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Kosmos und Ekklesia
von Jürgen Boeckh

LeerHerabkunft des Heiligen GeistesZum 70. Geburtstag von Wilhelm Stählin im Jahre 1953 erschien eine Festschrift, die den Titel trug: „Kosmos und Ekklesia”. Eine deutsche Übersetzung dieser griechischen Begriffe - „Kirche und Welt” - hätte niemals so scharf die Brennpunkte von Stählins theologischem Denken und kirchlichem Handeln erfaßt. „Kosmos und Ekklesia” - so könnte man auch jene ostkirchliche Ikone überschreiben, die „Herabkunft des Heiligen Geistes” genannt wird. Sie ist verhältnismäßig unbekannt. Sogar in größeren Ikonen-Werken wird sie nicht immer abgebildet oder behandelt. Als ein „Nachtrag” zum Thema der Festschrift vom Jahre 1953 sollen nun zum 90. Geburtstag Wilhelm Stählins einige Gedanken und Fragen zu der Ikone wiedergegeben werden, über die man im Malerhandbuch vom Berge Athos folgende Anweisung lesen kann: „In einem Haus sitzen die zwölf Apostel im Kreise; unter ihnen ist ein kleines gewölbtes Zimmer und darin ein alter Mann, der mit beiden Händen ein Tuch hält, in dem zwölf zusammengerollte Blätter sind. Er hat auf dem Haupte eine Krone und über ihm stehen diese Worte: ‚Der Kosmos’. Über dem Haus ist der Heilige Geist wie eine Taube, um ihn viele Wolken. Zwölf feurige Flammen gehen von ihm aus und lassen sich auf einen jeden der Apostel nieder.”

LeerNicht für jede der mir vorliegenden zehn Ikonen dieses Typus - vom 10. bis 16. Jahrhundert, aus dem griechisch-byzantinischen und aus dem russischen Raum - trifft alles zu, was der Malermönch Dionysios zur Pfingst-Ikone „Herabkunft des Heiligen Geistes” schreibt. Das hängt sicher damit zusammen, daß der Athos-Mönch im wesentlichen auf Erkenntnisse der Ikonenmaler des 18. Jahrhunderts zurückgreift. Auf keiner „meiner” Ikonen ist der Heilige Geist wie eine Taube dargestellt. Hier ist Dionysios wohl einem westlichen Einfluß erlegen. Wir sind es gewohnt, daß der Heilige Geist, etwa bei der Verkündigung an Maria oder beim Pfingstwunder, in Gestalt einer Taube „sichtbar” gemacht wird. In den orthodoxen Kirchen jedoch gibt es synodale Bestimmungen, nach denen die Taube nur dort den Heiligen Geist symbolisieren darf, wo das Neue Testament dazu auffordert: Bei der Taufe Jesu im Jordan.

LeerDie Ikone „Herabkunft des Heiligen Geistes” ist in den orthodoxen Kirchen nicht die Haupt-Ikone des Pfingstfestes. Dem ersten Pfingstfeiertag - in der alten Kirche der letzte Tag der 50tägigen Festzeit nach Ostern, der „Pente-koste”! - ist vielmehr die „Alttestamentliche Dreieinigkeit” zugeordnet. Die bekannteste Ikone dieser Art ist die „Dreieinigkeit” von Andrej Rubljev, über die in unserer Zeitschrift schon öfter berichtet wurde. Der Festtagszyklus auf dem Ikonostas, der mehrreihigen Bilderwand in den russischen orthodoxen Kirchen, besteht meist aus 12 oder mehr fast quadratischen Ikonen.

