Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1973
Autoren
Themen
Stichworte

Heiligsprechung oder Heiligung der Welt?
von Gisela Schmidt

LeerDas Berneuchener Buch war, als es 1926 erschien, als ein Aufruf zur Kirchenreform gedacht. Doch gleichzeitig ist es mehr als ein bloßer Aufruf. Es wird eine theologische Gesamtkonzeption umrissen, aus der alle kirchenreformerischen Überlegungen entspringen. Das leitet dazu an, in unserer an Kirchenreformgedanken überreichen Gegenwart nach einer ähnlich umfassenden Konzeption zu suchen.

LeerNun wird zwar zur Zeit unübersehbar viel über das Problem der Kirchenreform veröffentlicht, doch bleiben die meisten Überlegungen entweder im Pragmatischen stecken, oder sind in ihren theologischen Voraussetzungen und Verflechtungen nicht genügend reflektiert. Demgegenüber versucht die 1967 vom ökumenischen Rat der Kirchen herausgegebene Studie „Die Kirche für andere” in dem von der westeuropäischen Arbeitsgruppe gefertigten Teil doch so etwas wie einen Gesamtentwurf auf theologischer Grundlage zu bieten. Gleichzeitig ist die Studie repräsentativ für eine bestimmte Art des theologischen Denkens, die besonders in tonangebenden Kreisen der Ökumene an Boden gewonnen hat. Ein Vergleich der theologischen Grundlagen beider Arbeiten dürfte daher in der heutigen Kirchenreformdebatte klärend und hilfreich sein.

LeerDabei muß zunächst herausgestellt werden, daß bei aller Verschiedenheit beider Arbeiten die Problemstellungen, von denen sie ausgehen, einander sehr ähnlich sind. Offenbar waren die Probleme, die eine tiefgreifende Kirchenreform notwendig erscheinen ließen, zur Zeit der Entstehung des Berneuchener Buches den heutigen nicht unähnlich. Die Grundfrage, von der beide Arbeiten ausgehen, könnte man formulieren: Welche wesentliche Bedeutung hat die Kirche für die Welt? Diese Frage ist damals wie heute dadurch so aktuell geworden, daß offensichtlich immer mehr Menschen von der Kirche nichts Entscheidendes mehr erwarten. Dieser Tatbestand führte die Verfasser des Berneuchener Buches ebenso wie die der ökumenischen Studie zu einer Rückbesinnung auf den Auftrag der Kirche. Voraussetzung für beide Arbeiten ist es, daß die Kirche der Welt Hilfe zu leisten hat, und daß sie ihren Auftrag verfehlt, wenn sie dazu nicht in der Lage ist.

LeerDie Verfasser des Berneuchener Buches sehen ihre Zeit allerdings vorwiegend unter dem Aspekt „Not”, was angesichts der damaligen geschichtlichen Situation auch nicht verwunderlich ist. Sie sind aber darüber hinaus von dem Bewußtsein erfüllt, daß die Kirche die entscheidende Hilfe in dieser Not zu bieten hat. Die Verfasser der ökumenischen Studie dagegen scheinen mehr unter dem Eindruck zu stehen, daß die Menschen mit ihren Problemen ganz gut allein fertig werden, und daß die Kirche ihnen das bisher eher erschwert hat. Sie scheinen nicht so sehr davon überzeugt, daß die Kirche eine wirklich entscheidende Hilfe geben kann, hoffen aber, daß sie fähig wird, wenigstens eine bescheidene Hilfestellung zu leisten.

LeerGemeinsam ist beiden Arbeiten allerdings die Überzeugung, daß die Kirche ihrer Gegenwart im Ganzen an ihrem Auftrag scheitert. Beide fragen deshalb weiter: Was muß geschehen, damit die Kirche ihrem Auftrag wieder gerecht wird? Ferner sind beide der Überzeugung, daß die gegenwärtige Gestalt der Kirche und ihrer Arbeitsweise ein entscheidendes Hindernis für sie sei, ihrem Auftrag voll gerecht zu werden. Beide wollen die Kirche von ihrem Auftrag her formen. Freilich wird das, was die Kirche der Welt schuldig ist, in beiden Arbeiten unterschiedlich bezeichnet. Für das Berneuchener Buch ist es die Aufgabe der Kirche, „das Evangelium als die Antwort Gottes auf die letzte und entscheidende Frage des Menschen” vernehmbar zu machen und weiterzugeben und damit das „entscheidende, treffende und befreiende Wort” zu sagen. Nach der ökumenischen Studie aber ist es ihre Aufgabe, sich an der missio Dei zu beteiligen, indem sie der Welt den Schalom Gottes (hebr.: Friede, Heil) ansagt und seine Spuren in der Welt entdeckt. Dies könnte ein rein terminologischer Unterschied sein. Aber es verbirgt sich dahinter doch eine tiefgreifende Differenz.

