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Odo Casels Wende zum Mysterium
von Theophora Schneider OSB

LeerIn der Osternacht vor 25 Jahren - dem bürgerlichen Datum nach in der Nacht vom 27. zum 28. März - war in unserer Abteikirche vom Heiligen Kreuz zu Herstelle der Ruf „Lumen Christi” zum dritten Mal verklungen. Angespannt warteten wir auf den Beginn des Exsultet, des österlichen Lichtgesanges. Da legte Christus seine Hand auf den „Mystagogen des Paschamysteriums für die abendländische Kirche”, wie der Franziskanermönch M. C. Matura Odo Casel nannte, um ihn in der Frühe des Morgens mit sich hinüberzuführen in das Leben beim Vater. Zu Michaelis 1948 schrieb Bischof Wilhelm Stählin in den „Evangelischen Jahresbriefen”, aus denen diese Zeitschrift erwuchs, ein Erinnerungswort für den Heimgeholten.

LeerMein heutiges Gedenkwort, 25 Jahre danach, wird kaum noch als etwas Ungewöhnliches empfunden werden - wie das Wort des Altbischofs zu jener Zeit. Freilich konnte es auch schon damals, wie Stählin sagte, „nicht ungewöhnlicher sein als die Begegnungen, die wir mit dem Lebenden haben durften. Es sind mehrere Glieder der Michaelsbruderschaft, die den stillen und seit Jahren schwer leidenden Pater Odo zwischen den vielen Büchern seiner Gelehrtenstube aufsuchen durften, und diese Stunden waren jedesmal ein wahrhaftes Geschenk, weil in der gemeinsamen Liebe zu dem Mysterium Christi und in der jedem Pathos und jeder Rechthaberei abholden menschlichen Offenheit seiner Art zu sprechen alles Trennende aufgehoben war in der Gemeinschaft des Leibes Christi.”

LeerOdo Casel hat nie das ökumenische Gespräch gesucht. Er war ein Mensch der Stille, nicht der Öffentlichkeit. Doch die getrennten Brüder, angeregt durch seine Schriften, kamen zu ihm von überall her, aus der evangelisch-lutherischen, der reformierten und der orthodoxen Kirche, und alle waren überrascht, „zwischen den vielen Büchern” einem schlichten kontemplativen Mönch zu begegnen. Ähnlich Karl Bernhard Ritter bekannten später viele: „Daß sich bei dem verewigten Bruder die unbestechliche Klarheit höchst gelehrter Gedankenarbeit mit der tiefen, unmittelbar überzeugenden Frömmigkeit des priesterlichen Menschen und mit so viel Herzenswärme und lauterer Güte verband, bestätigte mir, ... daß es sich bei seiner Theologie ... um eine aus echter Kontemplation genährte Entfaltung und Schau der wirkenden Gegenwart Christi in seinem Leibe, der Kirche” handelte.

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LeerBei solchen Begegnungen fiel das Wort von der Una Sancta so gut wie nie. Die Gespräche kreisten immer um das Christusmysterium. „In der gemeinsamen Liebe zu diesem Mysterium waren wir uns einig”, gestand Ritter genau wie Stählin und andere. Mit Odo Casel, in dem sie einen ihnen von Gott geschenkten Mystagogen sahen, waren alle in dem einen Raum des Christusmysteriums gemeinsam unterwegs zu immer neuen Erkenntnissen und größeren Tiefen. In diesem Raum erkannten sie sich als Glieder des einen Christusleibes, der nach einem Wort Cyprians in seinem Innern nicht geteilt und nicht zerstückelt werden kann.

Leer Je beglückender sie jedoch diese Einheit im Unsichtbaren erfuhren, desto schmerzlicher litten sie freilich unter der Spaltung im Sichtbaren. Doch nie stand diese Spaltung im Zentrum ihrer Gespräche. Die Grundlage aller Gespräche war und blieb vielmehr der Christus, der heilschaffend in seiner Kirche gegenwärtig ist und das Zerstreute sammelt. Immer erwies sich, wie Stählin nach der österlichen Vollendung Pater Odos schrieb, „die tiefe Verbundenheit in der gemeinsamen Freude an der wiederentdeckten Theologie des Mysteriums und an dem österlichen Verständnis des christlichen Gottesdienstes ... stärker als die trennenden Verschiedenheiten der kirchlichen Überlieferung.”