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LeerDie Ikone des Pfingstfestes, die Darstellung der „Alttestamentlichen Dreieinigkeit” folgt in der Regel dem Himmelfahrtsbild (Maria mit den Aposteln und den Engeln, über ihnen der in den Himmel auffahrende Christus). Neben der Dreieinigkeitsikone sieht man dann meist den Heimgang Marias, das „Entschlafen der Gottesmutter”. Bisweilen ist dazwischen jedoch die Ikone „Herabkunft des Heiligen Geistes” zu sehen. Sie wird dem zweiten Pfingstfeiertag zugeordnet. Biblischer Ausgangspunkt dieses Bildes ist sicher das Pfingstgeschehen, wie es im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte berichtet wird. Die Ekklesia, die Kirche, wird dargestellt durch die zwölf Apostel. Daß auch diese Ikone nicht die Absicht hat, „historisch” im Sinne der Apostelgeschichte zu sein, wird aus der Tatsache deutlich, daß nicht die von Jesus berufenen elf Apostel mit Matthias, über dessen Wahl Lukas ja vorher berichtet, dargestellt werden müssen. Petrus und Paulus sitzen einander gegenüber. Sie repräsentieren die Kirche aus den Juden und die Kirche aus den Heiden.

LeerAuf einer Ikone unserer Art aus dem 15. Jahrhundert (bei L. Ouspenski: „Der Sinn der Ikonen”, Bern 1952) gehören Lukas und Markus zu den Zwölf, die im nach unten geöffneten Kreis sitzen. Petrus und Paulus sitzen sich „oben”, über dem „gewölbten Zimmer”, wie der Athos-Mönch es ausdrückt, gegenüber. Zwischen ihnen ist ein leerer Platz. Dieser leere Platz ist offenbar der Platz des erhöhten Herrn. Jesus Christus ist nicht mehr als irdischer Mensch unter seinen Jüngern. Es ist gegenwärtig in der Kraft des Heiligen Geistes, von dem die Zwölf erfüllt werden.

LeerDer Heilige Geist wird angedeutet durch 12 Strahlen, die von einem Himmelssegment am oberen Bildrand ausgehen. Manchmal sind unter diesen Strahlen die in der Pfingstgeschichte des Lukas zitierten Worte des Propheten Joel (2, 23 - 3, 5) in roter Schrift angedeutet. Auf dem „Ikonen-Tuch der Sophia Paleologos” vom Jahre 1499, das im Dreifaltigkeitskloster von Zagorsk bei Moskau zu sehen ist, wird unmittelbar über der Pfingst-Ikone mit dem leeren Platz die Ikone „Vaterschaft” gezeigt: Gott-Vater und Gott-Sohn auf dem himmlischen Thron - der Geist geht vom Vater (und vom Sohne!) aus.

LeerHerabkunft des Heiligen GeistesErst im 13. Jahrhundert erscheint nachweislich auf dem Pfingstbild der östlichen Kirchen der leere Platz Christi besetzt: Maria thront inmitten der Apostel, zwischen Petrus und Paulus (Stephan Seeliger: „Pfingsten”, Düsseldorf 1958). Ob hier Maria aus dem Westen übernommen wurde?

LeerAuf der ursprünglichen Ikone repräsentiert der Kreis der 12 Apostel die ganze Ekklesia. Wenn Maria nun in ihrer Mitte sitzt - für den Westen in den folgenden Jahrhunderten die übliche Darstellung! -, so kann man dies vielleicht als eine ikonographische Spiegelung der Tatsache ansehen, daß die Kirche - ihr Bild ist Maria! - mehr als früher sich selbst reflektiert und darstellt. Maria „schließt” den Kreis. Der leere Platz, Zeichen der Offenheit der Ekklesia für den Geist, der Herr ist (2. Kor. 3,17), ist besetzt. Ouspenski erwähnt auch einige alte Darstellungen, auf denen ein besonderer „bereiteter Thron”, die „Etymasia” als Symbol der unsichtbaren Anwesenheit Gottes (besser wohl Christi!) auf unserer Ikone zu sehen ist.

