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von Bernhard Rang |
Alles Einfache ist nicht leicht zu durchschauen. Matthias Claudius war eine einfache Natur, ein schlichter Mensch von edlem Charakter, ein gläubiger Christ. Er war kein großer, ringender Denker. Doch besaß er eine eigenwüchsige Originalität. So stand er schon zu Lebzeiten außerhalb der Gruppen und Parteiungen, keiner geistigen oder literarischen Richtung ganz verpflichtet. Für ihn charakteristisch ist es auch, daß er das dörfliche kleine Wandsbeck vor den Toren Hamburgs, sein Domizil, seinen Heimatboden, kaum verließ. Von dort aus erreichte er die große Welt, oder sie kam zu ihm. Bei aller persönlichen Bescheidenheit war Claudius ein Herr, ein Mensch von eigenem Wuchs. Das Beispielhafte seiner Person war die ungeteilte Einheit der eigenen Existenz. Hier klaffte nichts auseinander. Er fühlte sich ganz als Gottes Geschöpf. Sein Schreiben und Dichten stand nicht im Gegensatz zu seinem alltäglichen Leben. Was war er beruflich? Familienvater, Journalist, „homme de lettres”, wie er sich selbst bezeichnete, aber kein Literat. Die Literarisierung des Zeitalters, die schon im 18. Jahrhundert begann, erschien ihm als Unheil. Sein eigenes Schreiben, auch Dichten, nahm er nicht allzu wichtig. Im Kern seiner Existenz wollte er, einfältiglich, nur Christ sein. Damit schränkte er in einer Zeit der Gärung und Revolution, im Herannahen der großen Epoche deutscher Klassik und Romantik seinen Wirkungskreis freilich ein. Man kann Claudius, auch von der Literaturgeschichte her, kaum einordnen. Die seichte Anakreontik der Gleim und Genossen hatte er bald überwunden. Der „göthischen Sekte”, wie er Weimar und den Kreis um Goethe nannte, stand er fremd und ablehnend gegenüber. Er blieb im Zwiespalt, worunter er litt, zumal es der Einfachheit, ja Einfalt seiner Grundnatur widersprach. Im geistigen und religiösen Ringen und Verkünden überflügelten ihn Herder und besonders Hamann, den er sehr verehrte. Die Zeitströmung, bewegt durch das Beben der Französischen Revolution, ging über ihn hinweg. Claudius besaß, um es deutlich zu sagen, kein historisches Bewußtsein, kein tieferes Verständnis für soziale Entwicklungen. Im Alter teilte er nicht den Patriotismus der Jugend, so seines eigenen Sohnes Johannes, und deren Auflehnung gegen Metternich und die politische Reaktion. Doch war ihm jeder reaktionäre Absolutismus zuwider. So blieb er ein Mann am Rand der Zeitereignisse, gebunden in seiner einmaligen Originalität. Blickt man tiefer, so ist auch seine Einfalt und Eigenart nicht leicht zu durchschauen; sie weist Risse und Brüche auf. Das Bewußtsein der Existenz war für Claudius Kern und Mitte. In dem schönen, gedankenreichen Brief von 1799 an seinen Sohn Johannes heißt es: „Was im Hirn ist, das ist im Hirn; und Existenz ist die erste aller Eigenschaften.” Das Glücksgefühl des eigenen Seins, eben der Existenz, hat er auch im Gedicht ausgesagt, im Lied „Täglich zu singen”, dessen erste Strophe lautet: „Ich danke Gott und freue michVon Stolberg gibt es ein ähnliches Gedicht, „Das Sein” überschrieben. Es beginnt mit den pathetischen Versen: „Ich bin! Es schalle laut in die Höh': Ich bin! / Ich bin! - Es schalle laut in die Tief! - O Sein ...” Claudius dagegen, völlig unkonventionell, mit der Verdoppelung des „Ich