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Keine geschlossenen Türen in Rom
von Walter Lotz

LeerWenn auch die zugemauerte Porta Santa nur viermal im Jahrhundert vom Papst geöffnet und nach dem „Heiligen Jahr” wieder verschlossen wird, so stehen doch unablässig andere Türen offen, am Petersdom und anderswo. Fast möchte man meinen, daß die Zeremonie des Öffnens und Verschließens ein Hinweis auf den Satz sei, der jedenfalls unabhängig davon Gültigkeit hat: In Rom gibt es niemals ein Nein für immer! Ein kundiger Theologe, der an zentraler Stelle ein wichtiges Ressort leitet, hat uns diesen Satz am Beispiel Kardinal Beas veranschaulicht: Bea habe in seinem zielstrebigen Bemühen um ökumenische Öffnung und Weite manche Niederlage einstecken müssen. Aber jedesmal, wenn er nach einer zugeschlagenen Tür enttäuscht nach Hause ging, habe er schon auf dem Heimweg wieder darüber nachgedacht, durch welche andere Tür er demnächst versuchen sollte, wieder hineinzukommen. Niemals habe er mit dem Kopf durch die Wand gewollt, aber doch auch niemals aufgegeben, neue Türen zu suchen und zu finden.

LeerWir waren eine gemischtkonfessionelle Studiengruppe, die unter Leitung eines Prälaten Rom besuchte und durch die weitverzweigten Beziehungen des ehemaligen Germanikers noch manche Extratür aufgemacht bekamen. Davon soll hier, sehr unvollständig, in andeutender Auswahl einiges berichtet werden.

LeerEin Sonntag in und bei St. Peter im Vatikan gehört dazu. Man taucht in der Masse unter und ist doch nicht allein. Es bleibt die Möglichkeit zur Gemeinschaft, weil dieser Platz und dieser Raum ihre Riesenhaftigkeit in Formen verstecken, deren Größe gekonnt gestaltet ist und die ein Vielerlei von Menschenmengen und Erlebnisformen in sich verkraften. Ein Fahrstuhl bringt Schaulustige auf die Dachterrasse der Peterskirche, von wo aus sich eine überraschende Überschaubarkeit aufdrängt, die Größe mit Harmonie vereint. Vorbei an der vatikanischen Briefmarkenstelle, an Cafeteria und Devotionaliengeschäft führt der Weg zum Inneren der Kuppel.

LeerBrausende Orgel kündet den Introitus an. Ein Pontifikalamt beginnt mit dem Einzug von etwa 70 Klerikern, je zwei und zwei, wie der Herr sie im Evangelium sendet. Tief drunten, zwischen Papstaltar und Apsis, führen Musik und Chorgesang, Weihrauchwolken und gekonnte Choreographie der Ministrierenden in den Wortgottesdienst ein, der nach drei Lesungen zum ersten Höhepunkt der Predigt führt. Man steigt wieder hinab, um sie besser hören zu können. Die Eucharistie vereint in dem vorderen Raum eine große Gemeinde, ohne daß die gleichzeitig an einer ganzen Reihe von Seitenaltären mit verschiedenem Zeitprogramm und durchaus nicht leise gefeierten weiteren Messen sich gegenseitig oder den Hauptgottesdienst stören. Ja selbst die Tausende, die weniger beteiligt als Touristen umhergehen, werden von dem gewaltigen Raum verschluckt als wären sie ohne Bedeutung. Rührende Kleinszenen, wie die Liebkosung des bronzenen Petrusfußes und andere einfältige Frömmigkeitsformen gehören auch dazu, und es erscheint nicht ausgemacht, ob sie dem Herzen der Dinge ferner sind als manche kritisch-intellektuelle Reflexion.

