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Deutschland: Misere der Ökumene
von Norbert Baumert SJ

Leer„Das Thema ist wirklich dran”, sagte mir in Frankfurt einer unserer Theologieprofessoren, als ich ihm berichtete, daß die Arbeitsgemeinschaft Ökumenischer Kreise unter diesem Motto zu einer Tagung nach Arnoldshain eingeladen hatte. Der Eindruck bestätigte sich durch das Einleitungsreferat von Dr. Echelmeyer (Kleve) und die Gespräche mit den etwa 70 Teilnehmern der Tagung, die aus dem Bundesgebiet und aus West-Berlin vom 28. 4.-1. 5. in den Taunus gekommen waren. Die meisten vertraten irgendeine Gruppe an der Basis, aber nicht wenige waren zugleich in offiziellen ökumenischen Gremien tätig. Diese personelle Verflechtung wurde im Verlauf der Tagung ausdrücklich begrüßt und empfohlen.

LeerHieraus ergab sich eine erste Frage: Wo ist diese Arbeitsgemeinschaft freier Kreise in der kirchlichen Landschaft anzusiedeln? Ist das beginnende Nebeneinander sinnvoll? Im Verlauf der Tagung wurde deutlich, daß Ökumene doch nur in einem sehr begrenzten Sinn „planmäßig” durchgeführt werden kann, und darum gerade die freien Kreise die Aufgabe haben, Anregungen zu geben und Einzelerfahrungen zusammenzutragen. Darum empfahl man neben Regionaltagungen rege Mitgestaltung und Bezug des Informationsorgans der Kontaktstelle für ökumenische Gemeindearbeit der action 365 „ökumene am ort” und des „Materialdienstes” der Ökumenischen Centrale in Frankfurt. Da eine Fortsetzung des Augsburger Pfingsttreffens im Augenblick nicht zu erwarten ist, wurde der Vorschlag gemacht, in einem kleineren Rahmen, etwa im Gebiet einer Landeskirche oder Diözese, solche Treffen zu versuchen.

LeerBedauert wurde, daß die Resolutionen von Augsburg so wenig Echo gefunden haben. Worte wie „Die Ökumene ist zum Stillstand gekommen” oder „Rom schlägt die Fenster zu” weisen darauf hin, wie schwer es den Kirchen fällt, sich angesichts des Evangeliums in Frage stellen zu lassen. In den Arbeitskreisen wurde an Beispielen wiederholt deutlich, wie oft sachfremde, untheologische Motive das Vorankommen von Projekten verhindern: etwa den Bau ökumenischer Gemeindezentren oder sozialer Einrichtungen. Ökumene erfordert eine intensive geistige Auseinandersetzung. Darum wurde immer wieder der Ruf nach einer vertieften, ökumenisch orientierten Theologie laut, wobei besonders die Begriffe der Wahrheit und der Einheit neu zu überdenken seien. Das wechselseitige Gespräch zwischen ökumenischer Erfahrung der Gemeinden, reflektierender Theologie und kirchlichem Leitungsamt bringt notwendig Spannungen und Konflikte mit sich. Wir haben dabei die Aufgabe, alle, die in Konfliktsituationen geraten sind, zu schützen und immer wieder neu das Gespräch mit ihnen zu suchen.

LeerDamit kommen wir zu dem wohl fruchtbarsten Stichwort dieser Tage, das Dr. Raiser, Genf, in seinem ausgezeichneten Referat gegeben hatte: Wir müssen die durch die ökumenische Bewegung deutlicher zutage getretenen Konflikte konziliar zu lösen versuchen. Konziliare Gemeinschaft ist nicht Demokratie, obwohl sie von allen getragen wird; sie ist auch nicht autoritativ geleitete Gemeinschaft, obwohl sie des „Amtes” bedarf, das ihre Einheit mit Autorität darstellt und wahrnimmt. Sie ist, auch in der Ortsgemeinde, „Konzil”, das sich vom Heiligen Geist getragen weiß und das an den Gegensätzen nicht zerbricht, sondern wächst. Der Referent gab dabei zu bedenken, daß wir in Deutschland ökumenisches „Entwicklungsland” seien, zum Teil immer noch als Nachwirkung der Isolierung Deutschlands in den dreißiger und vierziger Jahren. Wie in der weltweiten Ökumene, so liege besonders in Deutschland die Hauptaufgabe in nächster und vielleicht langer Zeit darin, daß die einzelnen Gemeinden und Christen am Ort durch den Versuch konziliaren Lebens ökumenefähig werden. Für diese entscheidende Arbeit an der Basis nahmen wohl alle Teilnehmer aus diesen Tagen neue Zuversicht mit nach Hause.

Quatember 1972, S. 166-167

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-10
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