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Ökumene in Salzburg und Trient
von Reinhard Mumm

LeerDie ökumenische Gebetswoche 1974 erbrachte bemerkenswerte Erfahrungen in zwei Städten, deren Namen mit einschneidenden Ereignissen der Gegenreformation verbunden sind: Salzburg und Trient. Unauslöslich hat es sich dem Gedächtnis eingeprägt, daß Erzbischof Firmian 30 000 Salzburger um ihres Glauben willen aus dem Lande vertrieb, und der Name der norditalienischen Stadt Trient (Trento) ist fest verbunden mit dem Konzil, das zwischen 1545 und 1563 dort getagt hat. Bis heute sind Salzburg und Trient geprägt katholische Städte, freilich mit dem Unterschied, daß die Stadt an der Salzach seit gut hundert Jahren eine respektable evangelische Kirche und Gemeinde hat, während es in Trient nur eine kleine protestantische Diaspora-Gemeinde gibt.

LeerSeit Jahren hat sich in Salzburg ein erfreuliches ökumenisches Klima gebildet, zu dem das Ansehen und Vertrauen einiger Michaelsbrüder nicht wenig beigetragen hat; ich nenne nur zwei Namen: Bischof Wilhelm Stählin, der oft zu Vorträgen von katholischer Seite eingeladen wurde, und Superintendent Emil Sturm, der die Diözese Salzburg-Tirol der Evangelischen Kirche des Bekenntnisses von Augsburg leitet. Diesmal hatten Superintendent Sturm und Pater Ernst P. Rummel SAC (Societas Apostolatus Catholicae, d. h. Gemeinschaft des katholischen Apostolates) zu einer mehrtägigen ökumenischen Begegnung auf dem Mönchsberg im Johannesschlößl eingeladen, dem Sitz der Pallottiner, wie diese Societas meist genannt wird. Die Pallottiner tragen diesen Namen nach ihrem Gründer Vinzenz Pallotti (1795-1850), einem frommen römischen Priester, der 1963 heilig gesprochen wurde. Ein Zeitgenosse des Padre Vinzenz, der französische Priester Paul de Geslin, weiß Erstaunliches von diesem demütigen Mann zu berichten. In seiner Wohnung drängten sich nicht nur arme Leute, sondern auch hochgestellte Männer suchten ihn regelmäßig auf wie der Kardinal-Staatssekretär Lambruschini, um bei ihm zu beichten. Einst sagte Pater Vinzenz zu seinem Freund, ihm fehle in den Geschichten der Heiligen immer ein Kapitel. Welches das denn sei? Das längste, erwiderte er. Und was sei denn das längste Kapitel? Es sei das ihrer Unvollkommenheiten!

LeerPallotti wollte seiner Kirche zu einem neuen lebendigen Glauben helfen. Dazu gründete er eine Gemeinschaft, die heute in vielen Ländern ihre Niederlassungen hat. Bei den Pallottinern in Salzburg ist etwas zu spüren von dem Geist ihres Stifters in der schlichten, menschlich warmen Art ihrer Frömmigkeit. Wie herzlich freuten sich die Buben der Internates, als in einer festlichen Messe bekanntgegeben wurde, daß ihr geliebter Erzieher, ein Lehrer, sich entschlossen hat, in die Societas einzutreten. Suchen wir eine Parallele im evangelischen Christentum, legt sich der Vergleich mit der Erweckungsbewegung nahe, die zur gleichen Zeit in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aufkam, erfüllt von einem ähnlichen Eifer für die Verbreitung des Glaubens, wie die Pallottiner es in ihrer Weise sind.

LeerDas ökumenische Gespräch wurde eingeleitet durch Vorträge über das geistliche Amt und seine Bedeutung für die eucharistische Gemeinschaft, gehalten von dem Salzburger Neutestamentler Prof. Dr. Beilner und von mir. Es ging um die Probleme, die in dem neuen Heft der Reihe „Kirche zwischen Planen und Hoffen” unter dem Titel „Eucharistische Gastfreundschaft” nachgelesen werden können. Unter den Gästen war der Rektor der Universität Prof. Nikolasch zugegen. Das Rundgespräch zeigte, wie man sich gerade in Salzburg noch behutsam, nicht ohne Spannungen und Besorgnisse und doch vertrauensvoll an die neue Lage herantastet. Ein Kreis von Teilnehmern beschloß, eine Petition an den Erzbischof zu richten, er möge Erleichterungen und Hilfen für konfessionsverschiedene Ehepaare gewähren. Einen Höhepunkt der Salzburger ökumenischen Gebetswoche bildete der stark besuchte Gottesdienst in der von Oblaten des Heiligen Franz von Sales betreuten alten Kirche St. Blasius. Junge Benediktiner sangen mit herrlichen Stimmen die Liturgie des slawischen Ritus, teils in slawischer, teils in deutscher Sprache. Ein Priester der mit Rom unierten ukrainischen Exulantenkirche und ein Pallottiner teilten die Kommunion nach ostkirchlicher Weise an jedermann aus. Mir fiel die Predigt zu, über Eph. 4, 4-7, jenes Apostelwort, das so stark auf die Einheit und Universalität des geistlichen Leibes Christi hinweist. Mehrere Hörer meinten voller Freude, das sei eine ganz katholische Predigt gewesen, wie umgekehrt wir manchem katholischen Priester bezeugen, er habe eine völlig evangelische Predigt gehalten.