bin” gegen das Metrum verstoßend, damit aber von unnachahmbarer Eindringlichkeit, macht keine Worte, sondern bleibt in der Sache, spricht unmittelbar. Er wußte: „Es ist nichts groß, was nicht gut ist.” Leben und Schreiben sind für ihn eins: „Ich mag von keiner Distinktion zwischen Schriftsteller und Menschen Proben ablegen, und meine Schriftstellerei ist Realität bei mir, oder sollt' es wenigstens sein, sonst hols der Teufel.” Es kam ihm „auf eine gewisse Gestalt des inwendigen Menschen” an, „auf eine gewisse innerliche Denkart”. Und wenn er damit auf den christlichen Glauben zielt, der in der „gelehrten Welt ein unbekannt Ding”, so gilt auch hier die Existenz, das reale, konkrete Existieren des Menschen. Einfach und einheitlich verlief auch das Leben des Wandsbecker Boten. Inzwischen hatte Claudius, sozusagen auf nichts, geheiratet: Rebekka Behn, eines Tischlermeisters Tochter, sein „Bauernmädchen”, die er von Herzen liebte. An Herder schrieb er 1772 über Rebekka: „Meins ist ein ungekünstelt Bauernmädchen im wörtlichen Verstande, aber lieb hab ich sie darum nicht weniger, mir glühn oft die Fußsohlen vor Liebe.” In solchem Prosanachsatz steckt schon der ganze Claudius. Über die Ehe und über Rebekka wäre noch manches zu sagen. Am Tage der silbernen Hochzeit schreibt der Sechzig jährige das schöne Gedicht „An Frau Rebekka”: „Ich habe dich geliebt und will dich lieben, / So lang du goldner Engel bist; / In diesem wüsten Lande hier, und drüben / Im Lande wo es besser ist.” Es ist ein Gedicht, echt wie ein Kinderwort: Der Gatte, der Liebende, der Hausvater, der fromme Christ spricht aus ihm den immer noch ernst-kindlichen Ton. Nur einmal mußte Claudius sein geliebtes Wandsbeck verlassen. Es geschah aus finanzieller Not, als 1775 der „Wandsbecker Bote” einging. Die Familie war gewachsen, viele hungrige Münder waren zu stillen. Freund Herder vermittelte ihm in Darmstadt eine gut besoldete Stellung als Oberlandcommissarius und Redakteur der dort privilegierten „Landzeitung”. Schon nach einem Jahr konnte er zurückkehren, ziemlich ungnädig entlassen. Von nun an blieb er daheim, bis ihn 1813 die Franzosen vertrieben. Kiel, Emkendorf, Lübeck waren letzte Stationen. 1814 kehrte er, gesundheitlich geschwächt, nach Wandsbeck zurück. Im Hamburger Haus seiner Tochter Elisabeth und des Schwiegersohns, des Buchhändlers Perthes, stirbt Claudius am 21. Januar 1815. Auf diesem Sterben und Tod lag ein eigentümlicher Schatten. Von Anbeginn war „Freund Hain” sein Weggenosse. Ihm hatte er seine „Sämmtlichen Werke”, betitelt „Asmus omnia secum portans”, gewidmet. Und in seiner Sterbezeit äußerte er: „Mein ganzes Leben hindurch habe ich an diesen Stunden studiert, nun sind sie da, aber noch begreife ich so wenig als in den gesundesten Tagen, auf welchem Wege es zum Ende gehen wird.” Wie uns seine Tochter berichtet, erhoffte Claudius für sein eigenes Sterben ein Zeichen von „oben”, eine Bestätigung oder Erhellung. Aber nichts geschah. Er starb still und, vielleicht - wir wissen es nicht - etwas enttäuscht. „Der Säemann säet den Samen,Für immer hatte Claudius den nur ihm eigenen Ton gefunden: Biblisch-ernst, verhalten, von unnachahmlicher Schlichtheit und Größe. Und der Tod, das Grab, das Sterben, ja die Verwesung sollten Thema bleiben für weitere Gedichte, die Freund Hain „als Schutzheiliger und Hausgott” ihm gleichsam diktierte. Es waren auch nicht wenige Todesfälle, die unseren Wandsbecker erschütterten. 