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Besuch im Benediktinerinnenkloster
Unserer Lieben Frau in Varensell

von Charlotte Döring

LeerSie ist nicht alt, diese Abtei-1902 wurde das Kloster gegründet, 1948 wurde es zur Abtei erhoben -, aber sie entstand in einem Gebiet alter klösterlicher Tradition. Das Münsterland (nördlich der Lippe und westlich vom Teutoburger Wald) war einst reich an Klöstern oder Stiften, von denen fast alle den Säkularisationsaktionen Anfang des 19. Jahrhunderts zum Opfer fielen. Die Abtei Varensell liegt etwa 10 km südöstlich von Gütersloh. Kommt man von dort oder von Süden her angefahren, so sieht man schon aus großer Entfernung die hoch aufragenden Türme der Abteikirche. Die Kulisse dafür ist nicht gerade imposant. Kein Vergleich etwa z. B. mit Ettal, St. Ottilien oder auch nur mit dem nahen Meschede, wo man von der burgartig angelegten Benediktinerabtei über die ganze Stadt und auf die blauen Berge des Sauerlandes sieht. Nein, dieses Kloster liegt in einer ebenen, ganz und gar anspruchslosen Landschaft, die freilich auch nicht gänzlich ohne Reize ist: da sind Äcker und Wiesen, von schmalen Gräben und Bächen durchzogen, ab und an kleine Heidegebiete mit Kiefern- und Birkengehölz (Reste der ursprünglichen Heide- und Moorlandschaft), verträumte Erlen- und Weidenbüsche und, gemäß der hier vorherrschenden Streusiedlung, die vielen einzelnen Gehöfte ringsum zwischen den größeren und kleineren Ortschaften. Je mehr man sich der Abtei nun durch den kleinen, sauberen Ort nähert, um so wuchtiger steigen die Westtürme ihrer Kirche auf, um so mehr staunt man über die Weitläufigkeit der ganzen Klosteranlage.

LeerHier also tagte am 18. März der Westfälische Konvent des Berneuchener Dienstes, zu dem sich außer einigen Michaelsbrüdern auch etliche katholische Glieder des Ökumenischen Gesprächskreises in Soest hinzugefunden hatten. Insgesamt waren wir etwa 38 Brüder und Schwestern, die an diesem Tage bei den Benediktinerinnen zu Gast sein und gemeinsam mit ihnen Gott anbeten und seine Segnungen erfahren durften. Wir wurden überaus herzlich aufgenommen und fühlten uns nicht einen Augenblick fremd unter ihnen. So gab es auch von Anfang an kein mehr oder weniger krampfhaftes Bemühen um das Einssein miteinander. Es war da - eine fast wie selbstverständlich anmutende Realität.

LeerZu Beginn dieses gemeinsamen Tages begrüßte uns Frau Judith Frei, die z. Z. anstelle der aus Altersgründen zurückgetretenen Äbtissin dem Kloster mit seinen 77 Nonnen als Administratorin vorsteht. Sie erzählte uns einiges über die Entstehung der Abtei, erläuterte die Regel des Hl. Benedikt und schilderte sehr anschaulich das Leben im Kloster unter dem benediktinischen „ora et labora”. An erster Stelle steht das Lob (die Anbetung) Gottes (im Stundengebet Pflege der Gregorianik, Gebrauch d. latein. Texte), und nach wie vor wird auch die „Handarbeit” als Gotteslob verstanden. Bei den Benediktinernonnen in Varensell liegt der Arbeitsbereich nicht außerhalb, sondern innerhalb des Klosters. Wissenschaftliche Arbeiten, Handweberei, Stickerei, Glasmalerei, Mosaikwerkstatt, Paramentenanfertigung, Hostienbäckerei, Landwirtschaft, Kindergarten, ärztliche Praxis tragen in Varensell u. a. zum Lebensunterhalt bei. Auf zwei Dinge wies Frau Judith besonders hin: der Akzent liege heute mehr denn je auf dem geistlichen Leben: im Auftrag der Kirche betend da zu sein für andere. Sodann: das Leben in der Gemeinschaft sei für den einzelnen wesentlich auf seinem Wege zu Gott. Wiederum bedarf die Gemeinschaft der Verwurzelung des einzelnen im geistlichen Leben, damit nicht das gemeinsame Chorgebet zu leerer Gewohnheit entarte.

