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von Jörg Baur |
Die Herausgeber des unter dem Titel „Neues Glaubensbuch - Der gemeinsame Christliche Glaube” von mehr als dreißig Theologen erarbeiteten Buches, der Katholik Johannes Feiner und der seit Jahren in der Genfer Ökumene wirkende Reformierte Lukas Vischer, haben die Pole möglicher Reaktionen auf dieses Unternehmen vorweg benannt. Dem drängenden „Endlich!” derer, denen es um „den christlichen Glauben überhaupt in der heutigen Welt” geht, stellt sich das fragende „Wirklich?” der Grundsätzlichen, Besonnenen, Skeptischen entgegen. In diesem Spannungsfeld scheint sich auch jede Besprechung des Werkes zurechtfinden zu müssen, das seiner Absicht nach „die großen Themen des biblischen Glaubens .. . zur Sprache bringen” will und von der Überzeugung getragen ist, „daß die Aussagen, die gemeinsam gemacht werden können, quantitativ und qualitativ gewichtiger sind als die unüberwundenen Gegensätze”, wobei „die Fragen, die seit dem 16. Jahrhundert zwischen den Konfessionen kontrovers sind” nicht ausgeschieden, aber für den Schlußteil ausgespart wurden. Das intendierte „gemeinsame Zeugnis” von „Theologen verschiedener Bekenntnisse” wird nicht als Kollektivarbeit präsentiert, vielmehr stand für jedes der dreißig Kapitel ein Grundmanuskript zur Verfügung, zu dem ein Gutachter der anderen Konfession gehört wurde, ehe die Redaktion daran ging, die Beiträge in das Ganze einzufügen. Dieses Ganze, an alle theologisch Interessierten adressiert, versteht sich „als eine Etappe auf dem Wege” und darum auch „nicht als das, sondern als ein neues Glaubensbuch”. Es gliedert sich in vier Hauptteile, deren erster „zu beschreiben sucht, wo und wie sich für den heutigen Menschen die Frage nach Gott stellt”. Der zweite Teil entfaltet das biblische Zeugnis von Gott in Jesus Christus. Im dritten Teil wird der neue Mensch, im vierten Glaube und Welt thematisiert. Der schon genannte fünfte Teil erörtert noch offene Fragen zwischen den Kirchen. Mit 660 Seiten Text wird ein Werk angeboten, das ohne Irritation durch extrem kritische Schreckschüsse und ungehindert von skrupulöser oder hartnäckiger Eigenkirchlichkeit - insbesondere der kaum vertretenen Lutheraner - die Stimme der mitteleuropäischen akademischen Theologie ökumenisch konsonant zu artikulieren sucht. Eine angemessene Beurteilung muß in die vorgelegte Arbeit mit eintreten und Schritt um Schritt fragen, wie die Aussagen im Zusammenhang gegenwärtiger Theologie stehen, welche Tatkraft ihnen in der Situation der Konfessionen nach deren Ursprung und Gegenwart zukommt und wie es um die Konsistenz des gesamten Entwurfes bestellt ist. An den Anfang ist eine beglückende Erfahrung zu stellen. Der Entschluß, „die großen Themen des biblischen Glaubens” anzugehen, führte vor allem im zweiten Teil zu hilfreichen Einsichten, denen ein weites, zustimmendes Echo zu wünschen ist. Aus dieser Arbeit, insbesondere katholischer Exegeten, kann der fragende Zeitgenosse und das gegenwärtige christliche Bewußtsein gleichermaßen begründete Orientierung darüber erlangen, wie eine kritisch arbeitende Theologie zu der übereinstimmenden Aussage kommt, nur das sei „christlicher Glaube, was sich auf Person und Werk Jesu Christi bezieht”, und zwar auf ihn selbst, nicht auf Jesu Lehre oder Prinzipien.
Auch das 6. Kapitel entfaltet, unter Beachtung von Differenz und Zusammenhang, das alttestamentliche Zeugnis vom Gott Israels als christlich relevant, wenn auch hier die systematisch-theologische Frage entstehen mag, wie zwingend mögliche exegetische Gesichtspunkte sind, insbesondere die als „Eckpunkte” genannten Momente von „Klage, Lob, Abfall und Neuanfang durch das Amt des Mittlers”, durch die das Alte Testament seine Aussagen „über Gott und die Geschichte des Menschen mit ihm” ordne. Jedenfalls dürfte der Hinweis, daß „vor der Rettung” durch Gott „die Klage der Bedrückten” steht, nur dann gegen problematische Verallgemeinerung, die Gott zum Prinzip der compassion (Rousseau) macht, abgehoben sein, wenn deutlich wird, daß beiden die ungeschuldete Zuwendung Gottes, seine Erwählung, vorangeht („ihnen Befreiung verhieß”). Dieser Hinweis dürfte durchaus im Sinne dieses Kapitels sein, das an anderer Stelle wichtige Korrekturen gängiger Theorien des theologischen Marktes bietet, zum einen mit der Warnung vor einer verallgemeinernden Ausweitung von „Exodus” und „Nachfolge” als Signum aller christlichen Existenz und dann mit dem Satz, der eine fundamentale Verschiebung gegenüber Teil I bringt, „daß das Ganze einen Sinn hat, weil es einen Herrn hat”. Damit sind die Ausführungen des 7. Kapitels „Der Gott Jesu” erreicht, das die mit Jesus „nahegekommene Herrschaft Gottes” thematisiert. Eine Exegese, die nirgendwo in Spezialprobleme abgleitet, stellt das überraschend unverrechenbare „Phänomen” Jesus dar: seine Freiheit gegenüber allen vorgegebenen Gruppierungen und