1760 starb der Bruder Josias, 1766 die Schwester Dorothea Christine, 1773 der Vater. Ihm gilt wieder ein in der Schlichtheit bewegendes Gedicht mit den Schlußversen: „-ach, sie haben / Einen guten Mann begraben, / Und mir war er mehr”. 1780 stirbt die Mutter. Über ihr Sterben hat Claudius einen eigentümlichen und bemerkenswerten Brief geschrieben. Als er an ihrem Sterbebett steht, sie so hilflos und schwach daliegen sieht, durchziehen sein Herz allerlei abwegige Gedanken: - „und wollte ihr noch so gern was zu Liebe thun; aber essen und trinken mochte sie nicht mehr, mochte auch sonst nichts mehr”. Und mit Grauen erkennt er: „- sie lag out of reach! lag am Abhang und sollte herunter! und ich konnte nicht einmal sehen, wo sie hinfiel”. Er wendet sich ab, schreibt noch ein Sterbegebet, das man ihr vorlesen soll. Die tiefste Todes-Erschütterung erfuhr Claudius, als ihm 1796 die kaum zwanzigjährige und besonders geliebte Tochter Christiane stirbt. Ihr gilt das auch „Christiane” überschriebene Gedicht „Es stand ein Sternlein am Himmel” mit der traurigen Schlußstrophe: „Das Sternlein ist verschwunden; / Ich suche hin und her, / Wo ich es sonst gefunden, / Und find es nun nicht mehr.” Diesem Gedicht aber folgt unmittelbar jener „Der Tod” benannte Vierzeiler, ein Gedicht, das an dichterischer Tiefe und schwermütiger Trauer nicht seinesgleichen hat: „Ach, es ist so dunkel in des Todes Kammer,Dem Schlagen des schweren Hammers, dem Abschied, dem Hinabsenken der Leiche ins Grab, dem Verwesen, dem Nicht-Wiederkommen hat Claudius immer wieder nachgesonnen. In dem schmalen Gesamtumfang seiner Lyrik zählen wir allein 23 Gedichte, die sich inhaltlich um das Motiv des Todes, des Sterbens, des Grabes, auch der Verwesung, und der Auferstehung bewegen. Schon in dem frühen Abschnitt „Was ich wohl mag” stehen die eigentümlichen Sätze: „Es ist ein rührender heiliger schöner Anblick, einer Leiche ins Gesicht zu sehen; aber sie muß ohne Flitterstaat sein. Die stille blasse Todesgestalt ist ihr Schmuck, und die Spuren der Verwesung ihr Halsgeschmeide und das erste Hahnengeschrei zur Auferstehung.” Neben dem Grab stehend hebt er die „Hände zur Wolke des Todes und der Verwesung empor”. Und dies muß ihn besonders erschüttert haben, daß der Tod den geliebten Menschen für immer fortnimmt. In dem Gedicht „Der Mensch” heißt es zum Schluß: „Denn legt er sich zu seinen Vätern nieder, / Und er kömmt nimmer wieder.” In den Gedenkversen an S. (seinen Jugendfreund Schönborn) lesen wir: „Auch ihn haben sie bei den andern begraben, / Und er kömmt nun nicht wieder zu uns! / Liegt nun im Grab' und verweset!” Und klagend fährt der Dichter fort: „Und kömmt nicht wieder zu uns! / Und so werden sie alle begraben werden, / Und verwesen im Grab zu Staub!” Zu dem Sprichwort „Man soll auf einem Grabe nicht schlafen!” (seltsam genug, daß Claudius ein solches, wenig bekanntes Sprichwort heranzieht) bemerkt er: „Die Verwesung ist und bleibt eine sehr nachdenkliche und ernsthafte Sache. Gewißlich geht kein Engel gleichgültig einen Grabhügel vorbei! und der ist doch eigentlich über die Grabhügel weg - ... Der Mensch ist noch nicht so ganz darüber weg ...” Das Wankende, Schwankende, das