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LeerEine ganz andere und doch wiederum verwandte Situation empfing uns in der Konzilsstadt Trient. Der Beauftragte des Erzbistums für die Ökumene Don Silvio Franco bezeichnete sie in seinem Einladungsschreiben treffend: „Trient und sein Dom haben tatsächlich eine verschiedene Bedeutung für die Katholiken und die reformatorischen Brüder.” Und in einer Erklärung desselben Don Silvio steht im Kirchenblatt für die evangelisch/lutherischen Gemeinden in Italien zu lesen: „Nicht mehr wie die Berliner Mauer soll der Dom von Trient trennend zwischen den Konfessionen stehen.” Diese gute Absicht bildete das Motiv für die großzügige Einladung, die Erzbischof Msg. Gottardi, bewogen durch ein erfreuliches Vertrauensverhältnis zu dem in Bozen tätigen evangelischen Pastor H. O. G. Lindenmeyer, zu einem ökumenischen Gottesdienst und einer anschließenden Agape in seiner Villa in S. Nicolo ausgehen ließ. Dieser letzte Tag der ökumenischen Gebetswoche, der dem Gedenken an die Bekehrung des Apostels Paulus gewidmet ist, war ein Ereignis von kirchengeschichtlicher Bedeutung. Es lag Erzbischof Gottardi daran, in seinem Dom, der so stark an die Konzilsbeschlüsse erinnert, die den Bekenntnissen der Reformation entgegenstehen, in einem Akt der Buße und des Gebetes gemeinschaftlich mit evangelischen Pastoren und anderen evangelischen Christen vor Gott und allem Volk zu bezeugen, daß eine neue Epoche der Versöhnung auch für Trient angebrochen ist. Dazu muß man wissen, daß dieser Erzbischof einst Generalvikar des späteren Papstes Johannes XXIII. gewesen ist, als dieser noch Patriarch von Venedig war, und daß Papst Johannes ihn zum Erzbischof von Trient ernannt hat. Diesem Papst weiß sich Msg. Gottardi zuinnerst verbunden, und er sprach deutlich aus, daß er sich ihm in dieser Stunde des gemeinsamen Gebetes besonders nah gefühlt habe.

LeerUnser Empfang in Trient vollzog sich in einer Atmosphäre liebenswerter Herzlichkeit und ausgesuchter Gastlichkeit. Bereits die erste Begegnung verlief frei von steifen Förmlichkeiten, menschlich warm und dennoch durchdacht in den Formen. In den großen Sakristeien des romanischen Domes S. Vigilio rüsteten wir uns zum Einzug, an dem sich von katholischer Seite das Domkapitel und die Professoren beteiligten; von evangelischer Seite waren u. a. der Dekan der evangelisch-lutherischen Kirche von Italien, Dr. Adolf Lüdemann aus Neapel, beteiligt, der Prior der Jesus-Bruderschaft Gerhard Rötting aus Gnadenthal in Hessen und zahlreiche Pfarrer aus Deutschland, die durch ihre Kurpredigerdienste der Diaspora in Italien verbunden sind. Deutsche und italienische Ansprachen wechselten mit Gesängen, Gebeten und biblischen Lesungen. Gemeinsam knieten wir vor dem Altar und tauschten öffentlich den Bruderkuß. Nachdem der Erzbischof das Hochgebet eingeleitet hatte, trat eine Gebetsstille ein, und im Gebet des Herrn vereinten wir uns in einer geistlichen Kommunion, da uns die öffentliche leibhaftige Kommunion in der Eucharistie noch verwehrt ist. Am meisten bewegte uns der Blick auf die zu Tausenden zählende Gemeinde, die Kopf an Kopf gedrängt die weite dunkle Halle füllte. Stehend, singend und betend folgten die italienischen Katholiken und die kleine Schar anwesender evangelischer Christen mit großer Andacht dieser Handlung, die in einer unbeschreiblichen Weise vom Geist durchweht war. Den Abschluß bildete eine Prozession zu dem überlebensgroßen Kruzifix, unter dem damals die Konzilsbeschlüsse beschworen worden waren. Wir verharrten in stillem Gebet an dieser Stätte.

LeerSpäter sagte Erzbischof Gottardi, daß der Herr am Kreuz wohl Tränen vergossen habe angesichts seiner zerrissenen Christenheit und es unsere Aufgabe sei, seine Tränen zu trocknen. Das anschließende Liebesmahl in San Nicolo bot Gelegenheit, in mehreren Reden auszutauschen, was uns beiderseits angesichts dieses Aktes der Versöhnung bewegte. Die Villa von S. Nicolo, einst Sommersitz der Bischöfe, ist nun bestimmt zu einer Stätte ökumenischer Begegnung, in der fortan katholische und evangelische Christen zusammenwirken sollen für den Frieden in einem beispielhaften Leben des Gebetes und der Arbeit. Heute hören wir oft Klagen über den Verfall der Kirche und über Müdigkeit in der ökumenischen Bewegung. Was sich in Trient vollzog und weiter vollziehen soll, weist nach vorn und zeigt, daß wir in unserem Jahrhundert auch Anlaß haben, uns zu freuen, weil unübersehbare Zeichen da sind, die unsere Hoffnung stärken.

Quatember 1974, S. 102-105

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
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