Möglichkeiten, seine neue Ansage Gottes und seinen neuen Blick auf den Menschen, und dies so, daß „Gottes Nähe und heilschaffende Gegenwart”, eben „die Herrschaft Gottes, am tiefsten in der Art seines eigenen Lebens erscheint”. Die Grenzenlosigkeit des Gottes, der „da ist für alle, die ihn nötig haben”, wird von Jesus selbst vollzogen in der provokatorisch unstimmigen Zusammensetzung seines Jüngerkreises, der Zöllner und Zelot umfaßt, in der weder als Bußbewegung noch als Gesetzesobservanz, auch nicht als monastische Absonderung angestrebten Sammlung ganz Israels, wofür die Berufung des Zwölferkreises als symbolkräftige Handlung steht. Für die Frage nach Jesus selbst ergibt sich die folgende Antwort: Er steht einzigartig auf der Seite Gottes; das menschliche Verhalten ihm gegenüber ist ununterscheidbar von dem gegenüber Gott. Seine Sendboten sind Gottes Boten; oder wie es dann Johannes 10 in der angemessenen Konsequenz sagt: „Ich und der Vater sind eins”. Das besagt im Zusammenhang des irdischen Jesus: Die „alles bestimmende Identifikation seiner Sache mit Gott ist das eigentliche Geheimnis der Wirksamkeit Jesu”. Darum nimmt er, dem Gott sein Vater (Abba) ist, sich auch nie mit anderen zusammen. Was Jesu Selbstanspruch anlangt, so findet sich als einziger Titel in seinen eigenen Worten der des Menschensohnes. Das dornige exegetische Problem dürfte über die Sätze dieses Kapitels hinaus in der nachstehenden Weise zu entwirren sein: In besonderer Jüngerbelehrung hat Jesus sein „Thema”, die anbrechende Herrschaft Gottes, personalisiert, indem er sich mit dem eschatologischen „Sachwalter Gottes” identifiziert. Das präzisieren dann die Evangelien durch die Jesu Verhalten und Wort bekräftigende Aussage: „Jesus war bereits auf Erden der Menschensohn, der Repräsentant Gottes, dessen Wort Gottes Wort, dessen Tat Gottes Tat war.” Von daher müßte dann freilich die Rede von der „Sache Jesu” korrigiert werden! Im Fazit der Überlegungen des Kapitels finden sich problematische Kategorien, in denen neuprotestantisches Erbe der kritischen Exegese virulent wird. Wir hören, die Jesus bestimmende Vater-Sohn-Beziehung sei nicht „nach Art eines” (welches?) „Naturzusammenhangs” zu denken, sondern als „ein Verhältnis, das in Freiheit angenommen worden ist”, als „total von der Liebe bestimmtes Leben”. Dazu hier nur eine Gegenfrage: Wird nicht durch die ontologisch ungeklärte Polemik gegen den „Naturzusammenhang” die Einsicht verdeckt, daß Jesus sich nicht durch sein Verhalten ins Verhältnis setzt, sondern es als ihm zugrundeliegendes vollzieht, daß also in ihm selbst die Gegenwart Gottes da ist und nicht erst von ihm ethisch erwirkt wird?
Historisch wird der Tod vom Sicherheitsrisiko (Joh 11, 47-50) für Synedrium und Römer her erklärt, theologisch unter die Kategorie der Stellvertretung im Sinne von Jes 53 gebracht. Darauf weisen auch die Deuteworte des höchst wahrscheinlich historischen letzten Mahles. Die zentrale Relevanz der „Botschaft von der Auferstehung” kommt klar zu Wort. Sie ist „kein zusätzliches . . . überflüssiges Anhängsel an den Jesus-Bericht der Evangelien”. Der Versuch, den Osterglauben in der Initiative der Jünger zu begründen, ist gerade historisch die unglaubwürdigste Lösung. Die Rede, „Jesu Sache” gehe weiter, übersieht den springenden Punkt, daß gerade nun Jesus selbst „die Sache” ist und wird, aber nicht so, daß es um die „Rückbindung an die Gründerpersönlichkeit” ginge. Mit all dem werden die ab Reimarus datierten kritischen Probleme nicht weggewischt. Der Ausweg aus dem sterilen Gegeneinander von steifer Behauptung und spitzer Wegerklärung wird durch genaue Analyse der Texte gesucht. Dabei begegnen erhellende Einsichten, wie die, daß wir in den „Theophanie-Erzählungen” der Genesis, „etwa der von der Gotteserscheinung vor Abraham (Gen 18) die stärksten Parallelen zur Form der Osterberichte haben”. Die detaillierte Durchsicht von 1. Kor 15 und der Evangelien bringt das Ergebnis, daß „sie einhellig das eine und selbe Ereignis bezeugen”; davon ist auch angesichts der erheblichen „Unterschiede in der Einzeldarstellung” nichts abzumarkten. Doch vom Alten Testament her (Ps 22; 69) laufen Linien des Verstehens, die zeigen, daß der Auferstehungsglaube die letzte Konsequenz des Glaubens an die Treue Gottes ist. Daran orientieren sich auch die Evangelien (Mk 12,18 ff.). Diese Treue Gottes wird im Osterzeugnis mit Jesus selbst verbunden. Das besagt für uns negativ: „wer . . . entschieden sagt, daß Jesus im Tode geblieben ist, kann Jesus nicht mehr den Anspruch abnehmen, mit dem seine Geschichte in der Welt ein für allemal verknüpft war: Sachwalter der Herrschaft des lebendigen Gottes zu sein.” Das heißt in Übereinstimmung mit dem Neuen Testament: „Gott hat sich auf die Weise, die dem ‚Gott der Lebenden’ angemessen ist, mit Jesus . . . identifiziert” und zwar als „Identifikation für uns.” „In der Auferstehung Jesu hat