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LeerDer Maler-Mönch vom Athos spricht von einem „gewölbten Zimmer” unter den Aposteln. Zu sehen ist aber eigentlich nirgendwo ein „Zimmer”, sondern ein Toreingang. Dieser Toreingang ähnelt oft einem hohen, schmalen byzantinischen Kirchenfenster mit halbkreisförmigem Abschluß (manchmal jedoch ist das „Zimmer” auch durch einen Halbkreis angedeutet). Besonders eindrücklich ist eine Ikone unbekannter Herkunft aus dem 12. Jahrhundert: Der hohe Torbogen schließt eine glatte schwarze Fläche ein, so daß der Eindruck eines finsteren Kellers unter den Aposteln entsteht. Dieser „schwarze Fleck” erinnert an die östlichen Darstellungen der Geburt Christi und seiner „Höllenfahrt”. Auf dem Pfingstbild ist es jedoch nicht der „ungestaltete” schwarze Fleck der Weihnachts-ikone, durch den sich Wolfgang Kretschmer angezogen fühlte („Psychologische Weisheit der Bibel”, München 1955). Und der Gott des Todes, der zum schwarzen Loch der Oster-Ikone gehört, ist bereits besiegt. Die Finsternis ist vergangen - aber das Dunkel ist noch da. Die Ekklesia, repräsentiert durch die Apostel, die auf dem turmartigen Gebäude in strenger Ordnung residieren, sind mitverantwortlich für das Dunkel unter der Oberfläche.

LeerNicht immer ist der Toreingang schwarz. Aber gerade dann, wenn man eine „Anastasis” (Höllenfahrt/Auferstehung)-Ikone neben unserer Pfingst-Ikone sieht, spürt man, daß der dunkle Untergrund zur Herabkunft des Heiligen Geistes gehört, daß der Heilige Geist vor dem Dunkel nicht haltmacht. Auf diesem dunklen Untergrund (nicht auf allen Ikonen unseres Typus ist allerdings die schwarze Farbe zu sehen) erscheint nun oft der „König Kosmos”. Wieder springt die Parallele zu anderen Festtagsikonen ins Auge: Der „Kosmos” gehört zu Pfingsten, wie der Flußgott Jordan zur Taufe Jesu und der Todesgott Hades zur „Höllenfahrt”. Aber nur der Tod wird von Christus besiegt und vernichtet. Der „Jordan” und der „Kosmos” werden überwunden und erlöst.

LeerN. V. Pokorvski schrieb gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zur Gestalt des Kosmos (mitgeteilt bei Ouspenski): „Weshalb wird bei der Herabkunft des Heiligen Geistes ein Mensch dargestellt, der sich im finsteren Orte befindet, mit Alter belastet, in Rot gekleidet ist, auf dem Kopfe eine königliche Krone und in den Händen ein weißes Tuch mit zwölf Schriftrollen trägt? Der Mensch befindet sich im finsteren Orte, weil die ganze Welt früher im Unglauben war; er ist mit Alter belastet, weil er durch Adams Sündenfall alterte; seine Kleidung ist rot wegen der blutigen heidnischen Opfer, die dargebracht wurden; er hat auf dem Kopfe eine königliche Krone, weil die Sünde in der Welt herrschte; und das weiße Tuch in seinen Händen mit den zwölf Schriftrollen bedeutet die zwölf Apostel, die durch ihre Lehre die ganze Welt aufklärten.” Ich vermute, daß Pokorvski den Sinn der Gestalt nicht richtig erfaßt hat. Es ist nicht nur ein „Mensch”, der dargestellt wird (das wäre beinahe „protestantisch” gedacht!). Wir müssen in Rechnung stellen, daß die orthodoxe Christenheit über die östlichen Väter - auch über den nicht offiziell anerkannten Alexandriner Origenes! - von platonischem Geist beeinflußt ist.

LeerBei Plato ist der Kosmos „Gott”, und in apokryphen Schriften des Alten Testamentes hat „Kosmos” durchaus einen positiven Klang. In der ausgehenden Antike verstand man unter Kosmos die ganze Erde und ihre Bewohner, die Menschheit, die Ökumene. Der „Kosmos” wird nicht wie der „Hades” bei der „Anastasis” entmachtet. Er steht in gesammelter Ruhe auf dem dunklen Hintergrund, um die Botschaft zu empfangen und erlöst zu werden: Die 12 Schriftrollen befinden sich gleichzeitig in den Händen der Apostel und in dem ausgebreiteten Tuch, das er in Händen hält. So wie die Apostel die ganze Ekklesia repräsentieren, so stellt der Alte mit der Krone auf dem Haupt die ganze Menschheit dar.

