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Film „Andrej Rubljow”
von Jürgen Boeckh

LeerVor zweieinhalb Jahren fragte ich die sowjetische Dolmetscherin unserer kirchlichen Reisegruppe in Moskau, ob sie den Film „Andrej Rubljow” kenne. Sie wunderte sich anscheinend darüber, daß ich etwas von der Existenz dieses Filmes wußte. Im „Spiegel” hatte ich damals darüber gelesen. Es stellte sich dann heraus, daß die Dolmetscherin zu den wenigen Auserwählten gehört hatte, denen das Werk Andrej Tarkowskijs gezeigt wurde. Erst in diesem Jahre entdeckte ich in der Reihe „Kinemathek” (7. Jahrg. Nr. 41 - Juli 1969) das Heft „Andrej Rubljow, Filmtext und Dokumente”, 112 Seiten, DM 6.-.

LeerAls Leser von „Quatember” sind Sie schon öfter mit der „Alttestamentlichen Dreifaltigkeit” des russischen Mönches aus dem 15. Jahrhundert konfrontiert worden. Jeder, der sich theologisch und meditativ mit dieser berühmtesten russischen Ikone beschäftigt hat, sollte auch den Film - oder zumindest das im Druck vorliegende Drehbuch - zur Kenntnis nehmen. Hier wird russische Geschichte - dem Westeuropäer zumeist ein Buch mit sieben Siegeln - auch für uns lebendig. Wir spüren, daß der Mönch Andrej nicht im luftleeren Raum, nur abgeschieden von der Welt, in seiner Zelle gelebt hat. Sicher stellt die sowjetische Geschichtsschreibung den politischen Hintergrund des Rubljowschen Werkes heute einseitig heraus - in dem Film Tarkowskijs ist das nicht der Fall. Es ist ein russischer Film, frei von Parteiideologie.

LeerDie einst Herrschenden werden in ihrer Unmenschlichkeit angeprangert, aber eine solche Kritik können ja keineswegs Kommunisten für sich allein in Anspruch nehmen. Wahrscheinlich ist sogar gerade diese Seite des Filmes den Sowjet-Funktionären verdächtig gewesen.

LeerAuch Christus kommt vor - auf dem Weg nach Golgatha. Er trinkt aus einem Eisloch Wasser. Die Gottesmutter, Maria Magdalena und Josef begleiten ihn. Christus ißt Schnee. Auf dem Schnee liegt ein Kreuz. Eine Hand mit einem Stück Birkenrinde streckt sich aus, Hände schlagen die Birkenrinde am Kreuz fest. Es ist ein „russischer Christus”, der hier gekreuzigt wird, ein Bild für den Bauern, der „arbeitet und arbeitet, ruhig sein Kreuz trägt, nicht verzweifelt, sondern schweigt und leidet...” Aber daß dies nur die eine Seite ist, geht aus den folgenden Worten des Mönches Andrej hervor: „Jesus ist von Gott, das bedeutet, allmächtig, und wenn er am Kreuz starb, heißt das, daß es vorbestimmt war. Und die Kreuzigung und sein Tod sind eine Sache von Gottes Hand und dürfen keinen Haß bei denen, die ihn lieben, hervorrufen ...”

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LeerAndrej selbst erschlägt während des Kampfes mit den Tataren einen Russen mit der Axt, um ein schwachsinniges Mädchen zu schützen. Als Buße für diese - notwendige - Gewalttat nimmt er Schweigen auf sich und stellt das Malen ein, bis der Mönch Kirill mit Berufung auf den inzwischen verstorbenen Griechen Theophan sagt: „Male ... Es ist eine furchtbare Sünde, den göttlichen Funken zurückzuweisen.” Eine grausam-schöne, heidnisch und christlich heilige Welt wird uns in dem Film vor Augen geführt. Großartig ist gegen Ende die Darstellung des Glockengusses, erstaunlich der Schluß des Films: Man sieht, nach dem Glockengeläut, „die letzten Einstellungen in Farbe”: Über einem verglimmenden Lagerfeuer erscheinen zehn Rubljow-Ikonen ganz und im Detail.

LeerMichel Capdenac berichtet in einer der Beigaben des Buches vom Festival in Cannes 1969, wie nach der Aufführung „das frivole und verwöhnte Cannes in andächtigem Schweigen verharrte, um aus der Tiefe der Zeit, des Leidens und der Hoffnung die Stimme des russischen Volkes, den unvergleichlichen Belcanto von ‚Andrej Rubljow’ zu vernehmen.” Von der Moskauer Uraufführung hört man, daß 2000 Menschen sich in das Kino drängten und mehrere tausend vergeblich versuchten, eine Premierenkarte zu erhalten. Etliche Jahre Drehzeit und fast die gleiche Zeit der Auseinandersetzung mit der sowjetischen Zensur waren vorausgegangen.

LeerEs liegt auf der Hand, daß nicht nur die schließlich herausgeschnittenen Szenen (Verbrennung einer lebenden Kuh, Marterung eines Russen durch Tataren und Totpeitschung eines Hundes) Stein des Anstoßes waren. Man bedenke nur, daß Jesus (über die Christus-Szene wurde berichtet) nach offizieller sowjetischer Doktrin keine historische Persönlichkeit war, daß heute in Rußland die Glocken nicht läuten, und daß man selbst am Verkaufsstand der Tretschakow-Galerie in Moskau - im Unterschied zu vielen anderen Kunstpostkarten - keine Postkarten mit Ikonen erhält. Auch dies gehört zum Hintergrund des Filmes, der leider in den Dokumenten, die dem Drehbuch beigefügt sind, zu kurz kommt.

LeerNeben Auszügen aus sowjetischen, (west-) deutschen und anderen westlichen Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln finden wir zwei Abschnitte aus dem 1962 in Dresden erschienenen Buch über Andrej Rubljow von J. A. Lebedewa. Die Autorin weist darauf hin, daß man zwar schon im Jahre 1904 mit den Restaurierungen der Dreifaltigkeits-Ikone begonnen hatte, daß sie aber erst im Jahre 1919 endgültig gereinigt wurde, und daß man die Freilegung der Werke Rubljows somit den sowjetischen Restauratoren verdanke. Dies alles ist nicht zu bestreiten, aber es ist nur die eine Seite der Sache, die verständlicherweise in Dresden hervorgehoben wird.

LeerLeider erfahren die Betrachter des Films und die Leser des Drehbuches nichts davon, daß die berühmte Ikone von der Dreifaltigkeit im Zusammenhang mit der Schließung des Klosters des heiligen Sergius im heutigen Sargorsk aus ihrer kultischen Heimat entfernt und in die Moskauer Galerie gebracht wurde. Die Gläubigen, die heute die Troize-Sergius-Lawra aufsuchen, beten vor einer Kopie - das Original ist zum Kunstgegenstand erklärt worden. Vielleicht sollte man diesem Austausch gerade im Interesse des Glaubens nicht zuviel Gewicht beimessen. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, daß die Übersiedlung der Dreifaltigkeits-Ikone, ihre Restaurierung und „Veröffentlichung” auch einen Verlust bedeutet, ganz zu schweigen davon, daß der kunstwissenschaftliche Fortschritt mit Blut und Tränen erkauft wurde.

Quatember 1972, S. 252-254

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-10
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