sich Gott als die Liebe erwiesen”, indem er sich zu Jesus „bekannt und” ihn „unwiderruflich bestätigt” hat. Im Blick auf einige der abschließenden Wendungen habe ich allerdings Bedenken. Kann man die Auferstehung Jesu dahingehend interpretieren, daß von der Liebe als der „Grundkraft” gesprochen wird, „die die Welt trägt”? Ist das nicht verallgemeinernder „Naturalismus”? Oder: „In Jesu Auferweckung ist unser Leben als - ewiges -, den Tod überwindendes Leben gekennzeichnet.” Paulus redet in Rom 6 differenzierter und präziser! Wissen die Verfasser, was sie sagen, wenn sie die Frage nach der „Lebendigkeit Jesu” so beantworten: „Die Jünger Jesu bezeugen und verwirklichen tatsächlich jene Liebe, die Jesus in seinem Leben und Sterben als Gottes Wesen sichtbar gemacht hat.” Verwirklichen sie Gottes Wesen? An diesem Geschäft sollte man sich besser nicht beteiligen. Man sieht, die Ethisierung des ontologischen Modells der Entelechie (Aristoteles) führt vor die schon einmal genannten Probleme. Das mindert den Dank für dieses besonnene und entschiedene Kapitel nicht: „Mit der Auferstehung Jesu steht und fällt der ganze Glaube.” Im 9. Kapitel - „Gott in Jesus Christus” - wird die Differenz „zwischen dem Anspruch Jesu selbst und seiner Erklärung in der Urkirche” als Unterschied erhellt, aber zugleich als immer wieder behaupteter Widerspruch bestritten. Im einzelnen habe ich hier stärkere Bedenken als bislang. Die Antithetik läuft zuweilen simplifiziert. Spricht Paulus von Christus, aber nicht von Jesus? Ist der Vergleich von Rö 1, 3 f. mit Mk 1, 11 gelungen? Läßt sich das Verhältnis von Evangelien und Briefen im Auferstehungszeugnis als Unterschied von „Erhöhung” (Phil 2) und „krönendem Abschluß der Geschichte Jesu” (Abschluß?) verstehen? Wovon spricht Mt 28? Basiert die Rede von der den Evangelien unterstellten „Rückbindung an den Irdischen” nicht auf der Voraussetzung einer unbelegbaren Unterbrechung? Wird in der Serie der von Markus bis Paulus reichenden acht christologischen „Entwürfe” deutlich, daß es sich dabei um Akzentuierungen handelt, deren Eindeutigkeit weithin nur bibelkundlicher Natur ist, die keineswegs gegenseitig exklusiv sind und schon gar nicht die Meinung von der „Variante” Christologie begründen können? Aber vielleicht sind diese Anfragen an die Darstellung der paulinischen Christologie mit dem vorliegenden Text durchaus zu vermitteln. Dafür spricht der als wahrhaft ökumenisches Ereignis zu bezeichnende Höhepunkt des Paulusabschnittes: „Rechtfertigung aus Glauben.” Die Folgen sind nicht abzusehen, wenn die hier getroffenen Feststellungen durchschlagen. „Der einzigartigen und ausschließlichen Heilsbedeutung von Tod und Auferstehung Jesu entspricht bei Paulus folgerichtig, daß das Heil des Menschen kompromißlos vom Christusglauben abhängt.” Gegen jedes „Christus und...” steht das auch Paulus bestimmende sola fide. Beglückt kann der Exeget auf den Konsensus in der ökumenischen Bibelübersetzung hinweisen, die den lange umstrittenen Vers 28 in Rom 3 so wiedergibt: „Denn wir sind der Überzeugung, daß der Mensch nur (!) durch Glauben gerecht wird, unabhängig (!) von Werken des Gesetzes.” Die Meinung, es handle sich dabei um eine paulinische Sonderlehre, wird durch die Feststellung abgeschnitten: „das - Allein - entspricht der Botschaft Jesu”. So kann die in der Tat fundamentale Aussage formuliert werden: „Die paulinische Verkündigung der - Rechtfertigung durch den Glauben allein - hat als verbindliche Auslegung des Evangeliums zu gelten.” Indem Rechtfertigung als „neues Verhältnis zu Gott” bestimmt wird, kommt auch die entscheidende systematische Kategorie in den Blick. Der exegetische Durchgang wird im 10. Kapitel „Gott, Sohn, Geist” mit pneumatologischen Aussagen weitergeführt, die von Gen 1, 2 - „Gottes eigene ruach (Geist) ist jeder Selbstgestaltung des Chaosmeeres zuwider” - bis an die Schwelle trinitarischer Präzisionen reicht und den Geist als Kraft, Gabe und Person verstehen lehrt. „Er ist nichts anderes als die Wirklichkeit der Nähe des Vaters und des Sohnes bei den Menschen und in der Welt”; er schafft so eine neue, aber gewiß keine gegenüber dem Jesusgeschehen zusätzliche Erfahrung. Sehr zu bedauern ist nur, daß Teil I des Buches davon nichts zu wissen scheint! Mit der Feststellung, daß „die Christen des Neuen Testamentes die Worte von Vater, Sohn und Geist nicht als Störung, sondern als Hinweis auf den unendlichen Reichtum ihres Gottesbildes” (Ausdruck?) „empfunden haben”, wird der Übergang zur Einführung in die altkirchliche Trinitätslehre und Christologie erreicht. Dieses 11. Kapitel - „Gottes Gottheit und Menschheit” - bietet vor allem für das hier besonders desorientierte protestantische Bewußtsein hochnotwendige Hinweise. Der jahrhundertelange geistige Prozeß, in dem der christliche Glaube die griechische Geisteswelt mit ihren eigenen Waffen niederringt, wird als Musterbeispiel gerade