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Neuer Hausvater in Kirchberg
von Jürgen Boeckh

Leer„In der geistlichen Landschaft des evangelischen Württemberg ein gewisses Unicum” - so nannte Oberkirchenrat Roos vom Diakonischen Werk der Württembergischen Landeskirche in der Festversammlung am 12. November 1972 das Berneuchener Haus Kloster Kirchberg. Anlaß zu dieser Versammlung war der zweite Wechsel im Hausvater-Amt.

LeerAls der württembergische Konvent im Jahre 1958 anfing, das halbverfallene Kloster zu einer Stätte der Einkehr und der Begegnung umzugestalten, leistete Pfarrer Planck, einer der Stifter der Evangelischen Michaelsbruderschaft, die Pionierarbeit. Einen „diakonischen Asketen von Natur” nannte ihn Pfarrer Dr. v. Hase, der theologische Referent im Diakonischen Gesamtwerk in Stuttgart. Als zweiter Hausvater folgte Dekan Paul Rohleder, Schwabe wie Oskar Planck. 11½ Jahre lang hat er die Leitung des Hauses innegehabt. In dieser Zeit ist Kirchberg innerlich und äußerlich gewachsen. Rohleder erinnerte in seinem Rückblick am Ende der Festversammlung an die ersten Bibelwochen, die er schon vor seiner Hausvater-Zeit in Kirchberg gehalten hatte. Einmal waren sogar die Teilnehmer einer solchen Woche beim Heu-Einbringen in der Domäne eingesprungen, die inzwischen aus dem Klosterbezirk ausgesiedelt wurde. Die 50.- DM „Lohn” waren damals ein wichtiger Baustein für das Haus. Heute beträgt der Etat des Vereins Berneuchener Haus, der Kirchberg trägt, über DM 100 000.-.

LeerIm Zusammenhang mit biblischer Besinnung hat Paul Rohleder besonders Tage und Wochen des Fastens und der Meditation gepflegt - längst bevor die „Meditationswelle” unser Land erreichte. Zu solchen Tagen und Wochen wurden Männer und Frauen, die verschiedene „Wege” vertraten, in das Haus geholt. Im Blick auf Kritik, die in den letzten Jahren laut wurde, betonte Rohleder: „Wir stehen bei Christus und sind überzeugt, daß er den Buddha abholen kann in Deutschland - nicht umgekehrt.” Die Übergabe des Hausvater-Amtes fand im Gottesdienst statt. Die Nonnenempore der alten Kirche, die dem Haus als Kapelle dient, reichte nicht aus, um die Teilnehmer zu fassen. So wurde der Gang, der zur Kapelle führt, hinzugenommen.

LeerDie Predigt in der Evangelischen Messe hielt Kirchenrat Dr. Reinhard Mumm, der ökumenische Referent des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er verband die Aussagen des für Württemberg an diesem Sonntag vorgeschlagenen Predigttextes (2. Petr. 3,3-14) mit dem, was in diesem Hause an diesem Tage zu sagen war. Es war eine gute Idee, den neuen Hausvater im Gottesdienst nicht noch eine weitere Ansprache halten zu lassen: Vom Lesepult aus gab er einen knappen Abriß seines Lebens.

LeerHans Nickles wurde im Jahre 1923 in Berghausen bei Karlsruhe geboren. In seiner Jugend wurde er vom Leben in der heimatlichen Gemeinde und im CVJM entscheidend geprägt. Als Soldat zweimal - im Osten und im Westen - schwer verwundet, geriet er in engliche Kriegsgefangenschaft und konnte dort das Studium der Theologie beginnen. Nach der Ordination im Jahre 1951 war er zunächst sieben Jahre Pfarrer im Dekanat Breiten, dann elf Jahre Standortpfarrer in Sigmaringen. Die Evangelische Michaelsbruderschaft hatte Nickles bereits in der Gefangenschaft kennengelernt. Im Jahre 1951 wurde er in den Konvent aufgenommen. Seine erste Frau liegt auf dem Nonnenfriedhof in Kirchberg begraben. Seine jetzige Frau war früher in der Zentrale des Diakonischen Werkes tätig. Wie wir von Dr. von Hase hörten, ist ihr nun auch ein besonderer Wunsch damit erfüllt worden, daß sie als Frau des Hausvaters praktische diakonische Auf gaben mit zu erfüllen hat.

