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Konservativ
von Wilhelm Stählin

LeerIn dem vom Evangelischen Presseverband für Bayern herausgegebenen „Pressedienst” fand ich die Notiz, daß die Evangelische Akademie Tutzing sich auf einer ihrer Tagungen mit dem Begriff des Konservativen beschäftigt und das Ergebnis ihrer Beratungen in einer ziemlich radikalen Kritik des „Konservatismus” zusammengefaßt hat. Diese Nachricht veranlaßte mich, mich an den derzeitigen Leiter von Tutzing, den früheren Pfarrer an St. Lorenz, Nürnberg, Viebig zu wenden und ihm meine Bedenken gegen eine solche summarische Verurteilung des „Konservativen” vorzutragen. Als Antwort erhielt ich einen Brief des Leiters jener Tagung, die sich so kritisch mit dem „Konservativen” befaßt hatte. Dabei fiel mir vor allem die Bezeichnung des Konservativen als „Konservatismus” auf. Diese Wortbildung halte ich entschieden für falsch und irreführend. Wenn man die konservative Haltung mit einer der beliebten Wortbildungen auf „ismus” bezeichnen will, dann darf dieses Wort gerade nicht Konservatismus, sondern muß „Konservativismus” lauten, weil jener Ausschließlichkeitsanspruch sich gerade nicht mit dem conservare (erhalten), sondern nur mit einer menschlichen Haltung verbinden kann, die jenes conservare zu einem einseitigen Prinzip macht und in diesem Sinn konservativ ist. Dieses Wort „Konservatismus” scheint nur erfunden zu sein, um dagegen die Pfeile einer scharfen Kritik zu schießen. „Conservare” bedeutet soviel, wie etwas in seinem Zusammenhang und in seinen Beziehungen erhalten und bewahren und das, was in diesem Sinn erhalten werden soll, sind nicht irgendwelche Einrichtungen, Denk- oder Lebensformen, sondern der Mensch selbst in seiner vorgegebenen Beziehung zu Gott als seinem Schöpfer, zum Mitmenschen und zur Natur, in deren Zusammenhang hinein er geschaffen ist, und schließlich zu sich selbst.

LeerNur wer den Menschen in diesem vielfachen Zusammenhang sieht und ernst nimmt, kann konservativ heißen. Nur wer den Menschen in diesen seinen Zusammenhängen sieht und bejaht, nicht wer sich an irgendwelche überkommene Sitten oder Vorstellungen klammert, ist konservativ. Sobald wir das Wort „konservativ” nur in Bezug auf bestimmte Gedanken oder Einrichtungen gebrauchen, die uns aus der Vergangenheit überliefert sind, und die wir nicht ändern wollen, haben wir das Wort „konservativ” in der Tiefe mißverstanden, und gehen vorbei an dem, was dieses Wort eigentlich meint. Wir wissen natürlich alle, daß das lateinische Wort „conservare” eben dies bedeutet: etwas in seinen vorgegebenen Zusammenhängen („con”) erhalten und bewahren. Aber das, was der Konservative bewahren will, sind eben nicht irgendwelche Einrichtungen oder Zustände, sondern der Mensch selbst in der Vielfalt seiner Beziehungen und in seiner komplexen Bestimmung.

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LeerIch habe diese Auffassung des Begriffs „konservativ” seinerzeit auf einer Tagung der Abendländischen Akademie in Eichstätt vorgetragen; dieser mein Vortrag ist dann im Rahmen des Tagungsberichts in dem Verlag „Neues Abendland” (München) erschienen und wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung im I. Band meiner gesammelten Aufsätze (Symbolon I. Folge) wieder abgedruckt worden. Leider ist dieser Band völlig vergriffen und also nur noch in Bibliotheken zugänglich. Eben damit ist es gerechtfertigt, wenn ich hier einige Sätze aus jenem Vortrag wörtlich wiederhole, weil ich sie heute nicht besser ausdrücken könnte als damals. Ich muß es um der Sache willen bedauern, daß die „Kritik des Konservatismus” durch die Tutzinger Akademie keine Spur von Kenntnis oder Beachtung dieser meiner sehr grundsätzlichen Deutung der „konservativen” Haltung zeigt.

LeerImmer war mir für das Verständnis des Konservativen das Wort des spätrömischen Dichters Juvenal wichtig „summum crede nefas, animam präferre pudori et propter vitam vivendi perdere causas.” Das besagt zu deutsch etwa: Halte das für den ärgsten Frevel, die eigenen Seelentriebe der heiligen Scheu überzuordnen und um des (angeblichen) Lebens willen die Quellen des Lebens zu verderben. Dieser Vers bezeichnet natürlich das genaue Gegenteil der konservativen Haltung. Konservativ ist der Wille, die Quellen ungetrübt zu halten, aus denen das Leben sich speist. Wer bei konservativ nur an die Erhaltung des physischen Daseins denkt, hat in der Tiefe nicht verstanden, was konservativ ist, weil er in der Tiefe nicht verstanden hat, was Mensch-sein heißt. Es ist darum auch kein Zufall, daß ich am Schluß jenes Vertrags auf die Zehn Gebote als die „Urordnung des Lebens” zu sprechen gekommen bin, und meine unter diesem Titel erschienene Schrift (ebenso wie die Symbolon-Bände im Evangelischen Verlagswerk, Stuttgart, 1973, erschienen) könnte in gewissem Sinn als eine Deutung der konservativen Haltung verstanden werden.

LeerMit Bedacht habe ich in jenem Vortrag von „konservativer Haltung” in der politischen Existenz geredet und wollte damit andeuten, daß es sich bei dem „Konservativen” nicht um politische Tagesfragen sondern um eine gesamtmenschliche Haltung handelt, die sich eben zutiefst dem Menschen selbst und seiner unverzichtbaren Bestimmung verpflichtet weiß. Man muß also jedenfalls vergessen, mit welchem Odium des Rückständigen und Unlebendigen für viele unserer Zeitgenossen dieses Wort „konservativ” belastet ist. Kurzum: es ist immer nützlich, ja notwendig, solche Worte, die im politischen Tageskampf eine verhängnisvolle Bedeutung angenommen haben, nach ihrem ursprünglichen Sinn zu fragen, und wer ohne diese Besinnung sich an eine Kritik des „Konservatismus” heranwagt, der wird hoffnungslos in dem Gestrüpp vordergründiger Polemik stecken bleiben, und der Wille, das kostbare Wort „konservativ” vor diesem Schicksal zu bewahren, ist der Zweck dieser Zeilen.

LeerDie Sorge, aus der heraus wir entgegen der Zeitströmung konservativ sein wollen, ist die Sorge um den Menschen; der Mensch aber ist nicht nur bedroht durch die Vergänglichkeit, so daß die bloße Beharrung hilfreich sein könnte, sondern mehr noch durch die innere Verderbnis, eben durch jenes vivendi perdere causas, von dem in dem Wort Juvenals die Rede ist. Das Anliegen des Konservativen ist und bleibt also die Sorge, den Menschen und das menschliche Miteinander vor dem Verderben zu bewahren, von dem die Quellen des Lebens ständig bedroht sind.

Quatember 1974, S. 119-121

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
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