für das gegenwärtige Denken des Glaubens erschlossen. Die „ungeheuerliche Herausforderung an Juden, Griechen und römischen Staat” führt zur Ausbildung des trinitarischen Gottesverständnisses. Zuerst war die jüdische Konzeption der Einheit Gottes, die ihn „als in sich geschlossenes und verschlossenes Wesen” fixiert hatte, zu überwinden; dann mußte gegenüber dem Heidentum die lebendige Einheit von Selbstsein und Partizipation - „der Vater in mir, ich im Vater” - in Gott, das Zugleich von Transzendenz und Eingang in die Geschichte herausgearbeitet werden. Der christologische Abschnitt legt den neutestamentlichen Ursprung frei - Joh 1, 14 - und rafft den verschlungenen Weg der Lehrbildung pädagogisch beispielhaft. Die Fehlgänge im Prozeß werden vom Zwang der Kriterien griechischer Wirklichkeitsauslegung her verständlich (u. a. Apollinaris). Das Urteil über den Weg nach Chalkedon 451 setzt freilich Akzente, die dem reformatorischen Theologen Mühe machen (zu Theodor von Mopsuestia; der ethische Charakter des Gehorsams Jesu). Aus Mühe wird Unbehagen, wenn Maximus Confessor als der genuine Interpret von Chalkedon gelten soll. Ein Satz wie der folgende ist zumindest mißverständlich: „Je mehr Gottheit und Menschheit in dem einen Christus bleiben, was sie naturhaft sind, um so größer leuchtet das Geheimnis der Menschwerdung Gottes auf.” Wie wird hier der „Austausch der Wesenseigentümlichkeiten” zum Zuge gebracht? Warum bleibt Leontius und damit die unabdingbare Aussage von der An- und Enhypostasie der Menschheit Christi unerwähnt? In den Sätzen über das Menschsein Jesu, das „in seine menschliche Vollendung hineingeführt” werde, dürfte sich eher eine problematische Theorie über Natur und Gnade andeuten. Ist da die Christologie wirklich von der Hingabe Gottes selbst her verstanden? So sinnvoll es ist, die Zwei-Naturen-Christologie von Chalkedon als Anweisung und nicht als fixe Antwort zu deuten, so fragwürdig klingt der Satz, in Christus werde das Menschsein vollendet „in seiner Eigenständigkeit”. Die Lage wäre ungemein geklärt worden, hätte man dem Zitat aus „Gaudium et Spes” („Wer Christus, dem vollkommenen Menschen, folgt, wird auch selbst mehr Mensch”) eine gründliche Besinnung auf das christologische Pendant der Rechtfertigungslehre bei Luther, Brenz, Chemnitz und ihren Nachfolgern vorangestellt! Die vieldeutige Rede von Christus, „dem Höchstfall von ‚Menschentum’ und ‚Gotteinheit’”, hätte sich dann nicht mehr empfohlen. Auch die dankenswerte Korrektur der Teilhardianischen Schlußsätze von Teil I wäre vermutlich energischer ausgefallen! Die systematische Umsetzung der Christologie in Kapitel 12 - „Gottes sichtbare Liebe” - bringt nach guten Anfängen fragwürdige Thesen und Einwände gegen „die klassische Lehre”. Mein Einwand gegen die im einzelnen dankenswerte Interpretation des Dogmas entzündet sich an dem ethizistischen und werkhaften Gefälle des Christusverständnisses, das Sätze wie diesen bestimmt: „Denn Gott und seine Liebe sind ja gerade dadurch in Jesus Person geworden, daß Jesus in vollkommener menschlicher Offenheit und Hingabe sich von Gott ergreifen ließ.” „Dadurch”? „Daß”? Dieser Fehlakzentuierung entspricht die Theorie von der universalen Heilslatenz Christi („überall wo ein Mensch versucht”), die im Buch selbst bestritten wird. „Der neue Mensch”. Insbesondere das 13. Kapitel - „Die neue Schöpfung” - ist hier zu nennen. Apologetische Anempfehlung der Glaubensverkündigung wird begründet verweigert; aus der Bindung des Heils an den Gekreuzigten die Orientierung an aufweisbarer Weltverbesserung bestritten, damit jedoch kein Ausweichen auf Zukunft und Hoffnung propagiert, vielmehr auf die in Christus unwiderrufliche Gegenwart der Liebe Gottes verwiesen, in der „unsere komplizierten Neuheitswünsche” sehr verändert aufgenommen werden. „Neue Schöpfung wird der Glaubende dadurch, daß er vor Gott bestehen kann, mit Gott ‚versöhnt’ ist”, in der Zuversicht zu Gottes verborgener Nähe. Die geschenkte Freiheit, die nicht mit ihren gesellschaftlichen Effekten identisch ist, ist vor allem die Annahme dessen, daß der Sinn schon gestiftet ist, daß wir „angenommen” werden, „wie wir sind”. Gerade so wird die Spannung zwischen dem Jetzt des reinen Erbarmens und dem Dann von Erbarmen und Gericht in den eschatologischen Sätzen gewonnen. Das 14. Kapitel - „Der alte Mensch” - will das „Fremdwort Sünde” als „Grundwort des christlichen Glaubens” artikulieren. Doch dürften dabei Abschwächungen nicht zu übersehen sein. Sie hängen zum einen am Abschied von supranaturaler Exegese, zum anderen an der angestrebten personal-ethischen Alternative zu einem biologistischen Mißverständnis von Erbsünde. Dadurch gerät der Text in die unbewußte Nähe zu Ritschls Ersatztheorie für die Erbsündenlehre. Die „zum Verhängnis auswachsende Verbreitung der Sünde von der Tat des einzelnen bis in die gesellschaftlichen Strukturen hinein” kann jedenfalls