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LeerAber für den Betrachter früherer Zeiten schwingt, ebenso wie für uns, noch mehr mit: Der Kosmos ist das Universum. Kosmos und Ekklesia werden unter dem Geist Gottes zu einer Einheit. Ich habe versucht, festzustellen, ob es in der klassischen Antike die Darstellung eines personifizierten Kosmos gegeben hat, aber es war keine zu finden. Schließlich erhielt ich von meinem theologischen Lehrer Hans Frhr. v. Campenhausen, Heidelberg, dafür eine einleuchtende Erklärung: Erst unter dem Einfluß des Christentums, in dem an Stelle einer Identität von Gott und Kosmos das Gegenüber von Schöpfer und Schöpfung getreten ist, konnte der Kosmos personifiziert dargestellt werden.

LeerHier liegt eine merkwürdige Umkehrung vor. Den Vatergott Zeus (der nicht als Schöpfer angesehen wurde) stellten die Griechen wie einen Menschen dar, nicht aber den Kosmos. Die altchristliche Kunst jedoch und in ihren Spuren (von Ausnahmen wie der Ikone „Vaterschaft” abgesehen) die ostkirchliche hat Gott den Vater nicht als Person sondern lediglich im Symbol dargestellt: So durch die „Hand Gottes” bei der Taufe Jesu oder durch einen der Engel in der „Alttestamentlichen Dreieinigkeit”.

LeerDie Bildmotive stehen immer auch mit den liturgischen Texten im Zusammenhang. In einem „Stichos” für den Pfingstabendgottesdienst heißt es: „Jetzt werden priesterlich bekleidet die Jünger Christi mit Kraft von oben: Denn der Tröster erneuert sie, er, der sich erneuert in ihnen durch die mystische Erneuerung der Erkenntnis. Diese in fremden und lauten Zungen predigten sie, nämlich zu verehren die ewige und einfache, dreipersönliche (dreihypostatische) Wesenheit Gottes, des Wohltäters des Kosmos . . .” Daß die Gestalt des „Kosmos” nicht nur an die Völker, von denen im Pfingstbericht des Lukas die Rede ist, erinnern soll, wird aus einem Exemplar unserer Ikone deutlich, wo links unten ein Mann steht, der offenbar die „fremdartigen Völker” repräsentieren soll (Walter Löschke: „Apostel und Evangelisten”, Recklinghausen 1958).

LeerSchließlich stellt sich die Frage, welche Bedeutung dem turmartigen Gebäude zukommt, auf dem die Apostel sitzen. Ist es das „Obergemach”, in dem nach Lukas (Apg. I, 13.14) die Apostel mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern zusammenkamen? Dieses „Obergemach” wird ja oft mit dem „großen Saal” des letzten Abendmahls (Luk. 22,12) auf der einen und dem Ort des Pfingstgeschehens (Apg. 2,1) auf der anderen Seite gleichgesetzt. Näher liegt es jedoch anzunehmen, daß auf der Ikone „Herabkunft des Heiligen Geistes” ein symbolischer Ort gezeigt werden soll. Manches deutet darauf hin, daß ein Gegenüber zum Turm von Babel gemeint ist. Dem Ort der Sprachenverwirrung steht der Ort der neuen Sprache gegenüber, in der Kosmos und Ekklesia allein ihre Einheit finden können - durch den Heiligen Geist.

LeerSchon in der frühchristlichen Schrift „Hirt des Hermas”, die in manchen Bereichen zur gottesdienstlichen Lesung herangezogen wurde und teilweise auch in dem berühmten Bibelkodex aus dem Sinai-Kloster enthalten ist, wird die Kirche bereits mit einem „großen Turm über dem Wasser aus prächtigen Quadersteinen” verglichen. Und in dem „Idiomeion” am Pfingstmontag heißt es: „Die Sprachen, einst wurden sie verwirrt wegen der Vermessenheit des babylonischen Turmbaus; die Sprachen, jetzt werden sie mit Weisheit beschenkt wegen des Ruhmes göttlicher Wissenschaft; dort hielt Gott Gericht über die Frevler wegen der Sünde, hier erleuchtete Christus die Fischer durch den Geist. Damals wurde die Sprachenverwirrung zur Qual, nun wird erneuert die Sprachenharmonie zur Erlösung unserer Seelen!”

Quatember 1973, S. 167-172

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-24
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