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Streit um eine alte Formel?
von Martin Lotz

LeerAn der Lehre vom Heiligen Geist scheiden sich die Geister. Schon im Mittelalter, lange vor dem Zeitalter der Reformation, zerbrach die Einheit der Kirche über dem Streit um die Lehre vom Heiligen Geist. Die Wege der östlichen und der westlichen Kirche trennten sich. Katholische und orthodoxe Frömmigkeit brachen auseinander. Bis in unsere Gegenwart hinein wirkt sich dieser Gegensatz aus - und er ist nicht beschränkt geblieben auf Ost und West. Er geht auch durch unsere Reihen.

LeerEin einziges Wort stand damals auf dem Spiel. Das Wort heißt „Filioque” und steht im Glaubensbekenntnis. Die westliche Kirche hat das Filioque angenommen. Die östliche Kirche hat dieses Wort verweigert. Was heißt „Filioque”? „Und vom Sohne”.

LeerIm westlichen Glaubensbekenntnis heißt der ganze Satz: „Ich glaube an den Heiligen Geist, der lebendig macht, der vom Vater und vom Sohne ausgeht.” Im östlichen Glaubensbekenntnis heißt es: „Ich glaube an den Heiligen Geist, der lebendig macht, der vom Vater ausgeht.”

LeerFür die östliche Kirche ergibt sich daraus folgende Vorstellung: Gott der Vater steht obenan. Der Sohn und der Geist sind ihm untergeordnet. Gott der Sohn leitet sich her von Gott dem Vater. Als Mensch hatte Gottes Sohn zeitweilige Bedeutung. Als Gott ist er von ewiger Bedeutung. Gott dem Geist geht es ebenso. Geist ist die Wirkungsweise Gottes unter den Menschen. Vom Vater gehen also der Sohn und der Geist aus. Beide sind abhängige Personen innerhalb der Gottheit. Daraus folgt, daß das Leben Jesu keine wirkliche menschlich-irdische Bedeutung hat. Jesus war die zeitgebundene Erscheinung Gottes auf Erden. Er hat die Heilsgeschichte bereichert, aber er hat die Weltgeschichte nicht verändert. Daraus folgt wiederum, daß das Leben der Kirche und der Christen durch Jesus bereichert wurde. Aber die Veränderung des Lebens in dieser Welt ist nicht Aufgabe des Glaubens. Christ ist man unabhängig von weltlichen Ordnungen. Der Wandel weltlicher Ordnungen wird hingenommen oder erlitten. Der Christ verspürt nicht den Drang, selbst in der Nachfolge Jesu die Formen menschlichen Zusammenlebens zu verbessern.

LeerDer östliche Christ kann daher ein staatliches Regime, wie es in Griechenland besteht, ebenso dulden wie ein Herrschaftssystem, wie es sich zum Beispiel in Rußland etabliert hat. Persönlich ist für den östlichen Christen wichtig: Der Glaube und die Heilsgeschichte, wie sie im Gottesdienst liturgisch dargestellt wird. Das sonstige Leben ist demgegenüber zweitrangig.

LeerFür die westliche Glaubenswelt ergibt sich eine andere Vorstellung: Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist sind geschichtliche Ausprägungen des Glaubens. Gott der Vater ist der Gott, der vor dem Auftreten Jesu geglaubt wurde. Seine Existenz wird aber nach Christus beibehalten dank der Lehre vom Heiligen Geist. Gott der Sohn ist in dem drei Jahrzehnte dauernden Leben Jesu in diese Welt eingetreten. Ein ganz konkretes menschliches Leben hat sich in Jesus ereignet. Und dieses Leben ruft uns bis heute zur Nachfolge. Ebenso dank der Lehre vom Heiligen Geist. Gott der Geist ist die Macht, die beide - Gott den Vater und Gott den Sohn - für immer in unsere Herzen senkt.

LeerDaraus folgt, daß das Leben der Kirche und des Christen nicht gleichgültig sein kann gegenüber den Ordnungen dieser Welt. Der Anspruch Gottes des Vaters und Gottes des Sohnes werden im Heiligen Geist Verpflichtung für jeden Christen und für die Kirche als Ganze. Gesellschaftlich, kirchlich und persönlich erhalten wir durch diese westliche Glaubenslehre eine missionarische Verpflichtung. Uns selbst, andere Menschen und die Dinge dieser Welt sollen wir verändern im Sinne des Vaters und des Sohnes. Die Kraft dazu gibt uns der Heilige Geist. Jede Gleichgültigkeit gegenüber den Problemen der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens ist uns verwehrt. Wir können uns nicht in den Gottesdienst zurückziehen. Unser Glaube ist ein öffentliches Ereignis und muß sich bewähren in allen Bereichen des Lebens, nicht nur in der Kirche.

LeerTrotzdem können wir vom östlichen Christentum lernen. Denn dem östlichen Christentum ist eine heitere Haltung eigentümlich. Unberührt vom Leben in dieser Welt freuen sich die Christen über die Erlösung in der gottesdienstlichen Feier. Dem westlichen Christentum ist diese heitere Lebenshaltung fremd, weil immer etwas zu tun bleibt über Frömmigkeit und Glauben hinaus. Aber auch er braucht „die schönen Gottesdienste des Herrn”, um im Glauben an den Geist des Vaters und des Sohnes gestärkt, zur „Nachfolge” befähigt zu werden.

Quatember 1973, S. 173-174

Leserbrief Georg Rentzlaff

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-08
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