auf der Linie des „Reiches der Sünde” verstanden werden. So wird nur ansatzweise geleistet, was erreicht werden will, herauszustellen, daß „die Erbsündenlehre die Herausforderung der Botschaft des Glaubens auf die Spitze treibt”. Eine ungeklärte Spannung im Verständnis von Gesetz und Evangelium steckt in der Sprachanweisung: „Der Christ kann niemals von Sünde und Schuld sprechen, ohne zugleich auch von der in Christus verheißenen und zugesprochenen Vergebung zu sprechen.” Ist das denn in concreto unser Wort, wird Sünde nicht auch behalten? Auch die konfessionsspezifische Unterscheidung von „schwerer” und „läßlicher” Sünde müßte von daher angegangen werden. Das 15. Kapitel - „Gemeinschaft der Glaubenden” - wendet sich wieder weithin exegetischen Fragen zu. Es zeigt den Ursprung von Kirche in der Person - nicht in der Sache! - Jesu, beim Irdischen in der Konstituierung der Jüngerschaft durch Berufung, nicht durch Anschluß, nach Ostern in der Eigenart des „Sendungselementes” aller Auferstehungsberichte. Die Aussagen über den Ursprung der Mission harmonisieren etwas, um so differenzierter wird über Gemeindebildung und Ämter gehandelt, vielleicht gerade weil ein einfaches Votum gegenüber der Alternative Charisma-Ordnung fehlt. Die Gemeinde selbst ist als Versammlung Berufung durch das Wort und darum „ihrem Wesen nach keine Demokratie”. Dem Miteinander im Glauben entspricht ein Gegenüber aus besonderem Auftrag, den nicht alle haben. Die Ämter können also nicht als „Ausgliederung von unten” gelten. Hier werden tragfähige Elemente zur Verständigung der Konfessionen angeboten! Wenn der Leitungsdienst vom Verkündigungsauftrag her begründet wird und Kirche nicht „freies Spiel der Lebensäußerungen” sein kann, dann nicht, weil das hierarchische Prinzip doch noch installiert würde, sondern weil die Kirche als ganze, „die Wahrheit Gottes immer wieder gesagt bekommen muß”. Das 16. Kapitel spricht vom „Leben vor Gott” in Gebet, Gottesdienst und Sakramenten. Er stellt sich den modernen Schwierigkeiten bis hin zu den Kurzschlüssen von Bischof Robinson und D. Solle. Aus dem exegetischen Befund, bei Jesus verbinde sich selbstverständliche Übung des Betens mit der Mahnung, es nicht zu vernachlässigen, wird abgeleitet, die Schrift biete uns Heutigen den inneren Grund für die Notwendigkeit des Betens nicht. Die Lücke soll ein sprach-existentialer Auf weis der Untrennbarkeit von Glaube und Sprache füllen. Habeat! Nur sollten dabei Bittgebete und Erhörung nicht so kurzerhand ausgesetzt werden. Im Abschnitt über den Gottesdienst wirkt sich das analoge Verfahren - Ableitung aus der Sozialität des Glaubens - weniger peinlich aus. An Stelle kirchlicher Pflichtübung und aktionistischer „Planungsveranstaltung” wird der „Festcharakter” und die Berechtigung dieses Besonderen, unterschieden von „der widerständigen Wirklichkeit”, betont. Den Sätzen über die Sakramente möchte ich gerne bestätigen, daß sie ein Nein wert sind. Indem der Ansatz beim „Heilsmittel”, der gewiß seine interne Problematik hat, bestritten wird, kann die Alternative, der kirchliche Selbstvollzug, nicht mehr abgewehrt werden (Die Gemeinde „vollzieht in seinem Namen nach ...”); („Brennpunkt, in dem alles Leben und Tun der Kirche zusammenläuft”). Die Umorientierung wird zum Glück nicht exklusiv durchgehalten: „In Taufe und Herrenmahl geht es um das, was den Christen zum Christen macht.” Sind sie nun Mittel zum Heil oder nicht? Der Erfolg des Vorschlags ist nur der, daß die zwischen Rom und der Reformation stehenden Frage (wobei es doch beiden um die Mittel zum Heil ging!) kaum gefördert werden. Die Ausführungen über die Buße verweigern - leider auch dann im fünften Teil - die fälligen Konkretionen - Ablaß; die gutgemeinten Sätze zur Kindertaufe sind angesichts der spiritualistischen Herausforderung zu bedauern. Der vierte Teil - „Glaube und Welt” - bietet, gerahmt von teils problematischen (Kapitel 18 u. 19), teils unmöglichen (Kapitel 22) dogmatischen Ausführungen, eine in Grundlegung und ausgewählte Fragen gegliederte Ethik. „Der Mensch in der Geschichte” - Kapitel 18 - wird unter formalisierte Konsequenzen biblischer Sätze gestellt: Gal. 4, 4: wir sollen Welt und Geschichte als unser Dasein annehmen; Gen 1, 27: wir leben fundamental in Sozialität; Jesu Agape weist uns ein in die Suche nach „sozialistischen”, neuen Strukturen der Menschenliebe. Darauf folgen einsichtige Bemerkungen über die wahre Transzendenz des Menschen, der, von schlechter Endlichkeit und falscher Unendlichkeit bedroht, durch die Gnade des menschlichen Gottes die Welt „auf Hoffnung hin” als Ort erfährt, offen und „menschlich zu leben”. Man weiß nur nicht genau, soll man jetzt in den Alpenverein oder eine progressive Partei eintreten, oder gar zur Marine gehen: Aufbruch ins offene Meer? Auf schwimmende Elemente trifft der Leser jedenfalls in Kapitel 19 -„Geschichte und Kosmos”. Ich stieß auf zumindest zwei erhellende Einsichten: 1. Für Johannes ist Christi verherrlichter Leib raumzeitlich frei gegenwärtig; wir entdecken also Spuren der lutherischen Lehre von der sogenannten „Ubiquität”. 