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Societas Liturgica in Montserrat
von Herbert Goltzen

LeerIn der Benediktinerabtei Montserrat hielt die „Societas Liturgica” vom 24. bis 28. August 1973 ihren Kongreß. Diese „Internationale und interdenominationale Gesellschaft für das Studium und die Erneuerung der Liturgie” wurde 1966 in Driebergen in Holland gegründet. Alle zwei Jahre hält sie ihren Kongreß, dieses Jahr in Katalonien unter dem Thema „Common Prayer today” (Das gemeinsame Gebet heute). Mehrere Tage fuhren wir durch die Schweiz, die Provence und Camargue. Im Palast der Päpste in Avignon bot die Kapelle gerade eine große Picasso-Ausstellung mit Bildern, in denen Nasen, Augen, Brüste usw. kreativ an unmöglichen Stellen vertauscht waren; aber eine Reihe von großen Fotos des Meisters zeigte ihn von der menschlichen Seite. Über die Pyrenäen fuhren wir dann nach Katalonien. Nach kurzem Aufenthalt in Manresa, der Stadt, wo Ignatius von Loyola seine Exerzitien gefunden hat, sahen wir in der Ferne wie eine riesige Krone das gezackte Bergmassiv des Montserrat aus der Ebene aufsteigen. Zum Kongreß waren an 80 Teilnehmer gekommen, Liturgiker aus den verschiedenen Kirchen Europas und aus Nord- und Südamerika. Bei der Sonnenglut blieb der schwarze Anzug im Schrank, die Professoren, Patres und anderen Würdenträger erschienen sehr zivil, nur Anglikaner wahrten noch mit umgedrehtem Kragen die Würde geistlichen Standes. Für wohltuende Unterbringung und Versorgung war in dem modernen „Hostal” des Klosters großzügig gesorgt; auffallend war die liebenswürdige und höfliche Bedienung durch das Personal, das offenbar nicht Mangelware ist wie bei uns. Der gelehrte Pater Olivar gab eine Einführung in die Geschichte und das geistliche Leben und die Sendung des Montserrat „als Berg, als Kloster, als Heiligtum”.

MorenetaLeerUnsre Tagung wurde hineingenommen in die Messe und das Tagzeitengebet, das in der riesigen prunkvoll düsteren Kirche täglich gehalten wird, aber nicht mehr nur als geistliches Tun des Mönchskonvents, sondern als Feier eines großen Volkes. Die Tausende von Pilgern und auch Touristen, die täglich zum Montserrat strömen, aus Spanien und aller Welt, bleiben nicht Zuschauer. Sie - und wir mit ihnen - konnten die katalanischen Texte und die bewegten liturgischen Weisen verstehen und mitsingen. Wenige Minuten der Einführung und die Leitung durch einen Kantor genügten, um diese aktive Mitbeteiligung zu festlicher Freude werden zu lassen. Dies war für uns der tiefste Eindruck dieser Tage. Hier ist eine Einheit von geistlicher Heimat und Sammlung kraftvollen Volkslebens erhalten, wie sie uns längst zerbrochen scheint. Das katalanische Volk wehrt sich sehr bewußt gegen den spanischen Staatszentralismus, und seine Kultur hat ihre Heimstätte auch auf dem Montserrat. Auch die Escolania, ein seit dem 12. Jahrhundert bestehender Knabenchor aus dem Internat des Klosters, verbindet eine Elite von jungen Menschen mit dem Kloster. Abgesehen von der volkstümlichen Verehrung des Gnadenbildes der Moreneta, der schwarzen Madonna in einer Nische hoch über dem Chorraum, war der Inhalt der Gebetszeiten und der Meßfeiern schriftgemäße Christusbotschaft. Anläßlich der Tagung wurden Lesungen und Fürbitten in den verschiedenen Sprachen vorgetragen. Die Referate der Konferenz behandelten das Gemeinschaftsgebet der Kirchen, also das Tagzeitengebet bis hin zur Andacht des Hauses und zum freien Gebet. Der Anglikaner Cuming legte die neutestamentlichen Grundlagen des gemeinsamen Gebets dar, der Trierer (röm.-kath.) Liturgiker Balthasar Fischer zeichnete die Entwicklung in der alten Kirche. In seiner Darstellung war der Aufweis der Frömmigkeit der Familie und des Einzelnen wichtig, die über der Entwicklung des monastischen Stundengebets noch zu wenig beachtet wird. Die Schwierigkeiten des Betens, zumal in Gemeinschaft, in der heutigen Welt, zwischen Kollektivismus und Individualismus, im Umbruch des Weltbildes und der Gottesvorstellungen, in der Spannung zwischen Gesamtkirche und Ortsgemeinde, zeichnete der Schweizer Prof. Auf der Maur (Amsterdam).

