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Ein bunter Kirchentag
von Reinhard Mumm

LeerSeit Jahren schon spiegelt der deutsche evangelische Kirchentag wider, was sich im Raum des Protestantismus begibt. Da geht es mit Leidenschaft um Fragen des Glaubens. Gefühle und Emotionen spielen eine große Rolle. Das war zu merken, als Dorothee Steffensky-Sölle und Helmut Thielicke gemeinsam auftraten. Über ihre bekannten Gedanken hinaus bewies Frau Sölle eine ausgesprochene Feindseligkeit gegen Präsident Nixon. Daß Christen in der Sowjetunion verfolgt werden, erfuhr man nicht von ihr, sondern von einer Gruppe, die Bilder der verhafteten Baptisten am Ausgang des Rheinstadions aufgestellt hatten. Auch in Düsseldorf gab es Diskussionen und Kontroversen, wie wir sie seit etwa zehn Jahren auf den Kirchentagen erlebt haben, am schärfsten wohl in Stuttgart 1969.

LeerAber nicht diese Kämpfe bestimmten vorwiegend das Bild von Düsseldorf. In den Vordergrund trat die Freude an phantasievollen Einfallen, am Spiel, an der Feier in neuen Formen. Es fiel auf, wie stark die Jugend dominierte. Die großen Scharen der Gemeindeglieder aller Jahrgänge waren erst in der Schlußversammlung zu sehen. Sie überstiegen in der Zahl freilich kaum die des Gemeindetages der bekennenden Gemeinschaften am Himmelfahrtstag in Dortmund.

LeerZunächst machte es Freude, mitzuerleben, wie gelöst, manchmal ausgelassen, dann aber auch ernsthaft beteiligte junge Menschen in der bunten, lockeren Art, die ihnen eigen ist, sich an dem höchst vielfältigen Angebot dieses Kirchentages beteiligten. Das war vor allem in der Halle 6 zu beobachten. Im ersten Stockwerk hatte man ein „Kommunikations- und Informationszentrum” eingerichtet. Warum benutzt man eigentlich so viele Fremdwörter für ein solches Unternehmen? Mehrfach gab es Seufzer über diese sprachlichen Ungetüme zu hören. Zur Abhilfe dagegen tauchte hier das Kurzwort „Kiz” auf. Im „Kiz” ging es außergewöhnlich bunt und lautstark zu. Man malte, vergnügte sich auf Kunststoffgebilden, bastelte, musizierte und sang. In Rollstühlen konnten Gesunde umherfahren, um zu erleben, wie es Gelähmten geht. Spastiker und andere Behinderte wurden bei fröhlichen Umzügen mitgeführt. Ein Stockwerk höher hatte sich eine Gruppe „Schalom” eingerichtet. Der Gesamteindruck in diesem Raum unterschied sich nicht viel vom Kiz.

LeerMan kann fragen: Was hat dergleichen mit einem Kirchentag zu tun? Zur Antwort wird darauf verwiesen, es gehe darum, Beispiele und Anregungen für ein gelöstes, fröhliches Leben zu geben. Das Evangelium sei doch eine froh machende Botschaft und nicht dazu bestimmt, nur tiefen Ernst zu verbreiten und die Christen zu einem stundenlangen Zuhören auf Bänken zu veranlassen. Darüber kann man nachdenken. Ganz ausreichen wird ein solches happening freilich nicht, um deutlich zu machen, was das Evangelium uns bringt. Die Teilnahme junger und älterer Menschen war aber nicht nur hier zu spüren und nicht nur in den Sachgruppen mit Vorträgen und Aussprachen, sondern auch dort, wo es ganz persönlich zuging im Gespräch zwischen einzelnen und kleinen Gruppen.

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LeerSo hatten die Bruderschaften - angelehnt an die guten Erfahrungen bei dem ökumenischen Pfingsttreffen in Augsburg - ein Foyer eingerichtet mit einer Cafeteria in der Mitte und lockeren Sitzgruppen ringsum. Wir danken es Abt Athanasius Polag und seinen Mitbrüdern von Trier, dazu den anwesenden Benediktinerinnen, daß sie im Wesentlichen diesen Platz besetzt hielten. Außer der Michaelsbruderschaft waren sonst nur sporadisch evangelische Kommunitäten und Bruderschaften beteiligt. Warum fehlten sie diesmal? Hier gab es gute Gelegenheiten, im offenen Gespräch auf die Besucher einzugehen. Die Schriftentische waren begehrt, ihr Material reichte nicht aus. Viele fragten nach diesen Gemeinschaften. Ein anglikanischer Theologe der Community of Resurrection (Mirfield) repräsentierte die außerdeutsche Ökumene.

