Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1973
Autoren
Themen
Stichworte

Entwicklung der ökumenischen Lage
von Reinhard Mumm

LeerLieber Bruder, in Deinem letzten Brief an mich stellst Du die Frage: Müssen wir über die Entwicklung der ökumenischen Lage besorgt sein, müssen wir gar pessimistisch denken? Oder gibt es trotz manchen unverkennbar negativen Anzeichen dennoch Anlaß, zuversichtlich weiter zu arbeiten? Diese Frage bewegt nicht nur Dich und mich, sondern viele Christen in den verschiedenen Kirchen, auch führende Theologen. Darum, meine ich, darf ich Dir hier antworten. Es gibt in der Tat mehr als ein Anzeichen, das darauf hindeutet, wie empfindlich, besonders in der römisch-katholischen Hierarchie und auch sonst in dieser Kirche, akademische Theologen und einzelne Pfarrer sich in letzter Zeit geäußert und verhalten haben. Als Beispiel nehme ich das Memorandum über die Amtsfrage, das von sechs deutschen ökumenischen Universitätsinstituten veröffentlicht und dann von der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz so scharf abgelehnt worden ist. Hinzu kommt der Streit um Professor Küng, der das Memorandum mitverfaßt hat, und das Aufsehen, das die Direktiven des Straßburger Bischofs Leon Elchinger verursachen. Ich sehe jetzt von den zum Teil nicht glücklichen Verfahrensfragen ab, die den öffentlichen Streit verschärft haben. Selbst wenn diese Dinge, die den gegenseitigen Umgang miteinander betreffen, harmonischer verlaufen, bleibt doch der Eindruck, daß der große Schwung, der während und unmittelbar nach dem II. Vatikanischen Konzil durch die abendländische Christenheit ging, jetzt einer verbreiteten Vorsicht, um nicht gar zu sagen, einer Ängstlichkeit und Nervosität gewichen ist.

LeerIch meine, diese Entwicklung sollten wir zu verstehen versuchen. Sie ist begreiflich. Die teilweise stürmischen Veränderungen in der weltumfassenden katholischen Kirche brauchten Jahre, um überall bewußt zu werden. In mehreren Kirchengebieten und vielen Gemeinden sind sie sehr weit gegangen, so daß auch evangelische Christen kritische Gedanken kommen konnten. Daß gegenläufige Reaktionen auftauchen, ist natürlich. Die Sorge der Bischöfe, daß ihre Kirche von Gegensätzen zerrissen wird, sollten wir respektieren. Bedenken wir, wie die ältere Generation in allen Kirchen noch unter ganz anderen Voraussetzungen aufgewachsen ist, dann kann es nicht Wunder nehmen, wenn nun erst einmal wieder die Stimmen derer laut klingen, die warnen und mahnen. Hinter diesen Vorgängen steckt noch eine tiefere, grundsätzliche Frage: Was erwarten wir denn von der ökumenischen Bewegung? Erwarten wir von ihr eine übergreifende Kirchengemeinschaft, in der die Konturen einer jahrhundertelangen Entwicklung sich auflösen zugunsten einer neuen Einheit? Das wäre doch sehr ungeschichtlich gedacht. Oder erwarten wir Formen einer im Evangelium begründeten Gemeinschaft, die sich frei vollzieht, ohne die Gewissen zu drängen und zu zwingen? Nach meiner Vorstellung hat nur diese zweite Form eine Verheißung in der ökumenischen Bewegung. In dieser Erwartung glaube ich, mit Dir einig zu sein, und ich wünsche mir, daß auch andere diese Erwartung teilen. Als wir anfingen, uns in ökumenische Gespräche einzulassen, haben wir doch manchmal festgestellt: Wer in seiner Kirche fest wurzelt, ist gerade darum gut geeignet, die wachsende Gemeinschaft zu suchen und zu verwirklichen. Diese Erkenntnis des Anfangs gilt auch heute noch.

LeerVon dieser Erkenntnis her können wir sehr verschieden weit gehen. Es hat Situationen gegeben und wird sie immer wieder geben, in denen wir über die Gemeinschaft unter dem Wort und im Gebet vordringen bis zur gegenseitig gewährten Gemeinschaft im eucharistischen Mahl. Das kann freilich nur geschehen, wenn wir uns beiderseits dazu innerlich ganz frei wissen. Keinesfalls können wir eine solche Tiefe der Gemeinschaft verlangen oder fordern von denen, die sich dazu in ihrem Gewissen nicht frei wissen. Wo es Hemmungen gibt, sollten wir uns zunächst über andere Möglichkeiten der Gemeinschaft freuen, die freiwillig gewährt werden. Da gibt es vielerlei auf dem Gebiet der Diakonie und in anderen Bereichen, was uns verbindet und gefördert werden kann. Wenn wir davon durchdrungen sind, daß hinter den ökumenischen Bemühungen der eine Herr steht, dann sollte es uns nicht an der Geduld fehlen, auch nicht an Einfällen, immer neue Wege zu suchen.

LeerInsgesamt: Wir brauchen den langen Atem in der Geschichte, durch die Gott uns führt. Da geht es bergauf und bergab, es gibt gute und mißliche Erfahrungen. Durch beide müssen wir hindurchgehen und dürfen Rückschläge nicht gleich als ein Ende ansehen. Jede Kirche und jede Glaubenshaltung wird in einer Weise ihre Eigenart und Identität beibehalten. Aber wir bleiben umfangen von dem einen tragenden Grund und dem uns vorgesetzten Ziel. Im Blick darauf haben wir keinen Anlaß zu verzagen, sondern dürfen getrost weiter arbeiten.

Quatember 1973, S. 251-252

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-08
Haftungsausschluss
TOP