Vergängliche alles Lebens „hier unterm Mond” hat ihn erschreckt: „Ein brütend Saatfeld für den Tag der Garben; / Da wanket alles immerdar, / Und wandelt sich, und spielt mit Farben, / Mit Wasserblasen wunderbar.” Darum aber ist ihm der Glaube an die Auferstehung so ernst und wichtig. Und vielleicht am schönsten ist es, wenn er diesen Glauben nicht so unmittelbar ausspricht, wie in dem wenig bekannten Gedicht „An die Frau B... r”: „Daß du so gut gestorben bist,Johannes Pfeiffer bemerkt zu den Versen: „Ein einziger prosa-naher Satz . . . Bis in den Reim läßt das Unansehnliche der Gestaltung sich nachweisen ... Es ist die unsagbar zarte, demütig herabmindernde Ausdrucksweise eines Menschen, der weniger scheinen möchte, als er der verborgenen Innerlichkeit nach ist.” Christlicher Glaube und Sprache sind hier eine unauflösbare Einheit eingegangen. Claudius war kein Dichter der Reflexion. Vieles strömte ihm so zu, darunter auch manch harmlos-plauderndes Gedicht. Als schlichter Familienvater stand er ganz auch im Alltag, feierte gern mit den Seinen. Und auch die kleinen Ereignisse, die Geburt eines Kindes, oder die Mutter mit dem Kleinen an der Brust, der erste Zahn, oder draußen im Winter die bereiften Bäume und Äste: Alles konnte auf kindlich-fröhliche Weise besungen werden. Wir spüren, wie spontan, aus innerstem Antrieb sich das vollzog. Um die Form hat er nicht lange ringen müssen. Daß er aber etwas vom Kunst-Handwerk verstand, zeigen seine reizenden „Übungen im Stil”, in denen der Wandsbecker auf seine Weise die französische Moderne vorwegnimmt, Autoren wie Queneau oder Sarraute. Da gibt es den naiven, den verhaltenen, den bedenklichen, den planen Stil, und neben dem Kinder-Stil zeigt er uns, launig-parodierend, den galanten, den nachbarlichen, den pikanten, den freundlichen, ja auch den konfusen Stil. Mitten in diesem Allotria stehen dann auf einmal Verse und Gedichte von großer Schönheit, von genialer Einfachheit. Berühmt ist sein „Abendlied”. Schon die erste Strophe: „Der Mond ist aufgegangen . . .” ruft auf wunderbare Weise die Abend-Landschaft herbei. Kindlich-tiefe Lebensweisheit spricht aus den Versen: „Seht ihr den Mond dort stehen?- / Er ist nur halb zu sehen, / Und ist doch rund und schön!” Ein Naturbild wird zum Gleichnis. Das Andere, Nicht-Sichtbare, das Eigentliche, wir nennen es das Transzendente, die „Spuren der Engel”, leuchtet auf. Wir schauen auf einmal im noch Unvollendeten das Ganze, das Vollendete. Hier wie in anderen Gedichten läßt der Dichter alles Konventionelle, aber auch bloß Artifizielle weit hinter sich. So kann er sein Gedicht an den Frühling - „Am ersten Maimorgen” - mit dem Ausruf beginnen: „Heute will ich fröhlich sein, / Keine Weis' und Sitte hören; / Will mich wälzen, und für Freude Schrein, / Und der König soll mir das nicht wehren!” Und wenn er dann den Frühling selbst beschreibt, wie er aus der „Morgenröte Hallen” hervortritt: „Einen Blumenkranz um Brust und Haar / Und auf seiner Schulter Nachtigallen”, endet sein Gedicht wie ein ländlicher Hymnus, in überraschend schöner Bildsprache: „Und sein Antlitz ist ihm rot und weiß,Viele solcher schönen, in sich starken und ausgeglichenen Gedichte enden mit einer lakonisch-stillen Schlußzeile. So wenn er dem Wanderer zuruft, am Grabe stehen zu bleiben, eine stille