Linie

LeerDie Christologie der ökumenischen Studie dient dazu, eine in christlichen Kreisen heute übliche eminente Hochschätzung der Welt theologisch zu begründen. Die Aussage, daß „in den Tod und die Auferstehung Jesu Christi ... die ganze Welt eingeschlossen” ist, macht das deutlich. Konkret ausgeführt bedeutet sie: „Jetzt ist die ganze Menschheit aus der Gefangenschaft herausgeführt und in den Bund Gottes gebracht worden. Durch die Auferstehung des Neuen Menschen, Christus Jesus, ist jeder Mensch zu einem Glied der neuen Menschheit geworden” (Aus den Vorarbeiten zur ökumenischen Studie, veröffentlicht in „Mission als Strukturprinzip. Ein Arbeitsbuch zur Frage missionarischer Gemeinden”, herausgegeben von H. J. Margull, 1968).

LeerHier muß betont werden, daß solche Aussagen als Verkündigungsaussagen sinnvoll und notwendig sind. In der Verkündigung sind sie von vornherein auf den angesprochenen Menschen bezogen und verlieren dadurch den pauschalen Charakter. In der Verkündigung enthalten sie auch das Gericht über den „alten Adam”. Werden sie aber aus der Verkündigung herausgenommen und zur Grundlage einer theologischen Theorie gemacht, dann werden sie falsch. Sie müssen dann so verstanden werden, als sei alles in bester Ordnung, Welt und Menschheit in jeder Beziehung extra periculum - außer Gefahr. Und so sind sie in der ökumenischen Studie wohl auch gemeint. Mit der Terminologie des Berneuchener Buches kann man sagen, daß die Christologie in den Dienst einer Heiligsprechung der Welt gestellt wird.

LeerDie Welt, die hier heiliggesprochen wird, ist in der ökumenischen Studie allerdings nicht die bestehende, wie sie sich der Vergangenheit verdankt. Aber es ist doch die Welt, wie sie ist und wie sie vor allem durch soziologische Analyse erkannt wird. Es ist die Welt, die durch den ständigen Prozeß von Differenzierung und Integration „Welt im Wandel” ist. Aus der Heiligsprechung der Welt ergibt sich die Hochschätzung der Geschichte. Wenn dieses Wort verwandt wird, ist allerdings in der Regel nicht an die Vergangenheit gedacht, sondern an die Wandlungsprozesse, die durch die Zukunft in Gang gesetzt werden. In diesen geschichtlichen Prozessen sieht man die missio Dei am Werk.

LeerWas durch diese Sicht der ökumenischen Studie verlorengeht, wird durch ein Zitat aus dem Berneuchener Buch unmittelbar deutlich: „Das Wort vom Kreuz ist das Wort des göttlichen Gerichtes über die Welt . . . Aber in der Auferstehung Jesu Christi hat Gott den Anbruch einer neuen Welt in die Geschichte hineingewirkt.” Demgegenüber behauptet die ökumenische Studie: „Im Leben, Sterben und Auferstehen Christi ist der Gott der Geschichte in die Geschichte eingetreten und hat ihr eine neue Richtung gegeben.” Hier ist das Weltgericht in der Weltgeschichte aufgegangen und damit genau das vollzogen, was F. Gogarten Säkularismus nennt („Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit”, Stuttgart 1953). Gott verliert seinen Charakter als bleibendes Gegenüber von Welt, Mensch und Geschichte. Er wird mittels der Christologie so einseitig in die Welt hineingezogen, daß sein extra mundum esse - Außerhalb-der-Welt-Sein - gegenüber dem intra mundum esse - In-der-Welt-Sein - verdunkelt wird.

