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Seelsorge und Gemeinde
von Reinhard Mumm und Herbert Goltzen

LeerZu Tagen kirchlicher Begegnung im Gedenken an den Heimgang von Wilhelm Löhe vor 100 Jahren hatte die Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Erneuerung (AKE) um den Fronleichnamstag eingeladen. Diese Arbeitsgemeinschaft besteht vornehmlich aus einer stattlichen Gruppe jüngerer Pfarrer in Bayern, die nicht nur in ihren Gemeinden ein vorbildliches gottesdienstliches Leben pflegen, sondern darüber hinaus darauf hinwirken, daß in der ganzen Landeskirche das sakramentale Leben erneuert wird. Darum halten sie Verbindung mit Kommunitäten, Bruder- und Schwesternschaften in Bayern, Skandinavien und den USA.

LeerZur Eröffnung kamen der Ansbacher Kreisdekan und der katholische Bischof von Eichstätt nach Neuendettelsau. Professor Wittenberg von der Augustana-Hochschule Neuendettelsau sprach über den vergessenen Kirchenvater Wilhelm Löhe. Aus der jüngeren Generation kamen W. Koeppen (München), K.-Chr. Felmy (Frankfurt) und E. Griese mit vorzüglichen Referaten zu den Themen Seelsorge, Amt und Gemeinde zu Wort. Weiter beteiligten sich Professor A. C. Piepkorn aus den USA, Bischof Vlad. Kiedron von der Schlesischen Kirche A.B. aus Teschen in der Tschechoslowakei, Kirchenrat W. Hummer (Selbitz), Pfarrer H. Leuchtenberger (früher Ost-Berlin), der norwegische Pfarrer Telle aus Bonn und weitere Mitglieder der amerikanischen Fellowship St. Augustine (FSA), dazu von der anglikanischen Frauengemeinschaft vom heiligen Parakleten, der deutschen Evangelisch-Ökumenischen Vereinigung, der schwedischen Fraternitas St. Siegfriedi und der norwegischen Gruppe Pro Ecclesia. Die Evangelische Michaelsbruderschaft und der Berneuchener Dienst waren durch zahlreiche Mitglieder vertreten.

LeerProfessor Martin Wittenberg zeichnete ein Bild des Wirkens von Wilhelm Löhe als eines vergessenen Vaters der Kirche. Ihm ging es um „Kirchlichkeit als die Mannesstufe des Christenstandes”. Dieser Kirchlichkeit eignet Biblizität: sie gründet in der Heilsgeschichte, die im Alten Bunde einsetzt; daher gehörte für Löhe auch das Judentum in den Heilsplan Gottes hinein. Die Apostolizität der Kirche führte ihn zum Schöpfen aus der gottesdienstlichen und der Lehrtradition der Kirche: die Sendungsgewißheit des Amtes und der Gedanke einer „apostolisch-episkopalen Brüderkirche” gehören zusammen. Die Katholizität läßt die lutherische Kirche eine das Segenserbe aller Heiligen bewahrende, vom Altar aus zur Diakonie gesendete Kirche sein. Und ihre Universalität umfaßt den ganzen Menschen, mit Leib und Seele, offen für alle Stände, zur Mission bereit, der Löhe viele Boten ausgebildet hat - und im sehnsüchtigen Warten auf die Erfüllung der Zeiten, als dem Herrn entgegeneilende Gemeinde.

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LeerHöhepunkt dieser Tage waren neben den Stundengebeten festliche Feiern der Eucharistie in St. Nikolai (Neuendettelsau) und in dem herrlichen romanischen Münster von Heidenheim am Hahnenkamm in Mittelfranken. An den Grabstätten früher Missionare aus dem 8. Jahrhundert, des heiligen Wunibald und der heiligen Walburga, dazu an dem alten Taufbrunnen neben der Basilika verweilten wir mit Gebeten und Liedern in festlicher Prozession von etwa 30 Pfarrern, mit Alba und Stola bekleidet und begleitet von der anwesenden Gemeinde. Den Abschluß bildeten ein Abendmahlsgottesdienst von Landesbischof Hermann Dietzfelbinger in der St. Matthäuskirche in München und eine Vesper mit einer biblisch klaren, theologisch durchdachten und zu Herzen gehenden Predigt des schwedischen Bischofs Bo Giertz.

LeerWorin liegt die Bedeutung solcher Tage? Sie schaffen die Möglichkeit, den Reichtum des Gottesdienstes, der uns durch die liturgische Bewegung neu erschlossen ist, zu entfalten. Gleichzeitig vereinigen sie in brüderlicher Gemeinschaft Gemeindeglieder, Pfarrer und Mitglieder verschiedener Kommunitäten und Gemeinschaften, die häufig nur in kleinen Kreisen oder vereinzelt leben. Sie zeigen den Teilnehmern und anderen, die darauf aufmerksam werden, daß es neben manchen Zeichen der Dürre und der Auflösung ein kräftiges Leben im Gottesdienst gibt. Berichte und Gespräche, die wir führten, bezeugen, daß hin und her im Land in diesem Sinn Gemeinden leben. Den Rückhalt bildet die liturgische Tradition der Christenheit; sie erlaubt neue Ansätze, von denen wir durch Beiträge aus der Ökumene einiges hörten. Es war gut, daß dabei nicht nur die westliche Christenheit vertreten war, sondern daß wir auch Stimmen aus Kirchen des östlichen Bereiches hörten, wo Gemeinden meist unter sehr viel bescheideneren Verhältnissen leben, aber mit starker Bereitschaft zu gemeinschaftlichem Leben und praktischem Dienst.

LeerBesonders bewegend war der Bericht von Bischof Kiedron aus der Tschechoslowakei. Die leid- und kampfreiche Geschichte dieser Kirche von der Habsburger Zeit an bis in die Gegenwart unter dem jetzigen Gesellschaftssystem in der CSSR wurde anschaulich, in der sich ein lebendiges, opferwilliges, bekenntnistreues lutherisches Kirchentum durchgehalten hat, das auch noch heute in Gottesdienst, Seelsorge und missionarischer Arbeit die volkskirchlichen Gemeinden zusammenhält.

Quatember 1972, S. 233-235

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-10
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