Träne zu weinen: „Und denn kannst du weitergehen.” Vom gestorbenen Vater hieß es, er war ein guter Mann: „Und mir war er mehr.” Das erschütternde „Kriegslied”, das Karl Kraus im Ersten Weltkrieg für uns entdeckte, ist ganz auf solchen knappen, eindringlichen und als Refrain wiederholten Versen aufgebaut: „'s ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,Das von Schubert vertonte Gedicht „Der Tod und das Mädchen” gehört mit seinen nur acht Zeilen zu den Wundern deutscher Dichtung. Mit Recht wurde gesagt und gefragt, wo jemals das Todesgrauen eines jungen Bluts und das tröstliche Hinübergleiten in erlösenden Schlaf so Sprache geworden sei, wie in diesem Gedicht. Man könnte von natur- und menschennaher Urpoesie sprechen. Alle Vergleiche scheitern hier. Herder hatte schon zu Beginn ihrer Freundschaft Claudius ein Genie genannt; er sei „ein Freund von sonderbarem Geiste und von einem Herzen, das wie Steinkohle glüht - still, stark und dampfigt”. Besonders die kurzen Gedichte besitzen in ihrem spruchartigen Charakter eine beispiellose Ausdruckskraft. Ob es der dem Gedicht „Der Tod” folgende Vierzeiler „Die Liebe” ist: „Die Liebe hemmet nichts, sie kennt nicht Tür noch Riegel, / Und dringt durch alles sich; / Sie ist ohn Anbeginn, schlug ewig ihre Flügel, / Und schlägt sie ewiglich.”, oder das „Motet”: „Der Mensch lebt und bestehetAls der „Wandsbecker Bote” sein Erscheinen einstellte, unternahm Claudius die Herausgabe seiner eigenen Beiträge. Die Subscriptions-Anzeige vom 1774 war unterschrieben mit „Asmus, pro tempore. Bote in Wandsbeck”. So entstand bis 1812 mit dem achten Teil, ein kunterbuntes Gesamtopus aus Gedichten verschiedenster Art, aus Prosastücken, Dialogen, Abhandlungen, fingierten Briefen an Andres, an den Vetter, auch an sich selbst (aber Asmus alias Matthias wie Andres und der Vetter waren dieselbe Person), aus Rezensionen, darunter bemerkenswerte, so über den „Werther”, Lessings „Emilia Galotti”, Hamanns „Socratische Denkwürdigkeiten”, Herders „Älteste Urkunde des Menschengeschlechts”, auch über Klopstocks „Oden” und - humorvoll - über Lavaters „Physiognomische Fragmente”. Er nannte sein „Büchel” auch „Schnurrpfeifereien”. In den späteren Jahren überwiegen die ernsten religiösen Abhandlungen. Dies alles aber in regelloser Folge, das Heitere unmittelbar neben dem Ernsten, Schnurren neben Gedichten von ergreifender Schönheit. In dieser Unordnung steckt heimliches System: Spiegelung der Welt mit ihren mancherlei Sachen, „die wir getrost belachen, weil unsere Augen sie nicht sehn”. So verabscheute Claudius allen Streit, blieb dem Zank und Hader auch unter ihm Nahestanden fern, hielt dem zum katholischen Glauben übergetretenen Stolberg, der nicht nur von Voss mit fast teuflischem Haß verfolgt wurde, die Freundestreue. Und immer wieder rief er auf gegen Krieg und das Völker-Morden, stand er auf der Seite des Friedens. Die launig-ernste „Nachricht von meiner Audienz beim Kaiser von Japan” schließt mit den Abschiedsworten, die Asmus dem „Chan” sagt: „Ich habe noch Eins auf dem Herzen, Sire. Wir haben in Nagasaki so viele Soldaten und Canonen gesehn: wenn Du irgend umhin kannst, lieber guter Fürst, so führe nicht Krieg. Menschenblut schreiet zu Gott, und ein Eroberer hat keine Ruhe.” Am schönsten, gedrängtesten hat Claudius seine Friedensliebe