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Priestertum der Gläubigen
von Heinz Beckmann

LeerIn der Frage des allgemeinen Priestertums der Gläubigen, die uns in der künftigen Entwicklung der Kirche immer dringlicher aufliegen wird, kann eine Bruderschaft Vorübung und Vorbild leisten. Die tatsächliche Situation in den Gemeinden wird damit aber nicht überwunden. Von einem allgemeinen Priestertum sind wir heute weiter entfernt denn je. Zwar haben wir allmählich begriffen, daß es mit dem Ein-mann-System des Ortspfarrers so nicht weitergehen kann und darf. Nur haben leider die willig zueilenden Hilfskräfte aus der Gemeinde zumeist nicht die mindeste Vorstellung von dem, was beim allgemeinen Priestertum als Priestertum zu verstehen wäre. Wir haben uns so sehr in den Unterschied und Gegensatz zwischen Laie und Theologe verbohrt, daß wir im alltäglichen Leben der Gemeinde überhaupt nicht mehr zu begreifen vermögen, daß der Pfarrer sich vom Laien eigentlich nur dadurch unterscheidet, daß er Theologie studiert hat.

LeerWie aber kann man den Laien in der Gemeinde zu seinem allgemeinen Priestertum ermutigen, solange der Pfarrer selbst nicht mehr zu wissen scheint oder es nicht wissen will, was in der Nachfolge Christi recht eigentlich Priestertum bedeutet. Darum scheint es mir notwendig zu sein, mit der Erneuerung, mit der Erweckung des Priestertums erst einmal bei den Pfarrern anzufangen, damit der Laie an ihnen erkennt, in welcher ungeheuerlichen Situation er sich als getaufter Christ in dieser Welt, in seiner Gemeinde, in seiner Nachbarschaft, in seiner Familie und sogar sich selbst gegenüber befindet. Gewiß, in kleinen Kernkreisen der Kirche versteht man sich heute „geistlich”, hat man sogar den Mut, von der kleinen Schar der „Heiligen” zu sprechen. Aber es darf nicht bei uns selbst bleiben, denn wie immer man die Zukunft der Kirche sehen mag, so wird sie auf jeden Fall der „geistlichen” Laien bedürfen, des allgemeinen Priestertums.

LeerEs ist gut, daß diese Dinge in einigen der folgenden Briefe zur Sprache kommen. Es scheint sich dort Auseinandersetzung anzubahnen. Auseinandersetzungen soll man nicht meiden, sondern suchen. Sie sind überall dort Zeichen lebendiger Geister, wo man sich gegenseitig noch auf ein gemeinsames Fundament ansprechen kann. Wo man sich gegenseitig nicht mehr als Bruder anzunehmen bereit ist - darin ist der Tonfall der Sprache meist sehr verräterisch -, dort allerdings erlischt für eine Zeitschrift wie „Quatember” die Berechtigung zum Streit. Dann nämlich gibt man der Welt ein schlechtes Beispiel, ein falsches Zeugnis. Davor sollten wir uns mit viel Bedacht hüten, zumal die vielfältige Zerstrittenheit unter den Christen unsrer Tage ohnehin den Auftrag der Kirche zu verdunkeln droht.

LeerBei zwei Briefen ließ sich die persönliche Anrede an den Redakteur nicht ausmerzen, ohne den inneren Duktus der Briefe zu stören. Es sollen aber die Briefe künftig nicht nur Tummelplatz von Auseinandersetzungen sein. Hier liegen noch einige Aufgaben vor uns, denn keine Rubrik des „Quatember” ist so geeignet, die Fülle christlicher Existenz und auch Not in unseren Tagen auszubreiten, wie die Rubrik unter dem Motto „Briefe”. Darum bitte ich noch einmal die Leser, diese unsere gemeinsame Zeitschrift nicht nur zu konsumieren, sondern im lebhaften Gespräch, Austausch und gewiß auch Streit an ihr teilzunehmen.

LeerWir müssen auf die Ansteckungskraft der christlichen Existenz bauen. Sie soll hervorleuchten, Mut machen, befreien. In dieser Sache besorgt zu sein, ist vermutlich keine Schande angesichts gewisser Veränderungen im geistigen und seelischen Gehabe vieler Menschen unsrer Tage. Das Wort Veränderungen ist dafür eine sehr vorsichtige Vokabel, denn mit etwas seismographischer Begabung sollte man inzwischen bemerkt haben, daß wir uns an einer Wende, an einer Umkehr des Pendelschlages befinden. Nur in der Kirche merkt man davon kaum etwas. Das sage ich auf die Gefahr hin, abermals des Pessimismus geziehen zu werden. Um es kurz und klar zu sagen: Es geht darum, ob die Erweckungen des ausklingenden zwanzigsten Jahrhunderts von der Kirche ergriffen, geprüft, erfüllt und gesegnet werden oder aber sich außerhalb der Kirche und gegen sie vollziehen.

LeerDie Prüfung der Geister, die uns da bevorsteht, ist eine wahrhaft „geistliche” Aufgabe, die man freilich nur bestehen kann, wenn die Wächter wachen, also das allgemeine Priestertum der Gläubigen die Kirche mit ansteckendem Leben erfüllt.

Quatember 1972, S. 117-118

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-10
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