LeerIm vorigen Jahrhundert gab es bereits Theologen, bei denen es schließlich nicht mehr klar war, ob von einer Gegenwart Gottes in dem Menschen Jesus überhaupt noch gesprochen werden konnte. „Er entäußerte (griechisch: ekenosen) sich selbst und nahm Knechtsgestalt an” heißt es in einem alten Christus-Hymnus, den der Apostel Paulus überliefert hat (Phil. 2,5). Die einseitigen „Kenotiker” sehen hier nicht nur einen Verzicht Jesu auf seine göttliche Seinsweise in der geschichtlichen Existenz - bei ihnen verflüchtigt sich die Gottheit Jesu. Von diesem Hintergrund her ist es zu verstehen, daß C. D. Schulze jene Christologie, die auch aus der ökumenischen Studie spricht, „radikal kenotisch” genannt hat (Monatsschrift für Pastoraltheologie, 1969).

Linie

LeerDer Ausdruck weist darauf hin, daß einseitig von der Inkarnation her gedacht wird. Das bedeutet in unserem Zusammenhang auch: Kreuz und Auferstehung kommen zwar in der ökumenischen Studie vokabelmäßig durchaus vor, sie gehören aber nicht in gleicher Weise wie die Inkarnation zum Prinzip ihrer Theologie. Die theologica crucis - Theologie des Kreuzes - spielt gegenüber der theologia incarnationis - Theologie der Fleischwerdung - keine wesentliche Rolle. Die Radikalität und Einseitigkeit des Inkarnationsverständnisses, das die Gegenüber-Struktur des Gott-Welt-Verhältnisses vernachlässigt, führt dann dazu, daß „Gott” zur bloßen Chiffre wird, die dazu dient, dem Loblied auf die „Welt im Wandel” religiösen Glanz zu verleihen.

LeerEs wäre jedoch zu einfach, wenn man sagen würde, daß die Transzendenz Gottes in der ökumenischen Studie nicht vorkommt. Im Gegenteil: Sie wird auf der anderen Seite so stark unterstrichen, daß der Deus extra mundum - Gott außerhalb der Welt - von der Welt isoliert wird und jede Beziehung zu ihr verliert. Die Welt wird, um in der Sprache des Berneuchener Buches zu reden, völlig profanisiert, und diese Profanisierung wird als das Werk Christi angesehen: „Wo Welt Welt, Sache Sache, profan profan gelassen wird und damit der freien Verfügung des Menschen offen bleibt, dort ist Christus am Werk.” Die Welt, von der hier gesprochen wird, hat mit Gott nichts mehr zu tun, sie ist gegen Gott verschlossen und kann deshalb im Grunde trotz aller gegenteiligen Versicherungen nicht mehr als Schöpfung verstanden werden. Mit vollem Recht stellt Hollenweger fest: „So weltlich von der Welt reden kann man . . . nur, wenn Gott radikal transzendent ist.” Dieser Gott ist in der Tat so radikal transzendent, daß er jede Beziehung zur Welt verloren hat. Er ist ausgesperrt und kommt als Gegenüber nicht mehr in Frage. Zurückbleibt die in sich verschlossene aber heiliggesprochene Endlichkeit.

LeerSo dient die Christologie der ökumenischen Studie einerseits dazu, Gott völlig in die Welt hineinzuziehen, andererseits dazu, ihn auszuschalten. Auf dem Konzil zu Chalcedon wurde im Blick auf das Verhältnis der beiden „Naturen” in Jesus Christus, der göttlichen und der menschlichen, gesagt, sie seien „unvermischt und ungewandelt, ungetrennt und unzerteilt”. In Abwandlung dieser Formel könnte man sagen, daß Gott und die Welt hier einerseits vermischt, andererseits getrennt werden. Beides geschieht im Interesse der Hochschätzung der Welt und der Autonomie des Menschen in ihr. Gott soll nicht Gegenüber sein.