2. Wo nicht mehr gelten soll, daß unsere Welt unter dem Kreuz bleibt, breiten sich Illusion und Terror aus. Im übrigen bleiben fast nur Fragen. Warum wird die Übersetzung der neutestamentlichen Aussagen über Mächte, die Gott und Mensch trennen, verweigert? Ist die Welt nun „Gefährtin des Menschen” oder zu eigenem Aufstand fähiges „Subjekt”? Wird sie „nur durch die Tat des Menschen hindurch” restituiert oder ist sie „zuvorkommende Gnade Gottes”? Man sollte die Poetik nicht überstrapazieren! Die gebotene kosmologische Apologetik krankt am Ausfall zentraler philosophischer Gesichtspunkte. Mit der Frage, ob Gott einen Bezug zum außermenschlichen Universum habe, gerät der Verfasser vor das Problem der cartesianischen res extensa. Er packt es aber nicht an. So fehlt denn auch eine Erörterung der heute drängenden Umweltfragen, denen mit der steifen Behauptung, die Natur sei erneuert, nicht beizukommen ist, am allerwenigsten mit der Veränderung der Schöpfungsaussage aus einer Bestimmtheit der Welt in eine vom Menschen zu leistende Bestimmung. Der werkerische Ethizismus gleitet dabei ins nahezu Abstruse ab. Sein schließliches Spielfeld findet er in der Rede von der Einheit der Menschheit und im eleganten Synergismus, der menschliche Weltverantwortung mit Gottes Vorsehung verknotet. Die Ethik - Kapitel 20 und 21 - drängt energisch zur Begründung eines Ethos aus Glauben. Das radikale Gesetzesverständnis des Paulus und die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium werden, wenn auch „gebremst”, in Anschlag gebracht und kirchliche Traditionen kritisch bedacht, ohne daß die Herkunft des eigenen Denkens abgeschnitten würde. Daß der Streit zwischen Luther und Erasmus geschlichtet sei, ist eine gute, aber kaum richtige Nachricht. Die Interpretation von Sirach 15,14 - Gott wollte den Menschen „in der Hand seines Entschlusses lassen” - in Artikel 17 der Pastoralkonstitution des II. Vaticanums (vgl. Luther WA 18, 671 f.) belegt das schmerzlich. Die besonnene Behandlung von Einzelfragen zeigt in unterschiedlicher Stärke konfessionsspezifische Züge (v. a. „Grenzen der Wahrheitspflicht”, S. 494 ff.). Die Sexualethik führt die Probleme aus belastenden Verhärtungen heraus; die isolierte Zitation von Dt 22, 21 ff. ist untypisch. Der fünfte Teil thematisiert dann offene Fragen zwischen den Kirchen; virulent ist die Sache im ganzen Buch, das keineswegs Ausdruck jener „vorbehaltlosen” Gemeinsamkeit ist, die ihm auf Seite 546 attestiert wird! Im Blick auf die nun traktierten Themen zeigt sich: Es gelingt in der Tat, den Abtausch von Schlagworten zu beenden, bzw. als beendigt aufzuweisen. Die bloße Wiederholung längst bekannter Standpunkte begegnet kaum. Prozesse der Verständigung treten ins Licht. Eigene Positionen werden der Frage ausgesetzt. Begründete Zuversicht kann partiell ausgesprochen werden. Freilich, auch das andere muß gesagt werden: Die Beziehung zu den vorangehenden Teilen und ihren entsprechenden Aussagen fehlt mehr als einmal. Harte Kanten überlieferter Lehre werden abgeschliffen; die Tendenz geht auf Ermäßigung. Angebote zur Überwindung von Alternativen werden in den Handel gebracht, die bei ernsthafter Nachfrage nicht tragen können. Wird also das Verhältnis der getrennten Konfessionen in der angemessenen Tiefe und mit der notwendigen Energie reflektiert? Das ist nun im einzelnen zu prüfen. Kapitel 24 - „Schrift und Tradition” - führt den aufmerksamen Leser zu zwei Fragen:
Ehrlicherweise kommt der Text über ein vorsichtiges „man muß abwarten” nicht hinaus. Noch nüchterner ist das Kapitel 26 - „Die Sakramente”. Das evangelische Verständnis des Glaubens führt „zu einer anderen Anschauung von der ‚Wirkweise’ der Sakramente”. Das vorgeschlagene Remedium für den Dissens über die Präsenz Christi greift aber nicht: personale, nicht sachhafte Gegenwart; in der Opferfrage ist der springende Punkt kaum benannt: heilsrelevantes Handeln der Kirche auf Gott hin? Der Knoten „Priesterweihe und Ordination” zieht sich in der Folgerung zusammen, daß „es der katholischen Kirche verwehrt ist, das ohne einen gültig geweihten Amtsträger gefeierte evangelische Abendmahl als vollgültiges Herrenmahl anzuerkennen”; doch zeigt sich auch begründete Hoffnung auf Annäherung durch Wandel. Für die Buße bleibt das freilich Behauptung. Im Fazit kommen die entscheidenden Dinge zu Wort: „Man wird wohl nicht entscheidend weiterkommen, solange man dort nicht weiterkommt, wo der Grund des Protestes der Reformatoren liegt: in der Frage, ob das Heil tatsächlich ‚allein aus dem Glauben’ komme und in welchem Sinne.” Eine gemeinsame Antwort steht erst in ihren Anfängen. Das 27. Kapitel - „Die Ehe” - gibt historisch konturierte Informationen und seelsorgerlich