LeerDie mit deutscher Redlichkeit und Gründlichkeit aufgezeigte Krise und Problematik des Gebets erschien in ganz andrer Sicht, als man anschließend in der bunten riesigen Gemeinde der täglich wechselnden Besucher die Freude, Hingabe und Unbefangenheit erlebte, mit der das Volk Gottes dort zu Hause war. Die systematische Erhebung der psychologischen und sozialen Hindernisse für den angeblichen Zeitgenossen wurde überflutet von der lebendigen Wirklichkeit der betenden und hörenden Gemeinschaft! - Kurze Berichte über Frömmigkeit und Gebetsweisen in der Kirche von England, in freien und presbyterianischen Kirchen der angelsächsischen Welt und in der lutherischen Reformation orientierten über die verschiedenen Traditionen. Dabei war bemerkenswert, wie im Kirchentum puritanischer Herkunft, das ursprünglich jede Formung und Festlegung des Gebets wie eine Abgötterei verpönt hatte, das Verlangen nach geordneten Formen der Schriftdarbietung und des Gebets wächst und in verschiedenen Freikirchen zum Angebot von Ordnungen geführt hat. - Höhepunkte waren zwei systematische Besinnungen: Pater Gelineau, der bekannte Ordner moderner Psalmodie im französischen Bereich, entwickelte die „konkreten Formen des gemeinsamen Gebets” in der Gruppe, mit seinen sprechenden Symbolen, in der Wechselwirkung des Hörens, der mündlichen Auslegung, der Betrachtung und der Antwort in Danksagen, Bekennen und Bitten. - Der evangelisch-reformierte Professor v. Allmen (aus Neuchâtel, jetzt Jerusalem) schilderte den theologischen Sinn des Gebets der Gemeinde, die sich betend als Kirche konstituiert, aus der gegebenen Einheit der Kirche lebt und auf ihre Erneuerung in der Kommunion hindrängt. Von Allmen wurde für die nächsten zwei Jahre zum Chairman der Sozietät gewählt. Er stellte abschließend die Frage: Was zwingt uns, aus biblischen und dogmatischen Gründen die Trennung der Kirche noch aufrecht zu erhalten? Und falls wir exegetisch und liturgisch nach der heutigen Erfahrung die Trennung und Verweigerung der Kommunion nicht mehr aufrecht erhalten können (und er erklärte dies als seine Meinung) - wie können wir es verantworten, aus taktischen Rücksichten und mit historischen oder juristischen Begründungen die Verwirklichung der Einheit in Gebet und (nicht „Inter-Kommunion”, sondern:) Kommunion immer noch hinauszuzögern? -

LeerEine Exkursion führte zu einer vorromanischen Kirche, die auf einsamer Berghöhe Fluchtburg des christlichen Volkes in der Maurenzeit gewesen war, und nach Manresa zur Cova de Sant Ignasi, der „Höhle”, in der Ignatius gebetet und meditiert hat, heute einer Kapelle seitlich einer barocken Jesuitenkirche. Als einige in einen Automaten, der mehrsprachige Erklärungen versprach, die Peseten einwarfen, erscholl eine greuliche Musikeinleitung. Die vor dem Altar betenden Nonnen flohen entsetzt und die übermütigen gelehrten Herren standen wie lachende Schulbuben vor diesem vollautomatisierten Greuel an der ehrwürdigen Stätte ...

LeerIn wenigen Tagen war die respektable Gesellschaft von Forschern und Kirchenmännern eine Gemeinde gewesen, der es unbeschadet der mannigfaltig verschiedenen Herkunftskirchen kein Problem mehr war, Aspekte der Forschung, aber auch der praktischen Erfahrung im Gebet der Kirche auszutauschen. Die Gemeinschaft im Herrenmahl wurde nicht vorweggenommen. Wir lutherischen Teilnehmer nahmen jedoch an der anglikanischen Holy Communion teil, deren erneuerter Ritus sachlich der Evangelischen Messe gleicht. Nach Schluß der Konferenz stiegen wir noch zu den zerklüfteten Felsbildungen hinauf, von denen der Blick weit hinaus geht. Noch heute befinden sich einige Einsiedeleien dort in der Einsamkeit, wie vor einem Jahrtausend, als das Kloster auf dem Montserrat von Mönchen der am Pyrenäenabhang gelegenen Abtei Ripoll besiedelt wurde. Unverändert ist der missionarische und seelsorgerliche Einfluß des Montserrat geblieben: seine Mönche gehen nicht hinaus, aber die Menschen kommen dorthin zur Einkehr. Daß es dieser Kommunität gelingt, Gotteslob und Botschaft in einer neuen Weise so auszurichten, daß die Besucher und Sucher täglich zusammen erfahren, wie „sie aus einer einzigen Taufe kommend einer einzigen Erlösung angehören”, hat auch uns Gäste aus vielen Kirchen und Ländern in diesen Tagen am meisten bewegt.

Quatember 1974, S. 45-48

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
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