LeerWenn diese Analyse stimmt, dann ist es nicht weiter erstaunlich, daß vom Gericht Gottes und der Sünde des Menschen in der ökumenischen Studie kaum die Rede ist. Denn einerseits setzt das Gericht eben das Gegenübersein Gottes voraus, das man theologisch abgeschafft hat, andererseits setzt es Sünde voraus. Sünde ist aber nach neutestamentlichem Verständnis das Verschließen der Welt gegenüber Gott durch den Menschen und die Heiligsprechung der Welt und des Menschen durch den Menschen. So hat es Gogarten in seinem berühmten Buch über die Säkularisierung dargetan. Eben das aber geschieht in der ökumenischen Studie. Unversehens ist man damit selbst dem Säkularismus verfallen, den man so lautstark verwirft. Man hat auch die Christologie in den Dienst des Säkularismus gestellt und sie damit radikal umfunktioniert.

Linie

LeerMan wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß dieser Vorgang auf dem Hintergrund der „Gott ist tot” - „Der Mensch ist autonom” - Erfahrung zu verstehen ist. Mag sein, daß diejenigen Recht haben, die meinen, daß diese Erfahrung ein Gesetz sei, dem der moderne Mensch nun einmal unterworfen sei. Doch gerade dann ist es doch die Aufgabe, von diesem Gesetz zu befreien. Ihr aber wird eine Kirche, die sich dem Gesetz der Zeit beugt, nicht gerecht. Eine Kirche, die sich so in die Abhängigkeit begibt, „erlahmt in ihrer Sendung zu befreien”, wie es im Berneuchener Buch heißt.

LeerAuch dort wird entscheidender Wert auf den Weltbezug des Evangeliums gelegt. Es ist „nicht das Wort an eine einzelne Seele, sondern das Wort, das Gott durch Tod und Auferstehung Jesu Christi über die Welt spricht. Es gibt kein Gebiet des Lebens, für das es keine Geltung hätte; es gibt keinen Ausschnitt aus dem Geschehen, der seinem Anspruch entnommen wäre”. Doch zeigt gerade dieses Zitat, daß im Berneuchener Buch die Gegenüber-Struktur des Gott-Welt-Verhältnisses erhalten bleibt, ja daß sie konstitutives Moment im Denken der Verfasser ist.

LeerDabei wird das Kreuz mehr unter dem Gesichtspunkt des göttlichen Gerichtswortes, die Auferstehung mehr unter dem Gesichtspunkt des göttlichen Heilswortes über die Welt verstanden. Doch gehören beide untrennbar zusammen. Das zeigt sich daran, daß von der Auferstehung her das in Demut angenommene Gerichtswort sich zum befreienden Heilswort verwandelt: „Alles, was in der Welt ist, steht unter dem Kreuz; alle Hoffnung ist an die Beugung unter dieses Gericht gebunden. Nur so werden wir frei von jeder endlichen Größe, die absolute Bedeutung für sich in Anspruch nimmt.” Diese Worte können als Kritik an der ökumenischen Studie verwandt werden. Dort wird in der Tat die Beugung unter das Gericht verweigert, und deshalb findet eine Befreiung in Wahrheit auch nicht statt.

LeerHat so im Berneuchener Buch die Christologie einerseits die Funktion, die Gegenüber-Struktur des Gott-Welt-Verhältnisses festzuhalten, so dient sie andererseits dazu, Gott und Welt zusammenzubinden. Gott und Welt werden zwar unterschieden, aber nicht getrennt. Der Verbindung beider dient der im Berneuchener Buch so zentrale Gleichnisbegriff. Der Gleichnisbegriff ist christologisch begründet. Er ist der Berneuchener Beitrag zum Problem einer christlichen Interpretation der Wirklichkeit. „Wenn das Wort der Wahrheit gehört wird, dann wird die ganze Fülle der Welt zu einem Zeugnis der Wahrheit. Weil an dem einen Punkt das Wort Fleisch geworden ist, kann nun dem Glauben die ganze Weite der irdischen Wirklichkeit zu einem Zeugnis der Wahrheit werden.”

LeerAnders ausgedrückt: Weil wir in der Person und Geschichte Jesu Christi, der zu dieser Welt gehört, Gott begegnen, kann uns durch das Zeugnis des uns gegebenen Heiligen Geistes nun auch in anderen Personen, in der Geschichte, durch alles, was zur Welt gehört, Gott treffen. So findet alles, was ist und geschieht, die ganze Welt, im Sein und Geschehen Jesu Christi den Sinn: die Welt ist dazu bestimmt, die Wahrheit Gottes zu bezeugen, sein Gericht und sein Heil.