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LeerIm Anschluß daran hielt Frau Erentrud Trost eine Meditation mit uns über ihre Radierung „Die Heilung des Blinden von Jericho”. Diese Meditation vollzog sich im Zusammenhang mit einer äußerst gründlichen Exegese von Lukas 18, 31- 43. Nach dem Essen begaben wir uns in die Kirche zum Mittagsgebet, das wir miteinander nach der Ordnung unseres Stundengebetes (für die Nonnen vervielfältigt!) hielten. Während wir unsere Plätze zu beiden Seiten des Altars hatten, saßen die Nonnen, wie üblich, im Nonnenchor, der mit einer Mosaikwand abschließt, vor der sich der erhöhte Sitz der Äbtissin befindet: der thronende Christus, der Pantokrator, umgeben von den Cherubim, hält auf seinem Schoß mit seiner Linken ein weißes Lamm umfaßt, während er seine Rechte zum Segen über die Welt erhoben hat.

LeerEs würde zu weit führen, auch nur annähernd die Fülle dessen zu schildern, was wir im Anschluß nach dem Mittagsgebet etwa an Mosaiken, Glasfenstern und anderem in der Kirche zu sehen bekamen, alles Werke von Frau Erentrud Trost, die uns selbst die Erläuterungen dazu gab. Aber auf eine ihrer Arbeiten möchte ich doch noch besonders hinweisen, weil sie mir symptomatisch zu. sein scheint. In der sonst schmucklosen Eingangshalle der Abteikirche gibt es außer einem Mosaik, das St. Benedikt darstellt, ein zweites, das dem Kirchenbesucher „Unsere Liebe Frau in Varensell”, die Patronin von Kirche und Abtei, nahe bringen möchte: in Haltung und Gebärde, angetan mit Stirnreif und Zepter, strahlt sie eine bezwingende, fast unnahbare Hoheit aus. Dennoch tritt sie fast gänzlich hinter dem göttlichen Kind auf ihrem Arm zurück, das mit dem Buch des Lebens in seiner Linken und der aufgehobenen Rechten als Welterlöser gekennzeichnet ist. Dieser auch hier so deutlich gesetzte christologische Akzent ist beachtlich im Vergleich mit den meisten Madonnendarstellungen früherer Zeiten, besonders aber auch im Blick auf die Entwicklung der Mariologie in den letzten hundert Jahren.

LeerDas uns miteinander verbindende Ausgerichtetsein auf die biblische Botschaft des biblischen Wortes, das schon in der Meditation deutlich geworden war, kam dann erneut in dem biblischen Gespräch zum Ausdruck, das Frau Eise Schumann (Konventsleiterin des Berneuchener Dienstes in Westfalen) nach einer Einführung in das Verständnis des Textes leitete. Diesen Text aber (Römer 8, 8-11!) hatten die Nonnen ausgewählt, und sie beteiligten sich nun auch lebhaft an dem nicht ganz einfachen Gespräch, das uns aber schließlich in dankbarer Freude darüber eins werden ließ, daß wir den Geist der Sohnschaft empfangen haben.

LeerIhren Höhepunkt und Abschluß fand unsere Begegnung mit den Benediktinerinnen in der Feier der Eucharistie. Bei der statio lud uns der Rektor der Abtei, P. Wilhelm Swinkels CSSp etwa mit folgenden Worten dazu ein: „Wir gehören zusammen, weil der Auferstandene heute noch lebt und unter uns wirkt,” Er führte uns zum Oratorium, wo die Nonnen uns bereits erwarteten, die mitbetend und mitsingend an der Messe teilnahmen. Pfarrer Rauch und Herr von Dassel versahen den Altardienst, der Rektor der Abtei hielt die Predigt über die alttestamentliche Lesung des Tages: Jesaja 49, v. 8-13. - Wurde uns nicht auch gerade durch diese Botschaft von dem Erbarmer, der die Wege bahnen und sein Volk von den Enden der Erde sammeln wird, ganz besonders das Herz froh gemacht und der Mut gestärkt? Dieser Erbarmer, der auferstandene und gegenwärtige Herr, wird auch unter uns die Wege bahnen - über alle trennenden Zäune hinweg. Wir aber sollten „fleißig sein, die Einheit im Geist zu halten”, also eifrig danach streben, wo und wann immer, diese Einheit zu realisieren, vielleicht auch mal durch ähnliche Begegnungen, wie wir sie in Varensell haben durften.

Quatember 1972, S. 174-176

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-10
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