LeerWer das persönliche Gespräch unter vier Augen suchte, fand nebenan Gelegenheit, einen fachlichen Berater oder Seelsorger zu sprechen. Seit 1956 bereitet der Ständige Arbeitskreis, den der Kirchentag eingesetzt hat, mit Sorgfalt und Liebe diesen Dienst unter den jeweils wechselnden Bedingungen vor. Psychologen und Mediziner, Juristen und Pfarrer, Männer und Frauen mit seelsorgerlichen Erfahrungen halten sich bereit für private Gespräche. Schwestern empfangen die Ratsuchenden und vermitteln einen geeigneten Seelsorger oder Berater. Abgeschlossene Räume waren vorhanden. Wir hatten diesmal häufiger als in Stuttgart die Einzelbeichte zu halten. Dieser stille Dienst des Kirchentages verdient genannt zu werden. Er eignet sich nicht für Presseberichte. Um so wichtiger ist er für einzelne Menschen, die manchmal nur deswegen den Kirchentag besuchen.

LeerIn der Frühe hielten wir eine kurze Besinnung miteinander. Zur Mittagsstunde luden die Benediktiner und die Michaelsbruderschaft zum Gebet ein. Gegen 18 Uhr folgte ein „Abendgebet zur Sache”, das von über tausend Menschen besucht wurde. In großer Stille wurde bedacht, was der Tag gebracht hatte. Vielen tat diese betende Besinnung wohl.

LeerDie Michaelsbruderschaft, vor allem der rheinische Konvent, brachte in das Gesamtprogramm des Kirchentages eine Evangelische Messe zur Eröffnung in der Pauluskirche von Unterrath ein. Hier erlebte die Gemeinde die Liturgie und Sakramentsfeier in der vertrauten Form. Am Sonnabend vereinte sich die Schar der anwesenden Brüder in der zentralen Johanneskirche mit den Kirchentagsbesuchern zu einer Eucharistiefeier, die in neuer Gestalt von Kantor Hinz (Hamburg) komponiert war. In einer großen Bewegung wurde der ganze Kirchenraum einbezogen. Der Akt der Darbringung zeigte eindrucksvoll, wie Brot und Wein mit dem Opfer der Gemeinde zusammengehören. Der Friedensgruß und die Austeilung an drei Altären belebten den Gottesdienst in bester Weise.

LeerEin Kreis der Teilnehmer, der zurückblieb, spiegelte wider, wie unterschiedlich diese Feier gewirkt hat. Mehrere äußerten sich ausgesprochen dankbar; andere brachten Kritisches vor. Manches konnte im Gespräch geklärt werden. Diese Eucharistiefeier hat, auf das Ganze gesehen, gezeigt, welche Möglichkeiten der Entfaltung in der Bruderschaft stecken. In der Regel werden wir uns freilich auf die wesentlichen Stücke der Liturgie in einfacher Form mit einer gewissen Konstanz zu beschränken haben. Bei aller Liebe zu neuen Versuchen braucht die Gemeinde das Gefühl der Geborgenheit im Gottesdienst und darum vertraute Formen. Diese Überzeugung wurde gleicherweise in der Arbeitsgruppe laut, die sich mit dem Thema „Gottesdienst” befaßte. Mehrere Brüder waren aktiv in Arbeitsgruppen tätig, so in der schon genannten für den Gottesdienst, weiter in der, die sich mit den Problemen des einzelnen Menschen befaßte, und in der Gruppe, die den ökumenischen Beziehungen galt. Dies alles bildet nur einen Ausschnitt aus einem Kirchentag, der höchst verschiedene Aspekte zeigte, den man durchaus kritisch ansehen kann und der dennoch uns eine Aufgabe stellt für die Zukunft.

Quatember 1973, S. 231-233

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-08
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