LeerDie Begegnung schuf nicht erst die Einheit, sondern manifestierte die „tatsächlich vorhandene, in Christus vorgegebene Einheit ... so unwiderstehlich, daß man sie nicht übersehen und leugnen” konnte, wie Kirchenrat Ritter einmal sagte. Oft genügte ein einziges Gespräch mit Odo Casel, um eine lebenslängliche Freundschaft zu begründen. So wurde für Ritter die einmalige Begegnung mit dem Laacher Mönch zu Beginn der dreißiger Jahre zu einem unvergeßlichen Erlebnis. „Seit jener Begegnung”, so bekannte er, „ist die Verbindung mit diesem großen Theologen und tief gegründeten Christen nie mehr abgerissen.” Odo Casel nahm den anderen stets als Bruder in Christus auf - in Liebe und Ehrfurcht. Er achtete seinen ihm überlieferten Glauben und ließ ihn sein, was er war. „In der beglückenden Freiheit seines befriedeten Herzens”, so schrieb Bischof Stählin, „und in der Unbefangenheit seines ganz in der Sache, nicht mehr in irgendwelchen Sätzen gegründeten Urteils, empfand er und ließ er auch den evangelischen Professor und Bischof etwas von jener Einheit der ecclesia empfinden, an die wir glauben und um die wir beten ...”

LeerNatürlich tauchten, wenn auch selten, kontrovers-theologische Fragen auf. Auf solche Fragen wurde keine vorzeitige, ausgleichende Antwort gesucht; weder der eine noch der andere machte billige Konzessionen. Gemeinsam hielten die Freunde stand „vor den maximalen Ansprüchen von Gottes uns maximal beschenkender Liebe”, so wie es Hans Urs von Balthasar für ein fruchtbares ökumenisches Gespräch fordert. Gemeinsam suchten sie nach dem Ursprünglich-Wahren, um den gründenden Ursprung neu in die Gegenwart zu holen. „Gott weiß”, schrieb W. Stählin 1944 an Odo Casel, „was er mit uns vorhat, da er uns auf beiden Seiten zwingt, alte Fragen von neuem zu durchdenken und dabei das Anliegen des anderen in das eigene Denken aufzunehmen.” Sie hatten alle miteinander den langen Atem der Geduld, weil sie der Dynamik des Mysteriums vertrauten.

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LeerWirkliche Einheit - das war ihre tiefe Überzeugung - kann nicht gemacht werden, weder von oben noch von unten. „Sie wächst dort heran”, so sagte Odo Casel einmal zu Karl Bernhard Ritter, „wo wir uns unter dem Wehen des Geistes in Christus erkennen als Brüder und Schwestern, genährt und belebt aus dem Mysterium Jesus Christus.” Anders als es heute meist geschieht, stellt dieses Wort das Bruder-und Schwestersein hinein in das Mysterium. Die Freunde wußten, daß die Menschen nur in dem Maße, in dem sie in Christus, der tragenden Mitte, sind und sich von seinem Leben erfüllen und nähren lassen, untereinander brüderlich und schwesterlich geeint sein können. Was Wunder, wenn sie im Gespräch jenseits aller theologischen Differenzen stets „sofort in der Mitte” waren, wie Bischof Stählin bekannte. Christus war einfach anwesend als der unsichtbare, Gräben überbrückende Gesprächspartner und verband, was noch getrennt erschien.

LeerMehr und mehr zeigte sich, daß der Mysterientheologie eine große einende Kraft innewohnte. Der Laacher Mönch war zurückgegangen zu dem gemeinsamen Ursprung, zu den evangelischen Quellen, zum Christentum der Väter, die auch die Väter der anderen sind. „Es ist beglückend, bei Odo Casel zu erleben, wie aus einer andersartigen Tradition neues Licht fällt auf uns vertraute Worte des Neuen Testamentes, wie sich uns die Anschauung der Christuswahrheit unwillkürlich weitet”, schrieb Ritter schon im Johannisbrief 1934. Nach dem Heimgang seines Freundes und Bruders faßte er noch einmal alles zusammen: „Seine Theologie, die in einer so überzeugenden Art zu dem Denken der Väter und den zentralen Erkenntnissen der alten Kirche, unserer gemeinsamen Mutter, zurückführte, hat mir und vielen meiner Brüder ganz neue Möglichkeiten eröffnet, jenseits der konfessionellen Problematik die uns alle geistlich tragende und nährende Wahrheit und Wirklichkeit der Mysterien Christi zu erkennen. Sie hat uns mit zuversichtlicher Hoffnung erfüllt, einer neuen Stunde der una sancta catholica ecclesia entgegensehen zu dürfen.”

LeerOdo Casels unscholastische Sprache erleichterte das gemeinsame Gespräch. Er war zu jener urtümlich bildhaften Sprache zurückgekehrt, der es an logischer Präzision fehlen mag, die aber von einer unmittelbaren lebendigen Anschauung ist und einzig dem Mysterium entspricht. In dieser Sprache verstand er sich mit den Freunden des Mysteriums wie in einer gemeinsamen Muttersprache, gerade auch mit Ritter und Stählin. Schon im voraus erlebten sie, was Bischof de Smedt von Brügge am 10. 11. 1962 in der Konzilsaula äußerte, daß nämlich die biblisch-bildhafte Sprache „von selbst vielen Irrtümern, Verwirrungen und Vorurteilen” zuvorkommt und sie vermeiden hilft. Die Freunde begegneten sich auf einer nicht rationalen Ebene, und ihre Gespräche wurden zu einem wechselseitigen, lebendigen Austausch, in dem jeder Schenkender und Beschenkter war. Denn auch Odo Casel war nicht nur ein Gebender. Seinem Wesen entsprach es, aufmerksam zu lauschen und dankbar aufzunehmen, was der andere ihm von Christus darreichte. „Ich habe viel gelernt”, gestand er nach der Lektüre von Stählins Buch „Vom göttlichen Geheimnis”.