in dem Gedicht „Auf den Tod der Kaiserin” ausgesprochen: „Sie machte Frieden! Das ist mein Gedicht.Bemerkenswert sind im Fünften Teil der „Werke” (1789) die „Gespräche, die Freiheit betreffend”, Gespräche zwischen A. und B., welch letzterer ein Freiheitsfreund genannt wird. Das Gespräch hat seine Tiefen und Untiefen, das Gleichnis vom verlorenen, ungeratenen Sohn wird herangezogen. B. antwortet: „Ich bin doch nicht gefragt, ob ich, noch auf welche Art ich existieren wollte. Wie mich die Welle des Unendlichen ans Ufer herangeworfen hat, so habe ich heran müssen, um mich da eine Zeitlang herumzutreiben.” Und A., der mehr nüchtern Verhaltene, schließt das Gespräch mit den Worten: „Lieber B., die Menschen tragen Ketten, und sind Sclaven; aber sie sind nicht geboren, es zu sein, und haben die Hoffnung nicht verloren, wieder frei zu werden. Und, wenn schon auf die Unterdrückung einer Anhänglichkeit ein so wohltuendes Bewußtsein folgt; was meinst du, was der Friede sein müsse, von dem man in jenem Bewußtsein nur den ersten Anbiß hat, wenn nämlich nicht mehr von Unterdrücken die Rede ist, sondern wenn die Ketten wirklich abgenommen werden! - Und da kommt das rechte England zum Vorschein, und die rechte St. Paulskirche. - Aber lebe wohl, wir kommen hier auf heiligen Grund und Boden.” Im „Beschluß” dieser Gedanken zum Politischen, auch zum Sozialen, zu Recht und Gerechtigkeit, findet Claudius Sätze von schlichter Größe und Eindringlichkeit. Obgleich er sich selbst, als „einem Schwachen”, ersparen möchte, „von der Schwachheit seiner Mitmenschen zu reden”, rafft er sich auf; denn „guter Rat ist doch immer ehrenwert, er komme vom Schwachen oder von dem Starken”. Und nun folgen die einzigartigen Sätze, die so ganz die reine Herzensgesinnung des schlichten Mannes und Boten uns enthüllen: „Wenn ein guter Hausvater bei Nacht Licht braucht, so hascht ers nicht draußen unter dem weiten Tausend-Sternen-Himmel, und bringt es durch die Fenster herein; sondern er schlägt es mit Stahl und Stein mühsam und künstlich im Hause an, und läßt es durch die Fenster hinaus leuchten. - Man kann nicht Bergauf kommen, ohne Bergan zu gehen. Und obwohl Steigen beschwerlich ist, so kommt man doch dem Gipfel immer näher, und mit jedem Schritt wird die Aussicht umher freier und schöner! Und oben ist Oben. - Wie nun der Sklave es auch machen möge, sich seiner Ketten zu entledigen; so viel ist klar, daß er durch Wissen und Vernünfteln die Ketten nicht brechen werde; sondern daß er Hand anlegen müsse, wenn es sein Ernst ist, ihrer los zu werden. - Und das ist die Besserung, die ich in Vorschlag bringe. Sie ist unser Tagewerk auf Erden, und der Große Königliche Weg zur Freiheit, der Niemand gereuet.” So kann, ja muß er auch sagen: „Eigentlich soll niemand einen Orden zur Herstellung anderer Menschen stiften, als der selbst hergestellt ist, und also seine Genossen in Wahrheit fördern kann.” Abhold einer abstrakten, negierenden, ja ins Nichts führenden Philosophie verkannte Claudius nicht die Bedeutung der Vernunft: „Wer die Vernunft kennt, verachtet sie nicht. Sie ist ein Strahl Gottes, und nur das radicale Böse hat ihr die himmelblauen Augen verderbt. Aber, es schwebt noch um den blinden Tiresias etwas Großes und Ahnungsvolles, und sie hat, wie der König Lear, auch wenn sie irre redet, noch