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LeerIn der Feier der Messe wurde der neue Hausvater von dem Vikar der Bruderschaft, Pastor Wilhelm Schmidt, unter Assistenz von Frau Dr. Jochmus als Vertreterin des Berneuchener Dienstes und von Dekan Rohleder als scheidendem Hausvater unter Handauflegung und Gebet in sein neues Amt eingeführt. Im Unterschied zu seinen Vorgängern ist Hans Nickles seiner Herkunft nach kein Schwabe und kein Pfarrer am Ende seiner Amtszeit oder im Ruhestand. Mit der Landeskirche konnte eine zufriedenstellende Übereinkunft über seine Versorgung getroffen werden, die nun von verschiedenen Seiten getragen wird.

LeerEs war erstaunlich, daß die Festversammlung nach dem Gottesdienst mit den zahlreichen Grüßen und Ansprachen nicht ermüdend wirkte. Eine Theologin meinte beim Mittagessen, sie hätte es bis dahin noch nicht erlebt, daß die Leute der Kirche sich bei einer solchen Gelegenheit kurz fassen könnten und die Vertreter des Staates auch in „kirchlichen Angelegenheiten” ein angemessenes Wort zu sagen verstünden, wie es hier geschah. Dr. Merkelbach von der staatlichen Denkmalpflege stellte fest: „Wir befinden uns hier in einem Baudenkmal.” Mit einem Blick zur Decke des Saales, wo man die barocken Stukkaturen mit dem „Auge Gottes” und der Taube des Heiligen Geistes sehen kann, erinnerte er an manche - auch schwierige - Verhandlungen in den letzten Jahren. Bei dem Stichwort „erhalten und erneuern” stellte Oberstudienrat Pfarrer Winter, der (zugleich für den erkrankten Vorsitzenden Pfarrer Bock) für den Verein „Berneuchener Haus” sprach, fest, daß dies nicht nur für Kirchberg als Baudenkmal, sondern ebenso für das Haus als geistliches Zentrum zu gelten habe: erhalten und erneuern.

LeerOberregierungsrat Fronmeyer dankte im Namen des Landkreises Horb dem Verein Berneuchener Haus, daß er „dieses Kleinod geschaffen” habe. Wir erfuhren, daß der Kreis Horb am 31. Dezember 1972 aufgelöst wird und daß Kirchberg dann zu Freiburg geschlagen werden soll. Als Teil von Vorderösterreich hat das Kloster Kirchberg übrigens bis in die Napoleonische Zeit mit Freiburg zu Wien gehört. Prälat Dr. Weitmann von der Diözese Rottenburg konnte das in neuer Form wiedererstandene Kloster als eine Stätte bezeichnen, „in der auch wir uns ganz daheim fühlen”. Und er fuhr fort: „Wenn wir einem Herrn dienen, dann muß aus Glauben und Gebet die Einheit der Kirche erwachsen.” Daß diese Einheit immer „von unten her” verwirklicht werden muß, wurde aus den Worten der Hausmutter, Frau Rieber, deutlich, die für die Hausgemeinde sprach: „Wir haben hier miteinander zu leben. Wir haben die guten und weniger guten Tage miteinander zu bestehen.” Frau Dr. Jochmus vom Beirat des Berneuchener Dienstes sprach die Hoffnung aus, daß in der „Ära Nickles” mehr als bisher der Weg zu jungen Menschen gefunden werde. Sie verschwieg nicht, daß unser Ziel schließlich eine „Doppelleitung” des Hauses sein müsse.

LeerEines Mannes wurde - wenigstens in Worten - nicht gedacht: des Pfarrers Konrad Möckel, der nach seiner Umsiedlung aus Siebenbürgen eine Zeitlang mit Paul Rohleder in der Leitung des Hauses tätig gewesen ist und am Orte seines Wirkens abberufen wurde. Am alten Kreuzgang ist auch sein Name zu lesen. Während manche Bewohner in der Umgebung wohl noch immer von der „Sekte” auf dem Kirchberg reden, hörten wir aus berufenem Munde das - auch zur Heiterkeit anregende - Wort: „Unsere Landeskirche hat hier eines ihrer Herzen.” Dieses „Herz” besteht aus lebendigen Menschen! Es ist der Hausgemeinde mit ihrem Hausvater zu wünschen, daß sie in Brüderlichkeit ihr gemeinsames Leben führen, um dadurch Freiheit und Kraft für den Dienst an allen, die in Kirchberg einkehren, zu gewinnen.

Quatember 1973, S. 45-47

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-01
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