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Ein Wort zum Werktag
von Albert Buff

LeerWir sind Christen.

LeerDas ist uns allen so selbstverständlich, daß bereits diese Feststellung überflüssig erscheint. Wirklich?

LeerIn jeder Messe hören wir: „... solches tut. . .” und dann grübeln oder diskutieren wir - oft sehr geistreich - mehr über dieses Tun als es zu praktizieren, wir die Evangelischen mit Euch den Katholiken. Und da stutzen wir. Sind wir Christen?

LeerOder sind wir doch in erster Linie evangelisch oder katholisch? Wir ordnen uns oder lassen uns brutal-selbstverständlich in Schubladen einordnen. Im Computer-Deutsch heißt das heute beim Finanzamt, bei Behörden, bei der Gehaltsabrechnung lediglich 11 oder 22, manchmal 12 oder 21. Der Schlüssel steht auf der Rückseite. Eine Zahl für Christen gibt es nicht. Von Mekka aber oder von Moskau aus gibt es nur die Christen. Gewiß ist es kein Zufall, daß auch in der Regel der Evangelischen Michaelsbruderschaft die Worte evangelisch oder katholisch nicht vorkommen.

LeerDenken wir daran, daß wir in jeder Messe zur Sendung aufgefordert sind? In jeder Messe beten wir: „. . . sende ihnen allen . . . Hilfe . . .” und zum Schluß: „Sende uns ... in die Welt.” Das ist mehr als ein frommer Wunsch; es ist eine Forderung, die Realisierung des Glaubens, ja das Entscheidende der Messe. Sind wir hier glaubwürdig? Vor der Welt, vor uns selbst?

LeerEtwa in der Sendung zum Nächsten? Der Fernste (ferne Nächste) - in Vietnam oder ... - ist als anonymer Nächster oft bequemer als der Familienangehörige, der einsame Nachbar, der unsympathische Kollege oder das unbekannte Gemeindeglied. Gedankenlosigkeit, oft auch die Scheu vor der Überwindung von Hemmungen, läßt uns lieber den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Einer Zeitströmung entsprechend gibt es zum Beispiel kirchliche Blätter, in denen sich Pfarrer für Personen einsetzen, die wegen Mord und Aufruhr angeklagt und in Einzelhaft sind, dabei von Folterung reden, obwohl Amnesty International diese Einzelhaft mit unbeschränkter Benutzung von Zeitungen und Radio, sowie Besuchen von Verwandten und Verteidigern untersucht und nicht beanstandet hat. Übrigens auch das Justizministerium.

LeerAndererseits regt sich kein Progressiver, wenn einem „Lebenslänglichen” zu seinem 80. Geburtstag der Besuch von Ehefrau oder Kindern verwehrt wird. Aber schweigen nicht auch wir selbst? - Warum eigentlich? Wir sollten einander Mut machen, hier und jetzt Forderungen zu stellen. Weshalb wird es - um nur eine der vielen Möglichkeiten zu nennen - auch im Raum der Kirche schweigend hingenommen, daß der junge zukünftige Theologe nicht nur vom Wehrdienst - das ist noch verständlich -, sondern auch vom Wehrersatzdienst befreit ist? Warum rüttelt niemand an diesem Tabu um einer besseren Gerechtigkeit willen?

LeerPassivität aber sollten wir uns als Christen nicht nachsagen lassen. Wir haben vielmehr den Auftrag, etwas zu tun; es mag durchaus An-Stoß erregen. Als Christen sind wir - so lasen wir kürzlich an dieser Stelle - unserer Zeit voraus. Gewiß ist das, soweit es den Jahresbeginn betrifft, richtig. Aber in Fragen der Praxis, der Öffentlichkeitsarbeit, der Politik sind wir oft Trittbrettfahrer oder springen mit letzter Puste noch eben auf den bereits angefahrenen Zug auf, glücklich, das gerade noch geschafft zu haben.

LeerVielleicht werden wir ja auch überfüttert. Gerade wir, die wir den Gottesdienst besuchen, hören oft gar nicht mehr recht hin: wir wissen es schon, haben es schon zu oft gehört.

LeerDie Messe - Sendung in die Welt - vermeidet, daß unser Christsein auseinanderfällt und trägt dazu bei, den Segen des Sonntags im Werktag jedermann sichtbar, besser unsichtbar, wirksam zu machen.

LeerIn der Gefahr des Auseinanderfallens sind wir immer, wir müssen uns ihr stellen. Mit dieser Gefahr müssen wir in christlichem Verantwortungsbewußtsein täglich leben und fröhlich aber getrost handeln.

Quatember 1974, S. 129-130

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-12-12
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