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LeerInzwischen beginnt der Petersplatz sich zu füllen mit einem Meer von Gestalten und Gesichtern aus allen Rassen und Nationen, Treffpunkt der ganzen Welt. Die Erwartung wächst. Um 12 Uhr braust Beifall auf. Die schmale weiße Gestalt des Papstes ist rechts oben in das offene Fenster getreten und steht einsam und fern über der Menge. Seine Stimme kommt durch die Lautsprecher, aber dann ganz nahe. Er grüßt die Menge und spielt auf die Colonnaden an, die wie weitausgebreitete Arme zu einem universalen Empfang einladen. An diesem Missionssonntag erinnert er anschaulich an den mannigfaltigen Einsatz der Missionare in aller Welt und ruft zu Fürbitte und Opfer auf. Seit dem Konzil sei es neu in den Blick gerückt worden, daß die ganze Kirche an der missionarischen Verantwortung teilhabe und jeder einzelne sich sagen dürfe: Auch ich bin ein Missionar. Das sei in dieser geschichtlichen Stunde von besonderer Wichtigkeit.

LeerIn der Generalaudienz am darauffolgenden Mittwoch klingt das Thema noch einmal an. Nachdem man Paul VI. in seiner unermüdlichen pastoralen Tätigkeit beobachten konnte, während er den anwesenden Gliedern der höheren Hierarchie in freier Weise besondere Ermutigungen und Anregungen für ihren Dienst in Ost und West und Süd und Nord mitgab, jeden auf seine besondere Lage ansprechend, wandte er sich an das große Auditorium mit der Frage, was die Kirche heute am nötigsten brauche. In dieser komplizierten und gefährdeten Welt die Botschaft vom Reiche Gottes recht ausrichten zu können, dazu sei vor allem ein vertiefter und intensivierter Glaube nötig, im Sinn des Vertrauens auf das Wort und die Hilfe des Herrn, der gesagt hat: „Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.” (Luk. 10,3) Und: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!” (Joh. 16,33) Es seien keine neuen Dogmen nötig, wohl aber eine vertiefte Kontemplation der Wahrheit. Die Kirche brauche heute eine Intensivierung ihres geistlichen Lebens, ihrer Spiritualität in allen Bereichen. Dabei dürften wir uns gründen auf die vorausgehende und alles tragende Liebe Gottes. Die Kirche sei Sakrament, das heißt Zeichen und Instrument der Liebe, die Gott selber ist! (1. Joh. 4,16)

LeerSolche Ermunterung im Sinn des Evangeliums hat sicher auch mancher Evangelische gern mit nach Hause genommen, dem der Papst bei der folgenden Vorstellung der anwesenden Gruppen zuwinkte. Allgemeine Eindrücke dieser Art mochten dazu dienen, deutlicher zu erkennen, welche pastorale Sorge den heutigen Papst im Blick auf die sehr verschiedenartige Lage und Gefährdung der Weltkirche bewegt und wie sehr er es nötig hat, daß wir aufrichtig für ihn beten. Noch wichtiger aber waren die Eindrücke, die bei verschiedenen Privataudienzen zu gewinnen waren, u. a. bei den leitenden Kardinälen der Missionskongregation, der Glaubenskongregation und des Einheitssekretariats. Es kann hier kein Protokollauszug über die eingehenden, in großer Offenheit und zum Teil in väterlicher Herzlichkeit geführten Gespräche gegeben werden. Aber einige Gesamteindrücke sollen doch festgehalten werden:

LeerDie seit dem letzten Konzil auf breitester Basis in Gang gekommene ökumenische Öffnung soll nicht wieder rückgängig gemacht werden. Das wäre auch gar nicht möglich, nachdem auf so vielen Ebenen inzwischen die brüderliche Kooperation schon selbstverständlich geworden ist. Wenn hier und dort Auswüchse und übertriebene Experimente beschnitten würden, so solle das keine Entmutigung für die engagierten Ökumeniker bedeuten. Es komme sehr auf eine Abstimmung über das Tempo der Entwicklung an. Manche Dinge könnten an der Basis im Einvernehmen mit dem jeweiligen Bischof schon gewagt werden, für die im allgemeinen die Zeit noch nicht gekommen sei, da man an der Spitze auf die Bereiche Rücksicht nehmen müsse, die noch nicht soweit seien. In anderen Dingen könne man an der Spitze weitergehen, aber das Volk sei noch nicht in der Lage, ein größeres Wagnis zu verkraften.