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LeerSolche Begegnung im gleichen Herzschlag der Liebe zum Mysterium war zu jener Zeit nur möglich im Wagnis des Glaubens. Denn das ökumenische Gespräch war offiziell nur ungern gesehen. Odo Casel wurde von höherer Stelle, wie er an Bischof Stählin schrieb, vorgehalten, „die Mysterienlehre sei deshalb häretisch, weil sie vielen evangelischen Brüdern zusagt”. Die evangelischen Brüder wurden ihrerseits römisch-katholischer Tendenzen verdächtigt. Aber nichts konnte jene, die sich im Raum des Mysteriums begegneten, voneinander trennen - weder Schwierigkeiten von außen noch innertheologische Differenzen. „Das Kreuz ist die Zuversicht, daß wir auf dem rechten Wege sind”, schrieb Pater Odo an Kirchenrat Ritter, „weil nur das echt ist, was diesen Stempel trägt.” Einer durchlitt mit dem anderen die Anfechtung um der „vorgegebenen Einheit” willen, und aus dem Gespräch miteinander wurde das Gespräch füreinander vor Gottes Angesicht.

LeerWie stark die einende Kraft des Mysteriums ist, habe ich selbst erfahren. Die Verbundenheit Odo Casels mit Michaelsbrüdern und anderen weitete sich in unsere Kommunität von Heilig-Kreuz hinein aus, deren Spiritual Pater Odo über 25 Jahre war. Sie dehnte sich auch aus auf Glieder des Berneuchener Dienstes; sie währt bis heute und wächst noch immer. Das gibt die frohe Gewißheit, daß das gelebte Mysterium wahrhaft der Weg zur Einheit ist. Wir gingen diesen Weg in Freuden, und Odo Casel schrieb voller Hoffnung schon 1934: „Die Wende zum Mysterium ist da.” Sie schien wirklich gekommen zu sein, als die Konstitution des II. Vatikanischen Konzils über die heilige Liturgie das Paschamysterium als Quellgrund des christlichen Lebens entschieden in die Mitte rückte.

LeerGegenwärtig ist jedoch die Sicht auf das Mysterium wieder verdunkelt, weil die Sendung der Kirche von vielen hauptsächlich im Sozial-Karitativen gesehen wird. Wir erleben, was Stählin 1935 Odo Casel gegenüber äußerte: „Der Verlust und die Vernachlässigung des Mysteriums ist ein schmerzliches Anzeichen einer säkularisierten Kirche.” Der Altbischof hat wohl kaum an dieses Wort gedacht, als er sein Buch „Mysterium. Vom Geheimnis Gottes” schrieb. Aber was er in diesem Buch von den Kräften sagt, die die Einheit der Kirche zerstören, wirkt wie eine Ausweitung jenes Wortes in unsere Situation hinein. Ob es nicht durch den Verlust des Mysteriums bedingt ist, daß nun schon von einer Krise der ökumenischen Bewegung gesprochen werden kann?

LeerOdo Casel und seinen Freunden war das Mysterium das Vorrangige. Ihre Einheit wuchs von innen nach außen, von der Mitte zur Peripherie. Ihnen ging es um das inwendige Leben der Kirche, um das Sterben und Auferstehen mit Christus. Sie wußten: Nur die in Christus Gestorbenen sind wahrhaft eins, und je tiefer die einzelnen den Christustod sterben, desto schneller wird aus der inneren Einheit auch die äußere Gemeinschaft erwachsen. Denn seit Christus starb und auferstand, so schrieb der holländische reformierte Theologe Gerardus van der Leeuw im Gedenken an seinen „Bruder Casel”, ist „das einzig Wichtige an unserem Leben wie an unserem Tod dieses Geheimnis. Und nachdem Pater Casel uns ein ganzes reiches Leben lang dies erklärt, hat er es uns sterbend so klar gemacht wie noch nie”. Das Gedenken an seinen österlichen Hinübergang aber sagt uns, daß auch für unser Eins-Werden das einzig Wichtige unser Absprung in die urgründige Tiefe des Christustodes ist. Dort werden wir zu einem Leibe, der Kirche des Kreuzes.

Quatember 1973, S. 105-109

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-11
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