Linie

LeerDa die Welt Gott aber nur dem Glauben zu bezeugen vermag, ist es der Glaube, in dem sie zu ihrem Sinn kommt, für den Natur und Geschichte sinnvoll werden. Gerade darin besteht eben die besondere Erkenntniskraft des Glaubens. Begründet aber ist der Sinn von Welt und Geschichte, der im Glauben erkannt wird - dies kann gar nicht genug betont werden - im Christusgeschehen. „Mit dem Satz, daß alle Natur Gleichnis des Ewigen und alles Geschehen ein Spiegelbild des Göttlichen und alle Geschichte Offenbarung sei, ist keine wirkliche Erkenntnis gewonnen . . . Nicht durch einen ihr an sich zugehörigen Offenbarungscharakter, sondern von Kreuz und Auferstehung aus wird alle Geschichte von Gott auf ein Ziel hin gerichtet und damit zu einer Geschichte der Verheißung und des Heils.”

LeerSo erhält im Berneuchener Buch die Welt für den Glauben eine wesentliche Beziehung zum Heiligen, ohne doch selbst heiliggesprochen zu werden. Die Haltung des Glaubenden zur Welt gewinnt religiöse Bedeutung und wird dem Bereich der Adiaphora - der angeblich wertneutralen Dinge - entnommen. Findet doch die Welt im Glauben des Christen ihre Bestimmung. Gleichzeitig ist jedoch dafür gesorgt, daß sie nicht zur selbständigen Offenbarungsquelle werden kann.

LeerDie von dem Christusereignis her qualifizierte Welt ist für das Berneuchener Buch durch dieses Ereignis und auf keinen Fall abgesehen von diesem Ereignis eine Einheit. Sie ist es einmal durch ihre in Kreuz und Auferstehung realisierte Stellung coram Deo - vor dem Angesicht Gottes. In dieser Stellung macht das göttliche Gericht über die Welt deutlich, daß kein Stück der Welt aus sich selbst heraus Offenbarungsmächtigkeit beanspruchen darf oder das Göttliche sakral verwirklichen könnte. Aber man will die Welt auch nicht in dem Sinne profanisieren, daß man sie verschließt. Deshalb muß im Berneuchener Buch andererseits gesagt werden: „Weil es keine sakrale Sphäre gibt, gibt es auch keine profane Sphäre als ein Teilgebiet des Lebens. Es gibt kein Gebiet des Lebens, das nicht zum durchscheinenden Gleichnis, zur Durchbruchsstelle der göttlichen Offenbarung werden könnte.” So dient auch der christologisch verwurzelte Gleichnisbegriff der Einheit der Welt coram Deo. Hier bietet das Berneuchener Buch eine echte Überwindung der Scheidung der Welt in zwei Bereiche. Wenn demgegenüber in der ökumenischen Studie die Profanität der Welt so sehr betont wird, so wird die Scheidung im Grunde gerade nicht überwunden, sondern vorausgesetzt.

LeerFür die ökumenische Studie ist im Gegensatz zum Berneuchener Buch die durch das Christusereignis bestimmte Welt gerade keine Einheit, sondern differenziert sich. Dies geschieht in doppelter Hinsicht. Zunächst durch die Säkularisierung. Denn die „Säkularisierung als Frucht des Evangeliums” wird in der ökumenischen Studie mit dem sozialen Prozeß der Differenzierung gleichgesetzt: dem Auseinanderfallen der Welt in einzelne Lebensbereiche. Zum anderen wirkt das Christusereignis differenzierend durch die konkrete Anwesenheit Christi in den Situationen der verschiedenen Welten. Natürlich ist auch in den Integrationsprozessen Christus am Werk. Das ändert jedoch nichts daran, daß in der ökumenischen Studie die Differenzierung im Mittelpunkt steht. Sie ist nach Meinung der Studie das primäre Kennzeichen der Moderne und eine notwendige Folge des Christusereignisses.

Quatember 1973, S. 3-9

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-01
Haftungsausschluss
TOP