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von Alexander Völker |
„Mich jammert des Volks ...” beginnt die Rede Jesu an seine Jünger in einem der biblischen Speisungsberichte (Markus 8). Daß das Volk nun schon drei Tage lang in der Wüste bei ihm ist, greift ihm ans Herz. Er nimmt das Dasein der Menschen in sein Inneres auf, mit ihm die Unerfülltheit, den Hunger und die Heimatlosigkeit der Vielen. Er gibt ihrer wüsten, hoffnungslosen Lage Raum bei sich und erträgt das schreckliche Gewühl der Tausende. Jesus trägt die Sünde der Welt. Jesus rief seine Jünger zu sich und sprach: „Mich jammert des Volks ...” - diese Sorge will er den Seinen anvertrauen. Der Kirche kann es nicht gleichgültig sein, wie Tausende, ja Millionen ihr Dasein ohne Gott fristen. Doch die Jünger begreifen offensichtlich nicht. Die Kirchen können Hunger, Elend, Bosheit und Ungerechtigkeit unter den Menschen zur Kenntnis nehmen. Ohne ihn, der sich den Jammer des Volkes zu eigen macht und in seiner Liebe verwandelt, können sie nur konstatieren, daß jede Hilfe unmöglich ist. Auch das eifrige Reden von einer Bewußtseinsänderung der Gesellschaft hilft hier nichts. Seine Jünger antworten ihm: Wie kann sie jemand hier in der Wüste mit Brot sättigen? Oft ahnen Christen nichts von der Gottverlassenheit, in der Menschen ihren Tag zubringen, vom Hunger nach dem Brot, das wirklich satt macht. Sie verstehen ihren Herrn nicht. „Mich jammert des Volks”. Der das sagt, will, daß das Volk bei ihm bleibt. Gott entläßt keinen unbeschenkt. Tausende haben sich zu ihm aufgemacht, sind zu dem Mann Gottes in die Wüste gekommen. Jesus weiß, daß die Menschen den Tod finden werden, wenn sie umkehren würden. Was sie bislang für Brot und Heimat, für Glück und Leben gehalten haben, ist in Wahrheit ihr Untergang. „Und wenn ich sie ohne Speise ließe heimgehen, würden sie auf dem Wege verschmachten; denn etliche sind von ferne gekommen.” Ahnen wir, welche Anmarschwege viele Menschen zurücklegen müssen, um Jesus überhaupt ansichtig zu werden? Gott will, daß die Menschen „Leben und volles Genüge” haben. Darum liegt Jesus daran, daß das Volk bei ihm bleibe. Leben und volles Genüge haben die Menschen ;auch dann noch nicht, wenn keiner mehr auf dieser Erde Hunger, Unrecht oder Einsamkeit leiden muß. Was Jesus Christus tut, heilt die tiefste Zerspaltenheit, unter der Menschen leiden: ihre Gottverlassenheit. Ihm, nicht den Jüngern, gilt der Lobpreis der Vielen. Es ist seine Auferstehung, die wir preisen, bis er in Herrlichkeit kommen wird. „Mich jammert des Volks.” Wir wissen, wie die Geschichte, die so beginnt, endet: Jesus hält mit den Vielen das Mahl. Er feiert die Eucharistie, „nahm die sieben Brote, dankte und brach sie und gab sie seinen Jüngern, daß sie sie vorlegten, und sie legten dem Volk vor”. Der Auftrag an die Jünger ergibt sich aus dem Handeln des Meisters. Er gibt ihnen sein Wort und seinen Geist und hält mit ihnen das Mahl. Ihre Aufgabe ist es, dem Volk „vorzulegen”, was Jesus ihnen gegeben hat. Dieses haben die Christen zu tun, mehr eigentlich nicht. Aber das haben sie zu tun, wo und wie auch immer. Zu dieser eindeutigen Konsequenz der Hingabe Jesu bedarf es keines besonderen Aufrufes an die Jünger mehr. Wie oft hindert die Idee der „Sendung in die Welt” die Christen daran, dem Volk da, wo es ist, „vorzulegen”, was Jesus Christus schenkt! Wie sehr kann die berechtigte Forderung nach dem besonderen gesellschaftlichen Engagement den Blick für den wirklichen Jammer des Volkes verstellen, das darbt und verschmachtet! Jesus hält mit den Tausenden in der Wüste das Mahl. Er ist das „Brot des Lebens”, das Brot für die Welt. Die Feier des Abendmahls wird der Ort bleiben, an dem sich der Jammer und die Hilflosigkeit des Volkes Gottes jedem unverhüllt zeigen werden. Sie wird zugleich das Ereignis sein, nach dem immer aufs neue wunderbar berichtet werden kann: „Sie aßen aber und wurden alle satt.” Quatember 1972, S. 129-130 |
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