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LeerPatriarch Athenagoras und Papst Paul hätten wohl eine Konzelebration ins Auge fassen können, aber ihre Kirchen seien noch nicht soweit gewesen. In der Vergangenheit seien spirituell engagierte Gruppen oft die Pioniere einer Entwicklung gewesen, deren Durchbruch eines Tages ihre kühnsten Erwartungen übertraf. Das sei auch für die Zukunft nicht anders zu erwarten. Wichtig sei, daß nicht eigenwillige Demonstrationen oder leichtfertiges Überspielen der Realitäten die ökumenische Bewegung weiterbringen könne, sondern volle Wahrhaftigkeit im gegenseitigen Respekt. Allerdings müsse auch gesagt werden, daß es den Theologen gut täte, wenn sie mehr mit dem frommen Volk sprächen. In Liebe und Hingabe gelebte Frömmigkeit sei wichtiger als ein perfektioniertes Gedankensystem. Durch bloßes Festhalten an Sätzen, mit denen der Glaube in der Vergangenheit ausgedrückt wurde, kann die lebendige Tradition eines liebenden Glaubens nicht in die heutige Welt vermittelt werden. Wer heute das gleiche sagen will, muß es oft ganz anders zu sagen versuchen. Dabei ist es gut, wenn die Theologie auch nach der gelebten Liturgie fragt, denn es gilt: lex orandi - lex credendi, das heißt in unserm gemeinsamen Beten findet unser gemeinsamer Glaube seinen Ausdruck.

Leern dieser Hinsicht sind die Richtlinien für die Weiterarbeit an der Formulierung neuer eucharistischer Hochgebete von großer Wichtigkeit. Es kann sich daher überaus positiv auswirken, daß neuerdings im Einheitssekretariat regelmäßig die Projekte der verschiedenen Kongregationen im großen Kreis durchberaten werden, um die durchgehende ökumenische Perspektive zur Geltung zu bringen. Mancher würde noch ganz andere Erlebnisse dieser Studienwoche herausstellen wollen, so etwa die unvergeßlichen Führungen durch den päpstlichen Protonotar Dr. J. B. von Tòth und manche fröhliche Tischgemeinschaft, aber auch das, was uns in der Tiefe einer Katakombe brüderlich verband. Es wird jedoch niemand sein, der nicht mit kräftigen Ermutigungen von Rom in unseren manchmal schwierigen ökumenischen Alltag zurückgekehrt wäre. Es gibt keine verschlossenen Türen, aber es geht auch nicht mit dem Kopf durch die Wand. Gläubig-fromme Erfahrung ist nötiger als ein kristallklares Diskussionsergebnis.

LeerZu den vatikanischen Museen, in denen gerade eine erlesene Bibelausstellung zu sehen war, führte der Weg um ein gutes Stück des Vatikanstaates herum entlang der mächtigen, in steiler Schräge aufsteigenden vatikanischen Mauer. Diese Mauer wirkt in ihrer abweisenden Unübersteigbarkeit wie ein Sinnbild der dogmatischen Definitionen, die von obenherab behaupten und verdammen. Aber gottlob gibt es andere Wege ins Innere, am ehesten und kürzesten wohl durch den Petersdom selbst. Wer da die Türen kennt und sich nicht an falschen Türen entmutigen läßt, kann Einlaß finden. Das könnte ein Hinweis darauf sein, daß die praxis pietatis - die praktizierte Frömmigkeit - mehr Verheißung hat als mancher andere Versuch. Die Gemeinschaft im Gottesdienst wird theologische und kirchenregimentliche Lösungen ermöglichen, wenn sie immer treuer und intensiver gesucht und geübt wird. Der theologischen Reflexion und der Neubildung von amtlichen Strukturen und Ordnungen gehen Erfahrung und Frucht der Praxis im Allgemeinen voraus.

Quatember 1973, S. 98-101

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-11
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