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Für Erneuerung und Einheit der Kirche
von Reinhard Mumm

LeerSehr verehrter Herr Beckmann! Das erste Heft des „Quatember” unter Ihrer Schriftleitung liegt vor. Ich danke Ihnen für das, was ich darin gelesen habe. Die Kontinuität mit dem bisher in dieser Zeitschrift Dargebotenen ist deutlich, zugleich auch der Ansatz zu einer Fortentwicklung.

LeerIn Ihrem „Brief” knüpfen Sie an den Untertitel an „Für Erneuerung und Einheit der Kirche” und weisen darauf hin, was heute bedrückt. Wer wollte das bestreiten? Die Liste der Beschwernisse ist leicht aufgestellt. Aber es geht Ihnen und den Lesern nicht darum zu klagen. Vielmehr möchten wir ermutigen und weiterhelfen. Darf ich in diesem Sinn an Ihre Gedanken anknüpfen?

LeerZunächst dies: Schon vor dem Ökumenismus-Dekret des II. Vatikanischen Konzils hat der frühere Generalsekretär und heutige Ehrenpräsident des Ökumenischen Rates der Kirchen wiederholt und mit Nachdruck auf die notwendige Bekehrung hingewiesen, ohne die ökumenisches Leben und Wachstum nicht gelingen kann. Ich erwähne das nur, um darauf hinzuweisen, daß diese Erkenntnis auf beiden Seiten da ist im Raum der abendländischen Christenheit. Wir sind uns freilich darüber im klaren, daß es mit der Erkenntnis in den Spitzengremien der Kirchen und mit guten Formulierungen allein nicht getan ist. Aber auch darüber brauchen wir Klarheit, daß solche Bekehrung in der Breite der Kirchen und Gemeinden nicht rasch erwartet werden kann. Sie braucht ein hohes Maß an Geduld, gepaart mit beharrlicher Arbeit. Anders ausgedrückt: Diese Bekehrung braucht Freiheit. Wir wollen zu dieser Freiheit uns selbst und unsere Brüder in den anderen Kirchen ermutigen, aber wir können die Umkehr nicht erzwingen, sondern müssen denen, die sie nicht so vollziehen können, wie wir es wohl wünschten, zugestehen, daß man auch warten darf, ohne zu verzagen. Ich glaube, nur in dieser Haltung kann die Erkenntnis und der Vollzug ökumenischer Gemeinschaft wachsen. Überhaupt scheint es mir sinnvoll zu sein, mehr den Ton auf die Gemeinschaft (koinonia) als auf die Einheit zu legen, die leicht mißverstanden wird.

LeerSie fragen weiter, „ob Kirche denn in unseren Tagen überhaupt noch gelebt wird”. Daß es Anlaß zu solcher Frage gibt, will ich nicht bestreiten. Aber ich denke, das, was „Quatember” seit Jahren berichtet hat und was auch dieses neue Heft bringt, bezeugt, daß Kirche gelebt wird. Nehmen wir die ergreifenden Zeugnisse hinzu, die gerade in jüngster Zeit im Westen über das Gemeinschaftsleben und von einzelnen Christen aus dem Bereich totalitär regierter Staaten veröffentlicht worden sind, dann erweitert sich dieses Bild beträchtlich. Hier tritt die Dimension urchristlichen Märtyrertums neu ans Licht, höchst überraschend und zugleich beschämend für uns in der westlichen Welt.

LeerWenn später einmal die Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben wird, kann ich mir denken, wird sie nicht nur vermerken, was sie alles an Auflösung und Verfall enthält, sondern sie wird auch die bedeutenden Anstöße zur Erneuerung und das Aufbrechen verschütteter Kräfte verzeichnen, die in den christlichen Glaubensgemeinschaften, ja über sie hinaus in der Menschheit vernehmbar geworden sind. Da zeigt sich, daß ein Wissen und Ahnen um Gott zutiefst im Menschen angelegt ist und gelegentlich mit einer Kraft hervorbricht, die uns staunen läßt.

LeerBitte verstehen Sie diese Gedanken nur als eine Ergänzung zu dem, was Sie geschrieben haben. Ich meine nicht zu übersehen, was heute bedrohlich ist. Es liegt mir fern, einem Optimismus zu huldigen, der dunkle Farben übermalen möchte. Es geht mir nur darum, auf die Zeichen der Hoffnung aufmerksam zu machen, die in dem Gewirr, das uns umgibt und in das wir unvermeidlich hineingezogen werden, auch erkennbar sind.

Quatember 1972, S. 120-121

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-10
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