die Königs-Miene und einen Glanz an der Stirne.” Er schließt diese persönlichen Betrachtungen - Verteidigung gegen Angriffe der Vernünftler von draußen - mit den wiederum so kennzeichnenden Worten: „Was soll uns leidiger Trost und Großtun, wenn man darbt und vor Hunger nicht schlafen kann.” Mit Neunundfünfzig, ein schon gealterter Mann, schrieb er an seinen Sohn Johannes den Brief, der wie ein Testament seines Denkens, Glaubens, Lebens noch heute zu uns spricht. Hören wir noch einige dieser Sätze: „Niemand ist weise von Mutterleibe an; Zeit und Erfahrung lehren hier, und fegen die Tenne. - Es ist nichts groß, was nicht gut ist; und nichts wahr, was nicht bestehet. - Man hat darum die Sache nicht, daß man davon reden kann und davon redet. - Erwarte nichts vom Treiben und den Treibern; und wo Geräusch auf den Gassen ist, da gehe fürbaß. - Was im Hirn ist, das ist im Hirn; und Existenz ist die erste aller Eigenschaften. - Verachte keine Religion, denn sie ist dem Geist gemeint, und du weißt nicht, was unter unansehnlichen Bildern verborgen sein könne. - Mißtraue der Gestikulation, und gebärde dich schlecht und recht. - Hänge dich an keinen Großen. - Nicht die frömmelnden, aber die frommen Menschen achte, und gehe ihnen nach. - Habe immer etwas Gutes im Sinn. - Und sinne täglich nach über Tod und Leben, ob du es finden möchtest, und habe einen freudigen Mut.” Und nun zitiert Jacobi einige Stellen aus des Claudius Abhandlung über die Musik, gleich im ersten Bändchen. Sie bekunden, daß in den alten Zeiten die Dichter und Musiker sich nicht in der Absicht hören ließen, um als Komponisten gefeiert zu werden, sondern daß die Musik, „am Altar entsprungen”, in einer Zeit erschien, „darin sie ohne alle eigene Gerechtigkeit war, und in Knechtsgestalt Wunder tat . .. Erst später wurde aus ihr eine schöne Kunst gemacht.” Jacobi fährt fort: „Ohne eigene Gerechtigkeit, und - in Knechtsgestalt: diese zwei Bestimmungen charakterisieren die Art und Kunst unseres Freimeisters in allen seinen Werken. Wenn sich etwas neu und tief Empfundenes, oder groß und trefflich Gedachtes in seiner Einbildungskraft gestaltet hat, und nun im angeborenen Glanze hervortreten will, so hält er es an, um ihm vorher die Strahlen zu löschen; er errötet, windet und versteckt sich - will es nicht getan haben. Daher die ihm so ganz eigentümliche Einkleidung, die drollichten Wendungen, die eingemischten Späße, das Lächeln, das er dem Leser auf die Lippen bringt, indem er zugleich sein Innerstes oft bis ins Mark erschüttert.” Verklärt sehen wir Heutigen Matthias Claudius nicht mehr. Es sollte uns aber, gerade als Christen, nachdenklich machen, daß Dietrich Bonhoeffer zu dem Wandsbecker Boten ein persönlich geprägtes Verhältnis besaß. In Gedichten wie „Der Mensch”, im „Abendlied” und ganz besonders im Gedicht „Täglich zu singen” mit der so einprägsamen Existenz-Bejahung - „Daß ich bin, bin! Und daß ich dich, / Schön Menschlich Antlitz! habe.” erschien Bonhoeffer die Bestätigung, daß Gottes Gebot dem Menschen erlaube als Mensch vor Gott zu leben. In diesen christlichen Gedichten habe „die Zeitlichkeit, die Fülle und die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens einen unvergleichlichen Ausdruck gefunden”. Quatember 1974, S. 90-101 |
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