Gebetes ist das Fasten. Das Leben des Fastens ist die Barmherzigkeit. Niemand reiße sie auseinander! Sie dürfen nicht voneinander getrennt werden. Wenn man nur eines von diesen dreien hat oder sie nicht miteinander übt, hat man nichts."

LeerSehr ähnlich ein Fastenbuch um 1700: "Wir können uns nicht würdiger Gott gegenüber unserer ganzen und vollkommenen Dankespflicht entledigen, als wenn wir ihm unsere Seele durch das Gebet, unseren Leib durch das Fasten und unsere geistlichen und zeitlichen Güter durch das Almosen darbringen. Deshalb sagt man, daß diese drei Werke drei echten Schwestern gleichen, die überall miteinander gehen und einander nie verlassen."

LeerFasten ist also gar nicht isoliert zu sehen und zu üben. Es ist nicht Selbstzweck. Hier wird die Grenze des bloßen Heilfastens sichtbar. Wenn die innere Bereitschaft fehlt, kann es auf ein Hungern mit selbstsüchtigen Zielen hinauslaufen. Die Fastenärzte wissen das wohl und warten auf Verständnis und Mitarbeit der Kirche, dem Fasten die religiöse Begründung und Ausrichtung wiederzugeben, es als einen ganzheitlichen Akt der Entgiftung und Reinigung für Leib, Seele und Geist zu begreifen und zu erfahren. Damit wäre dem Fasten wieder ein fester Platz im Leben des Christen gegeben. In universaler Bezugsfülle könnte es ausstrahlen in alle Lebensbezirke und hülfe uns, Maß und Freiheit unseres Menschseins zu finden - und bliebe doch immer Gabe und Geschenk. Hemmungslose Begehrlichkeit wird auf diesem Weg gebändigt und höheren Zielen untergeordnet im Sinn des Wortes von Johannes vom Kreuz: "Verzichte auf deine Wünsche und du wirst erlangen, was dein Herz begehrt!"

LeerDas ergibt nicht nur veränderte Aspekte für den einzelnen Menschen, sondern auch für Kirche und Gesellschaft. Was würde geschehen, wenn verantwortliche Menschen in Synoden und Schulen, Betrieben und Redaktionen, Parteien und Nationen sich für ihre Aufgaben nicht nur durch Diskussionen und Empfänge, sondern auch durch Einkehrtage mit Beten, Fasten und helfender Barmherzigkeit stärken würden? - Wahrscheinlich würden wir, wie Gandhi, ganz neue Segenskräfte gewahren und erfahren. Aber unsere sogenannte mündige Welt ist noch nicht mündig, in solcher Weise "auf den Geist zu säen". Dennoch ist das Wissen unverloren, daß unsere Tiefe nach innen unsere Vollmacht nach außen bestimmt, so wie die sichtbare Krone des Baumes seinem unsichtbaren Wurzelwerk entspricht.

LeerDas kleine Heft: "Beten und Fasten" enthält weitere Ausführungen zu diesem Thema. Das Heft erhalten Sie im Klosterladen in Kloster Kirchberg.

Quatember 1972, S. 99-101

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-09
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