abgewogene Hilfen. Der Streit um ihren sakramental-rechtlichen Charakter wird in einer stark forensischen Weise geschlichtet, deren Vermittlung mit der katholischen Sicht noch offen sein dürfte. Keine Verständigung ist in Kapitel 28 - „Maria” - zu vermelden. Der Abschnitt ist gut abgewogen - die „nestorianische” Kritik an Ephesus 432 abgerechnet. Christologische Verankerung soll ein Ausbrechen des Mariologischen verhindern; apologetische Anempfehlung ist zu spüren. Der Streit geht um ein angemessenes Verständnis der Kirche nicht nur, sondern christlicher Existenz überhaupt, implizit also wieder um die keineswegs ausgestandene Rechtfertigungsfrage. Der evangelische Protest gegen das ekklesiologische Element der Mariologie wird genannt: „daß die Kirche sich selbst nicht unter Christus stellt, sondern an seine Seite.” Die weitere Frage ist: wie sollte der Glaube gerechtfertigter Sünder sich selbst so zum Thema machen können, daß er „die erste der Christen” in makelloser „Urbildhaftigkeit” verehrt (vgl. zudem Mk 3, 21 und 31 ff.)? Die bedrängenden Fragen um die Kirche sind damit schon angeschlagen. Sie finden im stark historisierenden und paraphrasierenden I. Teil von Kapitel 29 kaum die adäquate Behandlung. Richtig gesehene, aber in der Wurzel unerhellte Unterschiede werden in ein unbegründetes Ergebnis gesammelt: „wesentliche Grundaussagen über die Kirche stimmen überein.” Aber dann wird es beim Amt doch noch einmal „wirklich schwierig”. Aber die Problematik ist „früher” anzusetzen: was heißt denn „gleichsam anvertraut”? Was geschieht in diesem das Wort Gottes betreffenden Subjektwechsel auf die Kirche hin? Wie kann dieses Wort in seiner selbstkräftigen Funktion bleiben, wenn der Papst - gewiß unter den genannten Kautelen - „als Garant der Einheit von Glaube und Kirche unmittelbar die Gnadengabe des Geistes besitzt, die ihn bei solchen Entscheidungen vor Irrtum bewahrt”? Eben solche Unmittelbarkeit eignet der Kirche nicht. Denn sie nimmt an der Treue Gottes nicht! teil. Das ungeklärte ontologische Modell von Partizipation taugt nicht, das durch keine Institution zu sichernde und zu garantierende, vielmehr vom Subjekt Christus verheißene und durch die Schriftverkündigung vollzogene Bleiben der Seinen in der Wahrheit - ecclesia perpetua mansura CA VII - wahr zu machen. Gewiß, „es muß zuverlässige Glaubensaussagen geben können”. Dafür sorgt der allein unfehlbare Gott durch die verkündigte Schrift in der Communio Sanctorum, auch und gerade „in Notsituationen”; sakralrechtlich sichern läßt sich das nicht. Denn das Wort der Kirche ist nicht „ihr Wort”. Das bedeutet keine spiritualistische Perhorreszierung (Verabscheuung) von Amt und Dogma, auch nicht Blindheit gegenüber den faktischen protestantischen Mängeln. Ein im Buch fehlender Beitrag über das lutherische Verständnis des Bekenntnisses hätte das klarmachen können. „‚Rechtfertigung durch den Glauben allein’ hat als verbindliche Auslegung des Evangeliums zu gelten”, „bleibend verbindlich und in diesem Sinne unüberholbar.” „Verharren” wir damit „in altem Gegensatz”? - so die Sprachregelung des Schlußkapitels - „Die Bedeutung der Konfessionen - heute”. Seine Konsequenzen sind als Abschluß des fünften Teiles überraschend. Was meint das „kaum noch” bei der Verabschiedung der einst kirchentrennenden Gegensätze: Rechtfertigung, Schrift und Tradition, Glaube, Kirche? Der fünfte Teil zeigte weithin das „Noch”; die Teile 2-4 ließen beim entschlossenen Hören auf die Schrift und ihre Bezeugung in kirchlicher Lehre das „Schon” gewonnener Übereinstimmung, aber auch fortwirkende Differenz und neu Problematisches erkennen. Welchen Rang hat „die Zeit” und die ihr zugeschriebene, das 18. Jahrhundert repetierende Umthematisierung auf Theodizee, Rechtfertigung des Anspruchs Christi vor Menschheitsgeschichte und Religionen, auf Chance und Daseinsrecht des Glaubens, auf die Frage nach dem Beitrag zu „Sinnerhellung” und „Bewältigung der Weltprobleme” bis hin zur „Hoffnung für die Möglichkeit der Zukunft”? Was ist dieses „Wort des christlichen Glaubens überhaupt”, in dem das „Konfessionsspezifische” eben noch „mitklingt”? Wie verdankt es sich der Dynamik auf Zukunft hin? Inwiefern sind „fundamentale Aussagen des Glaubens heute gefragt”? Nicht „das Erlebnis der neuen Gemeinsamkeit”, die „beglückende Bewegung auf ihrer Seite hat”, nicht hypothetische Konstruktionen, die „Einheit und Vielfalt” der Konfessionen für „diese Übergangszeit” nach dem spätmittelalterlichen Modell theologischer Schulen arrangieren, vielmehr die unbedingte Zuwendung zum Evangelium im Zeugnis der Schrift und im Widerhall der kirchlichen Lehre, die bohrende Erörterung der fundamentalen Differenzen und der uns allen fehlende Ernst, im Horizont der Frage nach dem ewigen Heil miteinander zu verhandeln, tut den gewiß nicht mit der Zusage der Unvergänglichkeit ausgestatteten Konfessionen not, um sie zu Instrumenten