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Training zur Meditation
von Gertrud Schüle

LeerIn den vom 3. bis 7. Januar 1973 in Kloster Kirchberg gehaltenen Meditationstagen „Das Autogene Training als Weg zur Meditation” gab Ludwig Steinfeld, Psychagoge in Bad Orb/ Schlüchtern, eine Einführung in das Autogene Training und leitete in aufbauenden Übungen über Bilderlebnisse zur Meditation. Die einführenden und weiterführenden Übungen wurden von Ernst Bock, Pfarrer in Stuttgart, durch bildhaft meditative Texte der Bibel begleitet.

LeerNach einleitender Begriffserklärung und Abgrenzung des Autogenen Trainings zur Yoga- und Zen-Methode führte Ludwig Steinfeld, der langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der konzentrativen Selbstentspannung nach Professor Dr. med. J. H. Schultz besitzt, in die praktischen Übungen ein, die in zwei Gruppen von je zwanzig Teilnehmern durchgeführt wurden. Auf rein physische Entspannungsübungen zur körperlichen wie auch seelischen Entkrampfung und Lösung folgten Übungen im katathymen Bild-Erleben nach Professor Leuner, Göttingen. Sie umfaßten „freies” Bild-Erleben, das heißt Übungen ohne vorgegebenes Thema, wie auch die vom Übungsleiter thematisch bestimmte Schau von Gegenständen oder abstrakten Begriffen.

LeerBeim Verharren in konzentrativer Selbstentspannung können symbolhafte Bilder aus der Tiefenschicht der Seele an die Oberfläche des Bewußtseins aufsteigen; ein Vorgang, der besonders durch Musikbegleitung, wie etwa „Music for Zen Meditation” oder durch Klänge aus dem Album der englischen Gruppe Pink Floyd angeregt werden kann. Auch durch Farbsehen wird die Innenschau so belebt, daß Bilder aus Erinnerung oder Phantasie erscheinen. Eine lösende und klärende Wirkung kann vom Malen oder Niederschreiben der ins Bildbewußtsein gehobenen traumartigen Erscheinungswelt ausgehen.

LeerDas katathyme Bild-Erleben, in dem innere Vorstellungen und Empfindungen harmonischer und disharmonischer Art ins Bewußtsein gehoben werden, wird zu einem persönlichen Erlebnisprozeß, der zur Selbstfindung und Selbstklärung beitragen kann. Die Übungen des Autogenen Trainings führen so über die physischen und psychischen, dem Schlaf vergleichbaren Erholungseffekte wesentlich hinaus.

LeerUm den Weg über das katathyme Bild-Erleben zur christlichen Meditation zu zeigen, hob Pfarrer Ernst Bock in einer Reihe von biblischen Betrachtungen bestimmte Personen und Erscheinungen ins Blickfeld, die den Willen Gottes, dem Menschen nahe zu kommen, wie auch die menschlichen Möglichkeiten, die Nähe des lebendigen Gottes zu erleben, deutlich machen. Im Bild des brennenden Dornbusches erfährt Mose die heilige Nähe Gottes, hört seinen Anruf und empfängt seinen Auftrag zum Einsatz für das Wohl seines Volkes.

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LeerIm sanften Sausen des Windes, das dem Bild des Feuers folgt, gibt sich Gott dem Propheten Elia zu erkennen, der sich verzweifelt und erschöpft in die Höhle am Berg Horeb zurückgezogen hat, und ermutigt ihn zu neuem Wirken für Gottes Sache in der Welt. Die drei Jünger Petrus, Johannes und Jakobus erleben auf dem Berg im Übergang vom Schlafen zum Wachen die Verklärung Jesu, der in überirdischen Glanz gehüllt erscheint, umgeben von Mose und Elia, den Kronzeugen der Gotteserscheinungen im Alten Bund.

LeerDiese biblischen Bilderlebnisse erinnern an persönlich erfahrene Zeichen göttlicher Nähe, denn auch heute darf der Mensch mit solchen Erfahrungen auf der Grenze zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt rechnen; zumindest wird er solche bei Mitmenschen in Vergangenheit und Gegenwart für möglich halten. Das Ausschauen in der Versenkung nach den Erscheinungsbildern der zukünftigen Gotteswelt bedeutet ein Sichhinwenden zur Realität der jenseitigen Welt, die zwar für den Menschen noch unsichtbar und ungreifbar, aber ihm doch schon nahe ist. Da in der Person und im Werk des Christus diese Zukunft schon begonnen hat, empfängt der Mensch aus einer durch meditativ verinnerlichtes Hören und Beten geschenkt en Verbindung mit Christus die „Kräfte der zukünftigen Welt” (Hebr. 6, 5), die ihn befähigen mit getroster Gelassenheit im Alltagskampf durchzuhalten und sich mit freudigem Mut aufs neue im Dienst für Gott und den Mitmenschen einzusetzen.

LeerDiese biblischen Betrachtungen wurden ergänzt durch Lesungen aus der Schrift des verstorbenen Arztes und Michaelsbruders Dr. C. Happich „Anleitung zur Meditation”, in welcher er seine heute noch wesentlichen und hilfreichen Erkenntnisse und Hinweise aufgezeichnet hat. Texte aus Gerhard Tersteegens „Weg der Wahrheit” verdeutlichten wieder in anderer Weise, was christliche Meditation heißt. Abschnitte aus dem Stundenbuch „Die religiöse Dimension der Pop-Kultur”, in welchem Holger Hoffmann Texte aus dem Musical „Hair” u. a. als Zeugnisse moderner Mystik bezeichnet, zeigt das elementare Bedürfnis gerade auch des modernen Menschen nach Bewußtseinserweiterung durch Bild- und Farberlebnisse meditativer Art. Für diese biblischen Betrachtungen und Lesungen boten die Tagzeitengebete in der Kapelle am Morgen und Mittag den geeigneten Rahmen. Eine Vertiefung erfuhren die Meditationen durch die morgendlichen Feiern der Eucharistie. Die Geborgenheit des Berneuchener Hauses mit seinen angenehmen Räumlichkeiten, wie seinem Kapitelsaal, Meditationsraum und nicht zuletzt seiner Kapelle war hilfreich zur inneren Sammlung und Zurüstung in diesem anspruchsvollen und ertragreichen Lernprozeß im Training zur Meditation.

LeerDa von den zahlreichen Interessenten dieser Meditationstage ein erheblicher Teil nicht mehr angenommen werden konnte, muß Ende 1973 eine Wiederholungswoche gehalten werden.

Quatember 1973, S. 178-180

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-24
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