Gottes zur Rettung seiner Welt zu machen. Das Schlußkapitel schreibt den Kirchen zugleich zuwenig und zuviel zu; zuviel, weil es die Kirchen als verfügende Subjekte eines neuen Selbstverständnisses ansetzt, zuwenig, weil es die Funktion der Kirchen im Heilsgeschehen, über dessen Bedeutung und Bezeugung die Brüche auftreten, nicht streng genug faßt. Die schwere Frage, vor der die Alternative Beharrung oder Bewegung verblaßt und die über uns allen liegt, empfinde ich so: Dient die Kirche der Reformation noch und die römisch-katholische Kirche wieder und schon dem endgültigen Heil in Christus für unsere Gegenwart? In einem eher betrübten als zornigen Nachtrag sei noch auf den ersten Teil - „Die Frage nach Gott” - verwiesen. Er fügt sich mit den anfechtbarsten Passagen des vierten Teiles zusammen, wird aber zum Glück von weiten Teilen des Werkes, das also keineswegs ein Ganzes ist!, dementiert. Gewiß sind die Schwierigkeiten eines gemeinsam begehbaren Einstiegs in Rechnung zu stellen, aber mußte man auf die ungereinigte Korrelation Frage des Menschen und Antwort des Glaubens - bei Tillich und Emil Brunner liest sich das besser - verfallen? Was soll die Hypostasierung von Geschichte, die - im Zitat - behauptete Selbstrettung des Menschen, die verbal entschiedene, aber tatsächlich matte - „Letztes Jahr in Marienbad” - Kritik am Marxismus, die das sola gratia als nicht „allein aus dem menschlichen Handeln” interpretiert (vgl. Luther: modicum fecimus nos, WA 18, 749; Cl III, 247)? Mußte, wieder einmal!, in die Zukunft aufgebrochen werden und das durch Erwählung und Verheißung bestimmte biblische Wort vom Exodus in eine generalisierte Wanderungsideologie verwandelt werden, die sich in spiritualistischen Geschichtstheorien von Joachim bis Teilhard und Heidegger wiederfindet, Auferstehung als pauschale Bejahung von Welt ausgibt und statutarischen Dogmatismus durch synergistischen Aktionismus konterkariert im Glauben an den „guten Sinn der ganzen Geschichte”? Thomas wird als Beginn einer „Säkularisierung” entdeckt, Kues und Eckhart gelten als Überwinder schlechter Konkurrenz zwischen Welt und Gott; daß hier v. a. seit Augustin schwere Probleme sitzen, ist unbestreitbar, aber das hätte - etwa im Gespräch mit Blumenberg - gezeigt werden müssen! Die Ausführungen über die Reformation sind weniger problematisch. Zu Schleiermacher und Hegel wäre mehr und anderes zu sagen. Die „Symphonie” der Genfer Konferenz von 1966 mit „Gaudium et Spes” ist so „erstaunlich” leider nicht und weckt Erinnerungen an anderen Wagemut, der vor vierzig Jahren in Deutschland „Zur Begegnung mit Gottes Willen in der Geschichte aufbrechen” wollte. Das Atheismus-Kapitel 3 leidet, trotz guter Aussagen, an dem Mangel des ganzen Buches, die ontologische Frage nicht zu thematisieren und den Komplex „natürliche Gotteserkenntnis” unberücksichtigt zu lassen. Das Maximum an Fatalitäten offeriert Kapitel 4 - „Die Frage nach Gott, heute”. Es argumentiert „unter einer Bedingung: daß wir von dem, was wir da ‚Gott’ nennen, Sinn erwarten dürfen”. Damit verschreibt es sich eben den Prämissen der hier ungeklärten metaphysischen Rede von Gott. Die Explikation gerät auf „den verschlissensten, undeutlichsten, korruptesten philosophischen Begriff, den des Sinns” (siehe K. G. Steck in Lutherische Monatshefte 1973, 12. Jahrgang, S. 428; dort als Zitat). Den Modus der Entfaltung darzustellen, können wir uns ersparen. Die Sache läuft-wiewohl nicht beabsichtigt-auf ein Attentat auf das „sola gratia” hinaus. Daß so der christliche Horizont der Frage nach Gott nicht erreicht wird, nimmt nicht wunder. Ein donum superadditum des Fragenden verschafft den Anschluß: „wir könnten geneigt sein zu fragen . . .”. Der liebe Gott wird sich freuen! Oder wird er die ihm zugedachte „Personenbeschreibung” zurückweisen: „ein Gott” zu sein, „der sinngebend offenbar wird, wo immer wir auf Gerechtigkeit hin aus Liebe handeln”? Diese Theologie neben der geschlossenen Bibel sieht in Teilhard den Kronzeugen eines Glaubens, dem „der Mensch durch sein Handeln über die Zukunft der Welt und damit über ihren Sinn entscheidet”. Die „Super-Person” Gott liefert höchstens noch zusätzliche Mystifikationen. Die empfohlene Einfügung „in den Prozeß des Ganzen” mag einem christlich getönten Faust auf seinem Weg „zum Himmel durch die Vollendung der Erde” angemessen sein; christlicher Glaube, der Jesus Christus nicht als Prinzip und Dokumentation einer Liebe glaubt, die von Johannes 3,16 durch mehr als Rufweite geschieden ist, wird sich all dem weder fügen noch einfügen. Fazit: Der Leser überblättere den ersten Teil des Buches; im weiteren wird er Erhellung und Einsicht, Anstoß und Fragen finden. Ein Schritt in der allen Christen heute gebotenen Richtung, auf Christus und in ihm auf unsere Einheit hin, ist das Werk nur zum Teil. Quatember 1973, S. 195-211 |
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